Sport
Eismeister Zaugg

Hockey-WM 2017: Eismeister Zaugg über das Ausscheiden der Schweizer Nati

Switzerland’s player react after their Ice Hockey World Championship quarter final match between Switzerland and Sweden in Paris, France on Thursday, May 18, 2017. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Hängende Köpfe bei der Schweizer Hockey-Nati nach der Niederlage gegen Schweden.Bild: KEYSTONE
Eismeister Zaugg

Zu hoch geflogen, rausgeflogen – aber die WM 2017 kann mehr bringen als die Silber-WM 2013

Die Schweiz verliert ein Viertelfinale gegen Schweden 1:3 (1:1, 0:1, 0:1), das sie mit Glück hätte gewinnen können. Aus dieser WM lässt sich mehr machen als aus der Silber-WM von 2013.
19.05.2017, 05:3419.05.2017, 14:00
Mehr «Sport»

Warum hat es wieder nicht gereicht? Ganz einfach: Die Schweizer waren offensiv zu wenig gut. Wieder einmal. Wir sind auf diesem Niveau ganz offensichtlich nur dazu in der Lage, dann, wenn es wirklich zählt, mit den besten Stürmern, den besten Verteidigern etwas zu bewegen – mit dem NHL-Titanen Nino Niederreiter und Roman Josi. Wie 2013 in Stockholm. Da haben wir zum einzigen Mal seit 2000 (3:5 gegen Kanada) in einem Viertelfinale mehr als einen Treffer erzielt und gegen Tschechien 2:1 gewonnen. Den Siegestreffer erzielte Roman Josi.

Wie einst Ikarus

Es ist eine bittere Ironie des Hockeyschicksals, dass die Schweizer gegen die Schweden bei einer zu offensiven Spielweise in der Offensive gescheitert sind. Sie flogen zu hoch, kamen der Sonne der Sensation zu nahe und stürzten ab wie einst Ikarus.

Da es ein dramatisches Finale war, passt ein bildhafter Vergleich mit Ikarus, einer Figur aus der griechischen Mythologie. Er stieg trotz der Warnung seines Vaters so hoch hinauf, dass die Sonne das Wachs seiner Flügel schmolz, woraufhin sich die Federn lösten und er ins Meer stürzte.

So ist es den Schweizern ergangen. Sie flogen im zweiten Drittel (das sie mit 13:9 Torschüssen dominierten) offensiv trotz der Mahnungen ihres Trainers zur defensiven Absicherung höher, immer höher und schliesslich zu hoch. Zu hoch geflogen, aus dem Turnier geflogen.

Noch selten ist Schweden in einem «Alles-oder-nichts-Spiel» bei einer WM so unter Druck geraten wie in diesem zweiten Drittel. Die Schweizer setzen sich gegen eine Abwehr aus lauter NHL-Verteidigern immer wieder durch, scheitern aber an Henrik Lundqvist, einem der besten NHL-Torhüter.

Ein «tödlicher» Konter brachte die Entscheidung, den Absturz. Raphael Diaz, euphorisiert von seinen vorwärtsfliegenden Kameraden, wagt sich zu weit vor, das Wachs an den defensiven Flügeln schmilzt, um beim Bild von Ikarus zu bleiben. Er kommt beim Gegenangriff zu spät, der brave Christian Marti ist zu langsam und Leonardo Genoni hat kein Glück. Schweden führt 2:1. Der Anfang vom Ende der bittersten Niederlage dieses Turniers.

Das 2:1 durch Schweden: Die Vorentscheidung.Video: streamable

Glückskonto aufgebraucht

Ob es gelungen wäre, eine Führung (ein 3:1 nach zwei Dritteln lag in der Luft) über die Zeit zu retten, ist allerdings fraglich. Aber mit Glück wäre ein Sieg in dieser ausgeglichenen Partie (27:29 Torschüsse) möglich gewesen. Am Ende ist es wohl so, dass Patrick Fischer im Laufe dieses Turniers vom «Glückskonto» zu viel Guthaben beziehen musste.

Das letzte Guthaben musste er hergeben, um dieses Viertelfinale auszugleichen. Das 1:1 von Gaëtan Haas – er war der beste Schweizer in dieser Partie – ist ein Eigentor von Verteidiger Oliver Ekman-Larsson. Von seinem Schlittschuh prallt der Puck in die winzig kleine Lücke, die zwischen den Schonern seines Goalies offengeblieben ist. Ein sehr, sehr glückliches Tor – und nur mit weiterhin so viel Beistand der Hockey-Götter wäre es wohl möglich gewesen, in einer so intensiven, hochstehenden Partie weitere Tore zu erzielen und zum ersten Mal in der Geschichte ein «WM-Playoff-Spiel» gegen Schweden zu gewinnen.

Dieser Beistand blieb den Schweizern versagt. Dominik Schlumpfs regulärem Anschlusstor zum 3:2 (56. Min.) bleibt die Anerkennung versagt. Weil die Schiedsrichter das Spiel zu früh unterbrochen hatten. Und es passt auch ins Gesamtbild, dass Raphael Diaz, dieser oft so glücklos, aber immer aufopfernd kämpfende «Captain Winkelried», in der Schlussphase von einem Puck am Kopf getroffen wird und das Spiel nicht beenden kann. Wahrlich, es war wirklich kein Guthaben mehr auf unserem Glückskonto.

Viel Pech: Schlumpfs Anschlusstreffer zählt nicht.Video: streamable

Eines der spektakulärsten WM-Turniere seit dem Wiederaufstieg von 1998 (aus Schweizer Sicht) hat ein dramatisches, aufwühlendes und letztlich doch versöhnliches Ende gefunden. Was mit einem Operetten-Spiel (5:4 n. P. nach einer 4:0-Führung) gegen Auf- und Absteiger Slowenien begonnen hat, endet mit einem Spiel auf Augenhöhe mit einem der Titanen des Welthockeys.

Vorfreude auf Olympische Spiele 2018

Die ganz besondere Qualität der Schweizer in Paris: Die «weichen Faktoren» stimmten: die Disziplin, der Zusammenhalt, die Leidenschaft. Dafür ist in allererster Linie der Trainer mit seinem Coaching-Team verantwortlich. Das wichtigste Erbe von Paris 2017 sorgt dafür, dass das so bleiben wird: Nationaltrainer Patrick Fischer hat seine Rolle im Laufe des Turniers mit viel Glück gefunden und seine Position ist jetzt gefestigt. Die Zusammenarbeit mit Taktik-Lehrer Tommy Albelin trägt Früchte und der temperamentvolle Christian Wohlwend bringt Emotionen und Energie ins Team.

Ein charismatischer Nationaltrainer mit Schweizer Pass, also ein hockeytechnischer «Eidgenosse», ist der beste Werbeträger für unsere Nationalmannschaft. Nun ist Patrick Fischer der «Posterboy» unseres Hockeys. Paris 2017 hat die Popularität, den Werbewert und die hockeypolitische Bedeutung der Nationalmannschaft gegenüber den Klubs verbessert. Noch steht Patrick Fischers Glück auf dünnem Eis – aber es ist gerade wegen Patrick Fischers politischer und kommunikativer Begabung möglich, aus der WM 2017 hockeypolitisch in der Schweiz mehr zu machen als aus der Silber-WM 2013.

Paris 2017 weckt auch deshalb grosse, kühne Hoffnungen. Die Schweiz ist mit einem einzigen NHL-Vertreter (Denis Malgin) denkbar knapp an einem Gegner mit 19 Spielern aus der NHL gescheitert. Die NHL-Stars dürfen beim olympischen Turnier im nächsten Februar nicht mitspielen (so sieht es jedenfalls Stand heute aus). Schweden ohne seine 19 NHL-Profis hätten wir gestern besiegt. Die Träume von der ersten olympischen Hockey-Medaille der Männer seit 1948 in St.Moritz sind keine Schäume. Es ist eine riesige, realistische Chance für unser Hockey. Dort dürfen wir noch einmal zu einem Höhenflug aufsteigen und die Sonne (die Gegner) ist dann nicht so stark, dass wir wieder abstürzen wie einst Ikarus.

Unvergessene Eishockey-Geschichten
Bobby Orr entscheidet mit dem «Flying Goal» den Stanley-Cup-Final
Bobby Orr entscheidet mit dem «Flying Goal» den Stanley-Cup-Final
von Ralf Meile
Ralph Krueger schreibt das wichtigste SMS der Schweizer Hockey-Geschichte 
8
Ralph Krueger schreibt das wichtigste SMS der Schweizer Hockey-Geschichte 
von Klaus Zaugg
Deutschland verpasst die grosse Sensation, weil der Puck auf der Linie kleben bleibt
Deutschland verpasst die grosse Sensation, weil der Puck auf der Linie kleben bleibt
von Ralf Meile
NHL-Star Darryl Sittler stellt einen Rekord für die Ewigkeit auf
1
NHL-Star Darryl Sittler stellt einen Rekord für die Ewigkeit auf
von Adrian Bürgler
04.01.1987: Als nach der grössten Prügelei aller Zeiten die Lichter ausgingen und ein Spiel die Eishockey-Welt veränderte
04.01.1987: Als nach der grössten Prügelei aller Zeiten die Lichter ausgingen und ein Spiel die Eishockey-Welt veränderte
von Klaus Zaugg
16.01.1905: Nach 23 Tagen Anreise werden die Dawson City Nuggets im Stanley-Cup-Final mit 2:23 vermöbelt
1
16.01.1905: Nach 23 Tagen Anreise werden die Dawson City Nuggets im Stanley-Cup-Final mit 2:23 vermöbelt
von Ralf Meile
19.10.1996: Del Curto klärt seine Spieler auf: «Zum Schiri nüma ‹Fuck you› sägä, äs git zwei Minuta, hä!»
2
19.10.1996: Del Curto klärt seine Spieler auf: «Zum Schiri nüma ‹Fuck you› sägä, äs git zwei Minuta, hä!»
von Reto Fehr
24.02.2006: Neunmal das F-Wort in einer Minute – Greg Holst macht sich mit legendärem Ausraster-Interview unsterblich
24.02.2006: Neunmal das F-Wort in einer Minute – Greg Holst macht sich mit legendärem Ausraster-Interview unsterblich
von Syl Battistuzzi
14.05.2008: Philippe Furrer schiesst das kurioseste Eigentor der Schweizer Hockey-Geschichte
14.05.2008: Philippe Furrer schiesst das kurioseste Eigentor der Schweizer Hockey-Geschichte
von Klaus Zaugg
10.10.1979: Ein gewisser Wayne Gretzky bestreitet sein erstes Spiel in der NHL – er wird sämtliche Rekorde pulverisieren
3
10.10.1979: Ein gewisser Wayne Gretzky bestreitet sein erstes Spiel in der NHL – er wird sämtliche Rekorde pulverisieren
von Ralf Meile
18.02.2006: Die «Eisgenossen» spielen kanadischer als die Kanadier und rächen sich für eine uralte Schmach
2
18.02.2006: Die «Eisgenossen» spielen kanadischer als die Kanadier und rächen sich für eine uralte Schmach
von klaus zaugg
11.03.1979: NHL-Haudegen Randy Holt prügelt sich zu einem bis heute gültigen Rekord – 67 Strafminuten in einem einzigen Spiel
11.03.1979: NHL-Haudegen Randy Holt prügelt sich zu einem bis heute gültigen Rekord – 67 Strafminuten in einem einzigen Spiel
von Ralf Meile
08.04.1980: Sie wissen nicht, was sie tun, als sich zwei Schweden als erste Hockeyspieler einen Playoff-Bart wachsen lassen
08.04.1980: Sie wissen nicht, was sie tun, als sich zwei Schweden als erste Hockeyspieler einen Playoff-Bart wachsen lassen
von Ralf Meile
28.01.2009: Die Zürcher Löwen krönen sich zu Europas Eishockey-Königen
8
28.01.2009: Die Zürcher Löwen krönen sich zu Europas Eishockey-Königen
von Klaus Zaugg
24.03.1936: Im längsten Hockey-Spiel aller Zeiten fällt das goldene Tor erst im 9. Drittel – um 2.35 Uhr nachts
24.03.1936: Im längsten Hockey-Spiel aller Zeiten fällt das goldene Tor erst im 9. Drittel – um 2.35 Uhr nachts
von Klaus Zaugg
28.12.1999: «La Montanara» erklingt in Berlin – Ambri krönt sich zum europäischen Champion
28.12.1999: «La Montanara» erklingt in Berlin – Ambri krönt sich zum europäischen Champion
von Reto Fehr
31.03.2009: Nie haben wir uns mehr über ein Tor gegen die Schweizer Nati gefreut als bei Omarks Penalty-Trick
3
31.03.2009: Nie haben wir uns mehr über ein Tor gegen die Schweizer Nati gefreut als bei Omarks Penalty-Trick
von Ralf Meile
22.09.2012: Rick Nash meldet sich mit einem Blitz-Hattrick in der Schweiz zurück
22.09.2012: Rick Nash meldet sich mit einem Blitz-Hattrick in der Schweiz zurück
von Sandro Zappella
30.12.1981: Wayne Gretzky schafft den verrücktesten seiner Rekorde: 50 Tore in 39 NHL-Spielen
30.12.1981: Wayne Gretzky schafft den verrücktesten seiner Rekorde: 50 Tore in 39 NHL-Spielen
von Klaus Zaugg
26.12.1993: Dank Chomutow und Bykow träumt Aufsteiger Davos vom ersten Spengler-Cup-Titel seit 35 Jahren
26.12.1993: Dank Chomutow und Bykow träumt Aufsteiger Davos vom ersten Spengler-Cup-Titel seit 35 Jahren
von Philipp Reich
Amerikas College-Boys erlegen den russischen Bären
Amerikas College-Boys erlegen den russischen Bären
von peter blunschi
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
16 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
kupus@kombajn
19.05.2017 08:11registriert Dezember 2016
Prägender Fortschritt zu 2016: Defensive wurde geordnet und stabilisiert, ohne dass es zu sehr auf Kosten des Offensivspektakels ging. Das war wohl der Schlüssel des Erfolgs. In den Gruppenspielen hat man gegen Teams der Big6 gerade mal 6 Tore (inkl. Overtime) zugelassen. Das ist ein hervorragender Wert. Die Kehrseite: gegen SLO und FRA lässt man 7 zu. Gut, gegen SLO wurde die Überheblichkeit bestraft.

Moral und Kampf passten (ausser gegen SLO). Weiter aufgefallen: die Pucksicherheit. Das war teilweise schon Weltklasse, besonders von Malgin.

Jetzt fehlt eigentlich nur noch die Effizienz.
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
Crowgirl
19.05.2017 06:03registriert März 2017
Toll waren ja die drei Tore die Schweden geschossen hat und das einzige das die Schweiz schoss,wirde nicht gezählt...verflucht seien die Hockeygötter!
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
hampe
19.05.2017 07:28registriert Mai 2017
Diese CH Boys haben mir grosse Freude gemacht! Bravo und hopp Schwiiz!
00
Melden
Zum Kommentar
16
Shcweizer Bronze an MTB-WM +++ Premier League wirft Chelsea 74 Verstösse vor
Die wichtigsten Kurznews aus der weiten Welt des Sports.
Zur Story