Der grösste Erfolg in der Geschichte unseres Hockeys? Sind die Pferde des Chronisten durchgebrannt? Ist der Chronist ganz einfach von einem Ereignis überwältigt und wird die Dinge in ein paar Tagen nüchterner beurteilen?
Nein, er wird auch in ein paar Wochen bei dieser Beurteilung bleiben. Nico Hischiers Draft hat nämlich nicht nur eine grosse sportliche, sondern auch eine immense hockeypolitische Bedeutung.
Der Draft ist im 21. Jahrhundert eine der wichtigsten Veranstaltungen der besten, wichtigsten, mächtigsten und reichsten Hockey-Liga der Welt. Der NHL-Draft ist eine Mischung aus Rockkonzert, NHL-Parteitag und unübertrefflicher, bombastischer Selbstdarstellung. Ein braver Eidgenosse sagt: ein Festival des Grössenwahns. Amerikanisch halt.
Alle, die wichtig sind und alle, die sich für wichtig halten, sind nach Chicago gekommen. Eröffnet wird der Draft, natürlich, durch die kanadische und die US-Hymne. Live gesungen. Es ist die grösste, die wichtigste, die prestigeträchtigste Hockey-Veranstaltung der Welt neben dem Eis. Das wichtigste Hockey-Ereignis ohne Eis.
In einem durch und durch nordamerikanischen Sportspektakel zur Nummer Eins erkoren zu werden, ist die grösste Ehre, die im Hockey zu vergeben ist. Der Teamgedanke wird zwar immer und bei jeder Gelegenheit beschworen. Doch in keiner anderen Sportwelt zählt die Nummer Eins so viel, ist der Kult um die Nummer Eins so gross, wie im nordamerikanischen Sport. Ich bin Nummer Eins, also bin ich. Die Nummer Zwei ist bereits ein Verlierer. Sorry.
Wie sehr sich alles um diesen Kult rund um die Nummer Eins dreht, ist an diesem Freitagabend im United Center zu Chicago, dem Stadion der Blackhawks, förmlich zu spüren. Als New Jerseys General Manager Ray Shero vorne auf der Bühne Nico Hischier als Nummer Eins wählt, löst sich die Spannung.
Das monatelange Rätselraten ist zu Ende. Nun ist die Nummer Eins verkündet. Das Ereignis des Tages ist über die Bühne gegangen. Wer Nummer Zwei, Drei, Vier oder Fünf wird, ist zwar wichtig für die betreffenden Spieler, Familien, Agenten und Klubs. Aber die Nummer Eins ist nun vergeben. Die Normalität kehrt ein.
Ein Schweizer die Nummer Eins beim NHL-Draft! Eigentlich undenkbar. Unmöglich. Ein Spieler aus einer Hockeynation mit etwas mehr als 14'000 Nachwuchsspielern ist besser als die besten Kanadier, Russen und Amerikaner, die zusammen mehr als eine Million Junioren ausbilden. Besser als alle Finnen, Tschechen und Schweden. Zum ersten Mal ist ein Spieler aus einem Land die Nummer Eins, das noch nie Weltmeister oder Olympiasieger war.
Die Nummer Eins im Draft wird heute nur noch ein «Wunderkind». Ein aussergewöhnlicher Spieler. Die Wahl ist das Ergebnis der Analysen, Nachforschungen und Einschätzungen der besten Hockey-Experten der Welt. Es ist eine Nummer Eins, die, auch wenn kein Spiel stattgefunden und kein Titel vergeben worden ist, immensen sportlichen Wert besitzt. Eine höhere Anerkennung für einen jungen Spieler ist nicht möglich.
Nico Hischier ist nahezu sprachlos. Sein Smile sagt mehr als tausend Worte. pic.twitter.com/EslIcU3Acj
— Stephan Roth (@9Roth) 23. Juni 2017
Es ist eine Nummer Eins mit einem enormen Prestige. Die sportliche Differenz zwischen der Nummer Eins und der Nummer Zwei, Drei oder Vier, ja sogar zwischen der Nummer Eins und Zwanzig mag gering sein. Aber es liegen Lichtjahre zwischen dem Prestige der Nummer Eins und der Nummer Zwei oder Drei. Diese Nummer Eins, dieses Prestige, diese Anerkennung, diese Ehre einem Spieler aus Europa zu erweisen, ist für eine durch und durch nordamerikanische Liga bemerkenswert. Es ist ein historischer, aussergewöhnlicher Augenblick. Die Schweiz ist nun in der NHL angekommen. Unser Hockey wird, in einem positiven Sinne, nie mehr so sein wie es bisher war. Nun werden wir von den Generälen definitiv ernst genommen.
Das sind die Dimensionen, die wir kennen müssen, um diesen Nummer-Eins-Draft von Nico Hischier einordnen zu können. Die Nummer Eins zu werden, vor allen Kanadiern, Amerikanern, Russen, Tschechen, Finnen oder Schweden – das ist der grösste Erfolg in der Geschichte unseres Hockeys. Und diese Nummer Eins ist eine immense Herausforderung für Nico Hischier. Oder ist es eine Belastung? Ist der Erwartungsdruck zu hoch? Nein. Es ist eine riesige Chance für einen jungen Spieler, der alle Voraussetzungen mitbringt, diese Chance zu packen.
Nico Hischier hat es mit einem einzigen Satz auf den Punkt gebracht. Er sagte, sein Puls sei noch nie so hoch gewesen wie in dem Moment, als er auf die Bühne trat, um die Ehre der Nummer Eins entgegenzunehmen. So soll es in einem historischen Augenblick sein.