Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!
- watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
- Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
- Blick: 3 von 5 Sternchen
- 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen
Du willst nur das Beste? Voilà:
Mirco Müller (23) ist ein einsamer Titan. Nach einem Spiel kann er sich in der Regel in aller Ruhe und ungestört umziehen. Nur selten begehrt ihn eine Chronistin oder ein Chronist zu sprechen. Er verteidigt halt unauffällig und trifft selten ins Tor. Diese Saison noch nie und in etwas mehr als 100 NHL-Partien erst zweimal. Und aufsehenerregend böse ist er auch nicht. Seine 38 Strafminuten aus 128 Partien gehen schon fast als Streicheleinheiten durch. In der NHL, dieser Liga der rauen Kerle, ist er ein «Kuschel-Verteidiger». Kein junger Mann für kernige Storys oder eine Polemik.
Ganz ohne Zweifel hat Mirco Müller sein enormes Potenzial nach wie vor nicht ganz ausgespielt. Fast geht vergessen, dass er 2013 von San José in der ersten Runde als Nummer 18 gedraftet worden ist. Die Scouts haben also sein Talent sehr hoch eingestuft.
Wer in der ersten Runde auserkoren wird, bringt es in der Regel nach Ablauf des reglementierten dreijährigen NHL-Einstiegsvertrags mit einem vorgeschriebenen «Lehrlingslohn» von weniger als einer Million in der vierten NHL-Saison zum Millionär.
Aber Mirco Müller arbeitet bei New Jersey in seiner fünften NHL-Saison nach wie vor zu einem «Stiftenlohn» in der Höhe von 925'000 Dollar brutto. Davon geht rund die Hälfte schon mal durch Steuern weg.
San José hatte Mirco Müller im dritten und letzten Vertragsjahr nicht einmal mehr zehn Minuten Eiszeit pro Partie gewährt, ihn oft ins Farmteam zurückversetzt und schliesslich Glauben an ihn verloren.
Aber ein Erstrundendraft bekommt immer eine zweite, meistens auch eine dritte Chance. Im Juni 2017 haben die New Jersey Devils Mirco Müller recht «billig» im Austausch mit Draftrechten erworben und für zwei Jahre unter Vertrag genommen. Einen Spieler mussten sie als Kompensation nicht hergeben.
TRADE
— CapFriendly (@CapFriendly) June 17, 2017
To #Devils
Mirco Mueller
2017 5th round pick
To #Sharks
2017 2nd round pick
2017 4th round pickhttps://t.co/0oYUoNtrCT
Dabei bringt Mirco Müller eine nahezu perfekte Mischung aus Grösse, Kraft, Wasserverdrängung, Beweglichkeit, Spielintelligenz und Technik aufs Eis.
Er ist mit ziemlicher Sicherheit nach Roman Josi der beste, aber eben nicht der charismatischste Verteidiger mit Schweizer Pass. Unsere höchste Liga würde er nach Belieben dominieren.
Eigentlich ist er fast so talentiert wie seine Schwester Alina (20). Sie war im Februar 2014 in Sotschi mit 15 Jahren die jüngste Olympiateilnehmerin der helvetischen Delegation. Sie erzielte das vierte und alles entscheidende Tor zum 4:3 im historischen Bronze-Spiel gegen Schweden und kam ins olympische All-Star-Team. Nun studiert sie diese Saison in der Northeastern University bei Boston und ist dort mit aktuell 41 Punkten aus 28 Partien eine der besten Stürmerinnen im nordamerikanischen Frauenhockey. «Wir stehen in regelmässigem Kontakt», sagt Mirco Müller. «Über Thanksgiving hatte Alina schulfrei und hat mich in New Jersey besucht. Boston ist ja nur drei oder vier Autostunden entfernt.»
Alina Mueller makes a beautiful move in the corner and tees up Kasidy Anderson for the go-ahead goal! #HowlinHuskies pic.twitter.com/Pf7zSD3VWh
— Northeastern Women’s Hockey (@GoNUwhockey) November 28, 2018
Doch zurück in die NHL. Im ersten Jahr mit den Devils limitierte eine Verletzung Mirco Müllers Saison auf 28 NHL-Partien. In der Schlussphase war er wieder fit, gehört zum Team, das erstmals seit 2012 (damals verloren die Devils das Finale gegen Los Angeles) wieder die Playoffs erreichte und holte mit der Schweiz WM-Silber.
Und nun sehen wir immer mehr den wahren Mirco Müller. Dafür brauchte es allerdings einen «Kick». Coach John Hynes liess ihn diese Saison bei insgesamt 17 Partien auf der Tribüne schmoren.
Der Winterthurer weiss warum. Das Gespräch mit dem Cheftrainer habe zwei, drei Minuten gedauert. «Er sagte mir, was er von mir erwartet, und ich habe versucht, das umzusetzen.» Nein, nein, er habe nicht widersprochen. Das gehöre sich ganz einfach nicht. «Der Trainer ist der Chef.»
John Hynes habe ihn gemahnt, selbstbewusster aufzutreten, mehr Härte zu zeigen und auch mutiger mit der Scheibe zu sein. «Er hatte ja recht, ich bin schliesslich einer der grössten Spieler im Team.» Es helfe, wenn er mal mit einem harten Check Präsenz markiere. Mit 191 Metern und 95 Kilo ist er selbst in der härtesten Liga der Welt ein Riese. Aber eben: ein sanfter Riese.
Der Trainer hatte eigentlich nur moniert, was ja die Statistiken schon sagen: kaum Strafen, gemessen an seinem enormen Talent zu wenig Skorerpunkte.
Im Training musste Mirco Müller nun seinen Trainer beeindrucken und sich ins Team zurückkämpfen. Das sei nicht ganz einfach gewesen. Er konnte ja nicht einfach seine Teamkameraden beim Üben überhart angehen.
Schliesslich hat der WM-Silberheld seinen Coach überzeugt und ist ins Team zurückgekehrt. Inzwischen bekommt er in einzelnen Partien mehr als 20 Minuten Eiszeit, im Durchschnitt sind es diese Saison etwas mehr als 18 Minuten. So viel wie noch nie.
Den wahren Mirco Müller haben wir eigentlich erst einmal gesehen: bei der letzten WM. Mit sechs Skorerpunkten aus zehn Partien war er ein Schlüsselspieler in unserem WM-Silberteam. Wer auf höchstem Weltniveau mehr als einen halben Punkt macht, müsste eigentlich in der NHL produktiver sein. Aber es dürfte eben einfacher sein, unter Patrick Fischer in einem WM-Team, das sich auf einer Mission befindet, sein Potenzial zu entfalten, als im rauen Alltag der NHL. Und da es New Jersey wohl nicht für die Playoffs reichen wird, wird Mirco Müller auch bei der nächsten WM wieder dabei sein.
Dass Mirco Müller die NHL nicht im Sturm erobert hat, hängt wohl auch mit seiner angenehmen, sympathischen Art zusammen. Er ist freundlich, fast scheu und ihm fehlt eine Prise jenes Selbstvertrauens («hoppla, jetzt komme ich!»), das einer Karriere in diesem rauen Business manchmal hilft.
Aber auf Dauer wird sich Mirco Müller mit seiner leisen Art durchsetzen. Weil die Coaches seine Qualitäten zu schätzen wissen. Im Frühjahr läuft der Vertrag aus. Die Chancen stehen sehr gut, dass er mit einem neuen Kontrakt endlich seinem Talent entsprechend entlöhnt und Dollarmillionär wird. «Daran denke ich nicht», sagt Mirco Müller in seiner bescheidenen Art. «Ich konzentriere mich darauf, in jedem Spiel das Beste zu geben. Um den Rest kümmert sich mein Agent.»
Wo er recht hat, da hat er recht. Schliesslich muss er, wie alle, dem Agenten fünf Prozent seines Salärs als Provision abgeben und inzwischen erlaubt der amerikanische Steuervogt nicht einmal mehr, die Agenten-Entschädigung von der Steuer abzusetzen.
Doch die Investition lohnt sich: Sein Agent André Rufener ist im NHL-Business einer der besten und einflussreichsten seines Faches. Wenn er es nicht schafft, Mirco Müller zum Dollarmillionär zu machen – dann vermag es auch der Hockeygott nicht.