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Remember 1986! 1986 kam nach einer langen Zeit mit ausländischen Nationaltrainern mit Simon Schenk endlich wieder ein Schweizer an die nationale Bande. Das Wort «Swissness» existierte damals noch nicht. Aber es war «Swissness», das damals den Langnauer so ins Amt brachte wie jetzt Patrick Fischer.
Verbandspräsident René Fasel, heute als IIHF- Präsident und IOC-Mitglied höchster Hockeyfunktionär der Welt, hatte die Besinnung auf die eigene Hockeykultur zu seinem Programm gemacht. Nationaltrainer Simon Schenk fuhr 1986 ohne Kredit zur B-WM. Die Kritik war eine ähnliche wie heute bei Patrick Fischer: Er habe zu wenig Erfahrung als Trainer. Aber er schaffte bei der WM in Holland gleich den Wiederaufstieg in die A-Gruppe. Die A-WM wurde übrigens 1986 auch in Moskau gespielt.
Patrick Fischer ist der erste Nationaltrainer mit Schweizer Pass seit Simon Schenk. Wofür stehen die Schweizer vor Moskau 2016? Beginnt mit Patrick Fischer eine neue Ära wie 1986 mit Simon Schenk?
Warum nicht? Nur bei zwei der 16 WM-Teams ist die ganze Bandbreite vom Finale bis zum Verpassen der Viertelfinals jedes Jahr möglich. Bei den Slowaken und den Schweizern. Auch jetzt ist wieder alles denkbar. Diese Mannschaft kann, getragen von den Emotionen eines guten Startes, sehr weit kommen. Aber diese Mannschaft wird taktisch ziemlich hilflos sein, wenn sich nach einem Fehlstart eine negative Dynamik entwickelt.
Es gibt noch keine klare innere defensive Ordnung, an der sich die Spieler orientieren können. Früher sagte man, der Bauer könne sich an den Ästen festhalten, wenn er in Not gerät. Will heissen: er konnte im Wald Bäume fällen und mit dem Holzverkauf den Betrieb über die Runden bringen.
Früher – vor allem in den Zeiten von Ralph Krueger – konnten wir sagen: Die Schweizer können sich in der Not an der Taktik festhalten. Diese Taktik gibt es nicht mehr. Oder etwas polemischer formuliert: Die Schweizer haben unter Patrick Fischer einen Vorwärtsgang, aber keinen Rückwärtsgang.
Die Stärke unseres WM-Teams, dieses offensive Temperament, ist also zugleich eine Schwäche. Nie seit 1998 war eine WM-Mannschaft so offensiv programmiert. Zum ersten Mal seit 1998 heisst es nicht «safety first». In lichten Momenten entwickeln wir so viel Tempo wie die Russen oder die Kanadier.
Es ist im letzten Vorbereitungsspiel sogar gelungen, nach einem 0:3 die robusten Deutschen vom Eis zu fegen (4:3 n.V). Aber zugleich ist diese Spektakel-Equipe defensiv zerbrechlich wie nie seit 1998. So wenig defensive Wasserverdrängung, so wenig Einschüchterungspotenzial hatten wir in der Neuzeit nie.
Diese offensive Ausrichtung entspricht dem Temperament der Spieler. Sie sind mit einer bemerkenswerten Leidenschaft bei der Sache. Wir können auch sagen: sie sind leidenschaftlich (defensiv) zerbrechlich. Dazu passt, dass der talentierteste Spieler auch der kleinste und leichteste ist: Zugs Lino Martschini (165 cm/68 kg). Die Mannschaft hat mit zehn Neulingen (inkl. Torhüter Mayer) so wenig Erfahrung wie nie mehr seit 2002. Fehlende internationale Routine erschwert taktisches Hockey, taugt aber nicht als Ausrede. 2013 haben wir mit sieben WM- Neulingen das WM-Finale erreicht.
Wir können natürlich die Frage stellen: Ist das Herumreiten auf der Taktik heute überhaupt noch nötig? Wenn der 13. Stürmer (Lino Martschini) so gut ist, dass er im Spiel gegen Deutschland die Differenz machen kann, dann sind wir spielerisch inzwischen so gut, dass wir den Rollator der Taktik nicht mehr ständig brauchen, um das Viertelfinale zu erreichen.
Eine Laune des Spielplans will es, dass wir es in den vier ersten Partien durchwegs mit Gegnern zu tun haben, die im Vorwärtsgang, mit spielerischen Mitteln bezwungen werden können: Kasachstan, Norwegen, Dänemark und Lettland. Nach vier von sieben Spielen werden wir bereits wissen, ob wir gescheitert sind oder nicht.
Die offensive Vorwärtsstrategie macht schon Sinn. Unsere Spieler sind besser geworden. Es geht, wenn uns die Hockeygötter beistehen, auch ohne taktische Blaupause. Trainer-Zauberlehrling Patrick Fischer hat zwar in Lugano die offensiven Geister geweckt und sie dann nicht mehr unter Kontrolle gebracht – wie Goethes Zauberlehrling. Er hat als Nationaltrainer erneut die offensiven Geister gerufen.
Aber anders als in Lugano sind die Chancen intakt, im Sprint eines Turniers im Vorwärtsgang allen defensiven Unzulänglichkeiten davonzulaufen und die Viertelfinals zu erreichen. Wir dürfen uns so oder so auf beste spielerische und sonstige Unterhaltung freuen.