Im Laufe eines Spiels haben die vier Schiedsrichter rund hundert Entscheidungen zu treffen. In Echtzeit. Zum Beispiel: Eine Strafe anzeigen oder doch laufen lassen? Offside oder doch nicht Offside? Atempause haben sie keine. Sie stehen 60 Minuten und falls erforderlich auch in der Verlängerung ununterbrochen auf dem Eis. Jede ihrer Entscheidungen wird von gut 40 Spielern, ihren Coaches, dem Publikum und den sendenden, sprechenden und schreibenden Medienschaffenden beurteilt.
Kein Spieler wird für einen Fehler (eine verpasste Chance, einen Fehlpass, einen Stellungsfehler) so leidenschaftlich kritisiert wie ein Schiedsrichter für eine für das menschliche Auge kaum erkennbare oder hinter seinem Rücken begangene Regelwidrigkeit. Kein anderes von Schiedsrichtern beaufsichtigtes Spiel ist so schnell wie Eishockey. Und in keinem anderen Spiel sind Körperangriffe im Rahmen der Regeln möglich und so schwierig zu beurteilen.
In den Playoffs kommt noch etwas dazu. Im Fussball ist die Regelauslegung immer mehr oder weniger gleich. Ein WM-Final wird nicht grosszügiger arbitriert als eine WM-Qualifikationspartie.
Eishockey ist das einzige Spiel, in dem mit zweierlei Mass gemessen wird. Auch wenn das so offiziell niemand sagt: Während der Playoffs ist die Regelauslegung eine andere als während der Qualifikation zwischen September und März. Auf den Punkt gebracht: Es wird in den Playoffs weniger streng gepfiffen. Nach dem Grundsatz: Lasst die Spieler das Spiel entscheiden. Zumal in einer Verlängerung ein einziges Tor entscheidet («Sudden Death»). Diese maximale Belastung gibt es im Fussball nicht.
Erschwerend kommt hinzu: Die gesamte Verantwortung liegt bei den Unparteiischen. In klar definierten Situationen – Puck im Tor oder nicht, Torhüterbehinderung ja oder nein, Offside ja oder nein, Fünfminutenstrafe ja oder nein – dürfen Video- und TV-Bilder konsultiert werden. Im Eishockey müssen die Schiedsrichter bei uns im Stadion diese Bilder selbst einsehen und können die Verantwortung nicht wie in anderen wichtigen Hockey-Ligen oder im Fussball an eine neutrale Instanz (VAR) delegieren.
Unsere Schiedsrichter haben es auch neben dem Eis nicht einfach. Ihr Chef hat noch vor den Playoffs das Handtuch geworfen. Einen neuen hat die saumselige Verbandsführung (die Schiedsrichter sind im Verband und nicht in der Liga integriert) noch nicht bestimmt. Wer boshaft ist, darf sagen: Die Schiedsrichter sind während der Playoffs führungslos unterwegs.
Verbandsmanager Martin Baumann, der die Schiedsrichterabteilung interimistisch führt, bis ein neuer Chef gefunden ist, war nicht einmal bei der wichtigen Zusammenkunft der Unparteiischen mit den Liga-Vertretern vor den Playoffs in Thun dabei. Er hatte Wichtigeres zu tun. Seine Präsenz wäre ein Zeichen der Wertschätzung gewesen. Fehlende Wertschätzung von höchster Stelle also. Punkt.
Nun ist es so, dass die Schiedsrichterabteilung keineswegs führungslos ist. Der schwierige Job lässt die «Zebras» zusammenrücken. Es gibt auch im Universum der Unparteiischen Meinungsverschiedenheiten. Schliesslich geht es ja auch hier um Karrieren, um Aufstiegsmöglichkeiten, um Konkurrenzkampf, ums Leistungsprinzip. Aber Engagement für die Sache auf allen Stufen (Inspizienten, Aktive) und Zusammenhalt sind bewundernswert und haben über die führungslose Zeit hinweggeholfen. Zyniker sagen, die Schiedsrichter seien in jeder Liga der Welt die bestorganisierte «Mafia». Sozusagen eine «schrecklich nette Familie». Es ist lobend gemeint.
Wie gut waren die Schiedsrichter diese Saison im Allgemeinen und in den Playoffs im Besonderen? Sie waren sehr gut. Und zwar von der höchsten Amateurliga (MyHockey League) bis hinauf in die National League. Umstrittene Entscheide hat es gegeben. Den heikelsten beim anerkannten ZSC-Tor im dritten Viertelfinalspiel gegen Kloten (1:0). Aber grundsätzlich dürfen wir sagen: Die Schiedsrichter haben eine Linie bei der Leitung der Spiele gefunden, sie kommunizieren gut, sie haben ein bemerkenswertes Gespür dafür entwickelt, wann es möglich ist, ein Spiel laufen zu lassen und wann strengeres Eingreifen erforderlich ist.
Leistungsschwankungen gibt es. Aber sie halten sich in einem engen Rahmen. Nach 40 Jahren in den Stadien zwischen Edmonton, New York, Prag und Moskau, Pruntrut und Zürich, Lugano und Langnau, Olten und Basel erlaubt sich der Chronist ein Urteil: Unsere Schiedsrichter sind auch im Vergleich zu anderen Ligen sehr gut.
Schiedsrichterkritik ist wohlfeil und überaus populär. Nicht immer können Spieler, Coaches, Sportchefs und andere Klub-Funktionäre der Versuchung der Schiedsrichterschelte widerstehen. Sie können davon ausgehen, dass sie Zustimmung im Publikum finden. Beliebt sind etwa «Verschwörungstheorien», wonach die Kleinen sowieso immer benachteiligt werden und die Grossen bevorzugt («Liga-Mafia»). Und sowieso pfeife keiner gegen Davos. Sonst gebe es keine Berufung an den Spengler Cup.
Nun geht es im Final um den höchsten nationalen Ruhm und der Beitrag der Schiedsrichter zum guten Gelingen ist so wichtig wie jener der Coaches und Spieler. Vom Sternenstaub dieses Ruhmes fällt sogar noch ein schöner Teil auf die Verlierer. Aber nicht auf die Schiedsrichter. Sie sind die vergessenen Helden.
Deshalb ist der Zeitpunkt für ein Lob vor dem Start zum Final der richtige und der letztmögliche. Ab sofort stehen nur noch die spielenden Helden im Rampenlicht. Ende der Polemik.
Danke, dass ihr diesen leider sehr oft undankbaren Job macht!
Finde die Schiedsrichterleistung über die gesamte Meisterschaft betrachtet sehr ungenügend. Keine einheitliche Linie, Spieler wissen nie, mit welchem Massstab Strafen ausgesprochen werden.
Das Unsäglichste von allem. Das spätestens gegen Ende von fast jeder Partie kompensiert wird, sprich, hat eine Mannschaft ein Strafenüberschuss wird schön angeglichen, damit am Schluss die Statistik wieder stimmt und Kritik von einseitiger Strafenauslage nicht offensichtlich wird.
Und wenn wir im Stadion nach einem knappen Entscheid selber nicht wissen, was wir da auf dem Videowürfel in der Zeitlupe sehen, wie soll das dann einer in Echtzeit immer fehlerfrei einschätzen können.