Wer sich seriös mit Eishockey befasst, sich an Fakten hält und billige Polemik verabscheut, kommt nicht darum herum, Zug als Titelkandidaten zu bezeichnen.
Die Zahlen sind eindeutig. Seit dem Sturz in die Playouts (2014) steigt Zug jedes Jahr höher. 4. Rang 2015 und 2016, 3. Platz 2017 und im letzten Frühjahr haben die Zuger die Qualifikation gar auf dem 2. Platz abgeschlossen. Und da Sportchef Reto Kläy weiter aufgerüstet hat, wären jetzt eigentlich der erste Qualifikations-Gesamtsieg seit 2012 und der nächste Final nach 2017 logisch.
Dem enormen spielerischen Potenzial der Zuger steht aber eine kuriose Unwissenheit gegenüber: Nur drei Spieler haben in ihrer Profikarriere einen wichtigen Titel gewonnen haben: Viktor Stalberg (2013 Stanley-Cup in Chicago), Dario Simion (2015 Meister mit Davos) und Sven Senteler (2014 Meister mit Zürich). Carl Klingberg ist zwar 2017 mit Schweden Weltmeister geworden. Aber fürs Finale war er auf die Tribüne verbannt worden.
Zugs Leistungskultur wird also nach wie vor von tapferen Helden der Qualifikation und freundlichen Don Quichottes der Playoffs (Tobias Stephan, Lino Martschini, Raphael Diaz) geprägt. Logisch wäre eigentlich die Verpflichtung eines meisterlichen Bandengenerals mit dem «Herrschaftswissen» des Meistermachens. Aber nach der freundlichen Verabschiedung von Harold Kreis kommt ein neuer Trainer, der nicht einmal weiss, wie man eine Playoff-Serie gewinnt.
Ist also Dan Tangnes Zugs nächster glückloser Verlierer? Oder führt der Norweger die Zuger endlich zum zweiten Titel nach 1998? Er ersetzt Harold Kreis, der sein Büro trotz eines Vertrages bis 2019 geräumt hat und nun in Düsseldorf an der Bande steht. Dan Tangnes hat bisher nur in Schweden gearbeitet. Bereits mit 32 war er bei Rögle Cheftrainer in der höchsten schwedischen Liga (SHL). Er gilt als fachkundiger, smarter und kommunikativer Ausbildner, hat aber in der SHL jede Playoff-Serie verloren. Zuletzt ist er mit Linköping drei Mal in Serie im Viertelfinal gescheitert.
Ist er also ein Verlierer? Nicht ganz. Er hat viele Spieler ausgebildet: William Nylander (heute Toronto), Hampus Lindholm (Anaheim), Jakub Vrana (Washington) und Gustav Forsling (Chicago). Er passt also zu einem Hockeyunternehmen, das eine Hockey-Akademie und ein Farmteam betreibt.
Der neue EVZ-Trainer hat sich im Frühjahr in Linköping aus dem weiterlaufenden Vertrag verabschiedet und in Zug für zwei Jahre unterschrieben. Mit der Begründung, er brauche eine neue Motivation. Erfolgreiche Nachwuchsförderung hin, Nachwuchsförderung her: Er wird in Zug letztlich nicht in erster Linie daran gemessen, ob er einige Spieler besser macht. «It's all about winning, stupid!» Gewinnt er in zwei Jahren wieder keine Playoff-Serie, wird Daniel Giger im Frühjahr 2020 den nächsten Trainer nach Zug vermitteln.
Aber wir sollten uns hüten, Dan Tangnes voreilig als Verlierer zu bezeichnen. Nach vier Jahren taktisches «Armee-Turnprogramm» unter dem stockkonservativen Harold Kreis wirkt der neue Führungsstil eines modernen Hockeytrainers belebend und weckt neue Kräfte. Die Arbeit unter dem neuen Trainer muss den Spielern fast vorkommen wie eine Umstellung vom Festnetztelefon auf ein Smartphone.
Nein. Zugs Sportchef Reto Kläy hat am 6. August 2018 die Verpflichtung von Berns Leonardo Genoni für fünf Jahre ab der Saison 2019/20 verkündet. Das bedeutet, dass Tobias Stephan in dieser Saison in Zug seine «Abschiedstour» macht. Das ist kein Problem. Denn auch er hat seine Zukunft geregelt und wird im Sommer 2019 nach Lausanne zügeln. Genoni ist einer der wichtigsten Transfers in Zugs Geschichte und signalisiert unmissverständlich: Wir wollen endlich wieder Meister werden! Logisch. Sonst würde dieser Transfer ja gar keinen Sinn machen. Für ein bisschen Spektakel in der Qualifikation, ein wenig Ausbildungs-Folklore und ein frühzeitiges Saisonende im März wäre ja Tobias Stephan gut genug.
So ergibt sich eine interessante Konstellation: Wenn die Zuger diese Saison zum vierten Mal in den letzten fünf Jahren bereits im Viertelfinale scheitern, passiert gar nichts. Denn es gilt ja erst ab der Saison 2019/20 ernst. Wenn Leonardo Genoni da ist. Den Zugern bleibt eine letzte Saison in einem milden Leistungsklima ohne ultimativen Leistungsdruck. Durchaus denkbar, dass diese Ausgangslage stimulierend wirkt.
Die DNA dieser Mannschaft ist offensiv und der Wechsel von einem stockkonservativen zu einem modernen Trainer wirkt befreiend. Die Zuger werden dynamischer, offensiver und spektakulärer spielen und haben so viel Substanz, dass es für einen Platz unter den ersten vier reichen wird.
Nicht mehr Aussenseiter, aber noch kein Titan: Biel ist beim Aufstieg vom Aussenseiter zu den Gipfeln des Ruhmes an der gefährlichsten Stelle angelangt.
Biel ist in. Biel ist cool. Biel rockt. Rang drei in der Qualifikation. Erstmals seit 28 Jahren im Halbfinale. Zehn Jahre nach dem Wiederaufstieg (2008) ist aus dem Playoutkandidaten ein Spitzenteam geworden. Zumindest auf dem Papier.
Inzwischen wird die Konkurrenz jedes Jahr mit einem grossen Transfer geschockt: Nacheinander sind Jonas Hiller (2016), Beat Forster (2017), Damien Brunner und Damien Riat (2018) nach Biel gekommen und trotzdem werden schwarze Zahlen geschrieben. Von der Aufstiegsmannschaft von 2008, vom «alten» Biel, ist nur noch Captain Mathieu Tschantré da.
Biel, wie hoch willst du noch hinaus? Aber ist Biel wirklich schon ein Grossklub, ein stabiles Spitzenteam? Nein. Eine grandiose Saison macht noch keinen Grossklub.
Noch fehlt Biel das Fundament, das nur über die Jahre in der Spitzengruppe gebaut werden kann. Nach wie vor ist Biel dem Verpassen der Playoffs näher als dem nächsten Titel und auf dem Weg nach oben an der gefährlichsten Stelle angelangt: am Punkt, an dem die Erwartungen höher sind als die Substanz. Oder polemisch können wir es so sagen: Mit einem Bein steht Biel im Finale, mit dem anderen nach wie vor in den Playouts.
Nach wie vor ist Biel stärker von Einzelspielern und dem ausländischen Personal abhängig als langjährige Spitzenteams wie Bern, die ZSC Lions, Zug oder Lugano. Die Leitwölfe der Defensive sind ergraut. Torhüter Jonas Hiller ist 36 Jahre alt, Verteidigungsminister Beat Forster 35, und er wird wegen einer Blessur erst einmal drei Monate fehlen.
Gelingt es, die Geduld auch dann zu bewahren, wenn die Erwartungen noch nicht erfüllt werden können? Wird die Mannschaft weiterhin kontinuierlich ergänzt und die Entwicklung nicht mit «Geld-Transfers» beschleunigt? Das ist die ganz grosse Herausforderung für das Management.
Bei dieser heiklen Ausgangslage spielt der Trainer eine zentrale Rolle. Antti Törmänen ist Finnlands smarte Antwort auf Kevin Schläpfer. Nun mag dieser Vergleich etwas weit hergeholt sein. Immerhin war Antti Törmänen Weltmeister (1995), Kevin Schläpfer reichte es hingegen nicht einmal für eine richtige NLA-Spieler-Karriere. Und doch sind beide in ihrem Wesen und Wirken ähnlich: zwei «Spielerversteher», die mehr auf Selbstverantwortung als auf Kontrolle setzen und auch sensiblen, schwierigen Spielern die Entfaltung des Talentes ermöglichen. Zwei charismatische Hexenmeister der Kommunikation. Zwei taktische Nonkonformisten, die schnelles, kreatives Spektakelhockey dem defensiven Schachspiel vorziehen. Und schliesslich zwei, die nach erstaunlichen Erfolgen bei uns doch gescheitert sind: Kevin Schläpfer ist kurz nach dem Höhepunkt seiner Karriere (einem Angebot, Nationaltrainer zu werden) in Biel des Amtes enthoben worden. Antti Törmänen wurde in Bern 2013 als Titelverteidiger gefeuert.
Antiautoritäre Trainer passen zu Biels DNA. Kevin Schläpfer führte die Bieler als Sportchef und Trainer aus den Niederungen der NLB bis in die NLA-Playoffs. Antti Törmänen hat sie gleich in seiner ersten Saison auf Platz 3 in der Qualifikation und ins Playoff-Halbfinale gebracht.
Dass Biels Platz auf den Gipfeln unseres Hockeys nach wie vor nicht gefestigt ist, hat sich im letzten Frühjahr in den Playoffs gezeigt. Die Mannschaft verspielte im Halbfinal gegen Lugano eine 2:0-Serienführung und einen 3:0-Vorsprung in der dritten Partie vor eigenem Publikum. Und wir haben nicht vergessen, wie in Bern die Spieler die Freiheiten ausgenützt haben, die ihnen Antti Törmänen grosszügig gewährte. Diese SCB-Geschichte muss sich nicht wiederholen. Aber der guten Ordnung halber sei daran erinnert.
Ja, aber … Nach wie vor ist Jonas Hiller eine grosse Spielerpersönlichkeit, die mit ihrer Präsenz die Kabine füllt und auf dem Eis jeden Spieler besser macht. Er ist also immer noch ein grosser Torhüter. Aber er ist nicht mehr dazu in der Lage, alle 50 Partien in der Qualifikation zu bestreiten. Eine der heiklen Aufgaben von Antti Törmänen ist der «dosierte» Einsatz seines Torhüters. Also die Sensibilität dafür, wann es Zeit ist, ihm eine Ruhepause zu gönnen.
Biel eignet sich ganz und gar nicht für Wetten. Die Mannschaft kann an einem guten Abend jeden Gegner vom Eis fegen. Aber sie ist noch nicht genug gefestigt, um als Spitzenklub zu gelten, und kann an einem schlechten Abend gegen jeden Gegner verlieren. Für die Playoffs wird es jedoch auf jeden Fall reichen. Im Normalfall erreicht Biel mindestens Rang 5.
Die Titanic des welschen Hockeys wird einem Lehrling anvertraut. Aber Ville Peltonen weiss wie kaum ein anderer, dass viel Geld noch lange nicht viel Ruhm bedeutet.
Wenn je die Bezeichnung «Titanic» zu einem Hockeyteam passte, dann beim HC Lausanne. So viel Geld ist in der über hundertjährigen Geschichte des welschen Hockeys noch nie in ein Team investiert worden.
Wer heute in Lausanne weniger als 400'000 Franken verdient, hat in der Kabine ungefähr den gleichen Status wie in Bern oder Zürich ein Junior mit Ausbildungsvertrag. Die Lohnsumme ist nicht viel kleiner als bei den meisterlichen ZSC Lions. Wie einst Lugano macht auch Lausanne keine Angaben zum Budget.
Manager Sacha Weibel und Sportdirektor Jan Alston führen den HC Lausanne also herrlichen Zeiten entgegen. Die Gegenwart ist allerdings noch ein wenig trist. Lausanne hat letzte Saison nicht den Eindruck eines künftigen Finalisten oder gar Meisters hinterlassen.
Es ging vielmehr so zu und her, wie wir uns in der Deutschschweiz welsches Operettenhockey vorstellen. Drei Trainer (Dan Ratushny, Yves Sarault, John Fust) und trotzdem mit dem teuersten Team der Klubgeschichte der Absturz auf den 10. Platz. Die langfristigen Perspektiven haben sich dadurch nicht verändert. Im Selbstverständnis des Managements ist der Absturz der letzten Saison bloss ein Betriebsunfall auf dem Weg zum grossen Ruhm.
Lausanne wird ab Herbst 2019 mit dem Einzug ins neue Stadion (auch WM-Arena 2020) die Nummer 1 in der Westschweiz sein. Architektonisch gibt es kein Risiko. Wirtschaftlich steht der Aufschwung des Klubs, der noch nie Meister war, nach wie vor auf unsicherem Grund. Der milliardenschwere Amerikaner Ken Stickney investiert in das Sportunternehmen Lausanne, weil er davon ausgeht, dass in der neuen Arena endlich, anders als vorher in Kloten, ordentlich Geld verdient werden kann. Bleibt die Rendite jedoch aus, können wir nicht ausschliessen, dass er Lausanne dem Schicksal überlassen wird wie zuvor Kloten. Aber das ist eine boshafte Anmerkung eines Deutschschweizers, der die neue Herrlichkeit des welschen Hockeys nicht versteht.
Item, nächste Saison werden wir wenigstens die Antwort auf die Frage bekommen, ob der Zauberlehrling Ville Peltonen der richtige Trainer ist, um aus Lausanne einen sportlichen Titanen zu machen. Der Trainer steht in Lausanne im Mittelpunkt jeder Analyse. Denn hier wird theoretisch fast meisterliche sportliche Substanz einem Lehrling anvertraut. Allerdings einem Lehrling, der mit den Tücken der Chemie von «Geld & Geist» aus eigener Erfahrung vertraut ist: Er hat als Leitwolf auf dem Eis Lugano 2006 zum bisher letzten Titel geführt.
Die Hoffnungen sind gross. Noch nicht oft ist ein Trainer-Frischling schon vor seinem ersten Spiel so gefeiert worden wie Ville Peltonen. Ein grosser Name. Als Spieler hat der Finne fast alles erreicht. Er war Weltmeister, finnischer Meister, Schweizer Meister, er brachte es auf 382 NHL-Spiele und drei Olympia-Medaillen, er ist in die IIHF-Ruhmeshalle («Hall of Fame») eingezogen und führte Jokerit, das finnische WM-Team und Lugano als Captain.
Und ganz wichtig: Er hat seit dem Rücktritt (2014) als «Ziehsohn» von Kari Jalonen die bestmögliche Trainer-Lehre absolviert: Er assistierte Berns Meistercoach erst bei der finnischen Nationalmannschaft und anschliessend während den letzten zwei Jahren beim SC Bern. Hier kümmerte er sich um die Verteidiger und übte das Powerplay ein. Bern kassierte letzte Saison am wenigsten Gegentreffer und zelebrierte das beste Powerplay. Seine Philosophie fasst er so zusammen: «Angriff ist die beste Verteidigung. Und Verteidigung ist der beste Angriff.»
Ville Peltonens Autorität ist also vorerst unbestritten. Die Frage ist nur, wie viel er mit der skandinavischen Neigung zum Vertrauen auf Selbstverantwortung der Spieler toleriert. Er dürfte viel Verständnis haben. Schliesslich hatte er als Spieler auch hin und wieder gerockt. 2007 ist er in Miami Beach als NHL-Profi der Florida Panthers verhaftet worden. Weil er betrunken ein Feuerwehrauto demoliert hatte.
Eigentlich passt diese Episode zu seiner Hockey-Philosophie und wir können sie abändern in «Stürmen und verteidigen wie die Feuerwehr». Er muss in Lausanne bloss darauf achten, dass seine spielerische Feuerwehr nicht ständig zum falschen Feuer rennt.
Nein. Der Aufstieg von Lausanne in die höchste Liga (2013) und dann dort in die obere Tabellenhälfte ist eng mit Torhüter Cristobal Huet verbunden. Er tritt nun im Alter von 43 Jahren in den Ruhestand und wird Torhüter-Trainer. Seine Nachfolger Sandro Zurkirchen (28) und Luca Boltshauser (25) sind talentiert. Aber nicht einmal Sportchef Jan Alston traut ihnen zu, in den Schuhen von Cristobal Huet zu stehen. Deshalb hat er jetzt schon für die Saison 2019/20 Zugs Tobias Stephan unter Vertrag genommen. Eine heikle Situation für Ville Peltonen. Wie kann er das Selbstvertrauen seiner Goalies stärken, wenn das Management schon entschieden hat, dass keiner zur künftigen Nummer 1 taugt? Einer von beiden wird am Ende der Saison trotz eines bis 2020 laufenden Vertrages gehen müssen.
Lausanne hat zwar noch einmal nachgerüstet, ist aber nach wie vor kein Spitzenteam und in einer ähnlichen Situation wie Biel und daher für Spielwetten nicht geeignet. Allerdings hat Lausanne, anders als Biel, keine den Leistungen entsprechende Salär-Hierarchie und damit eine heiklere Team-Chemie. Der neue Trainer Ville Peltonen könnte eine Anfangseuphorie entfachen und Lausanne einen milden Herbst mit einer Klassierung in der oberen Tabellenhälfte bescheren. Der Höhenflug wird wahrscheinlich nicht anhalten. Aber für die Playoffs reicht es und für eine klare Verbesserung der letztjährigen Klassierung (10.) auf jeden Fall.