Schon wieder die Slowakei! Diese Woche bereist die Schweizer Hockey-Nati zum 16. Mal seit 1997 die Slowakei. Wenn sie den Halbfinal des Turniers in Nitra am Freitag gegen Weissrussland gewinnt, tritt sie am Samstag zum 65. Mal gegen die Slowaken an.
Für den Hockey-Chronisten sind Reisen in die Slowakei längst zur Definition der Langeweile geworden. Wer indes ein Flair für Kultur und Geschichte hat, freut sich jedes Jahr auf den Ausflug ins obere Ungarn. Oberungarn hiess das heutige slowakische Staatsgebiet, als es zur österreichisch-ungarischen Vielvölkermonarchie gehörte.
Vor bald 100 Jahren (im Herbst 1918) ist dieses Staatsgebilde, das Zeitgenossen als «Völkergefängnis» verdammten (aber inzwischen von der Geschichte milde beurteilt wird), aufgelöst worden. Es verteilt sich heute auf mehr als zehn Länder. Und so wird die Hockey-Expedition im Februar eine Zeitreise zurück in eine längst vergessene Welt, in der eine Sissi die Kaiserin und kein verweichlichter Hockeyspieler war. In wunderbare alte Städte, die einst deutsche Namen trugen und von freundlichen Menschen bewohnt werden. Eine Welt, die in den Büchern des Dichterfürsten Joseph Roth weiterlebt.
Wir waren schon in Deutschendorf (Poprad), in Bad Püschtin (Piestany), wo einst Napoleon badete, in Neusohl (Bansky Bystrica), Zipser Neudorf (Spisska Nova Ves), Kaschau (Kosice) und Pressburg (Bratislava). Diese Woche besuchen wir Neutra (Nitra). Immer nach dem gleichen Muster: Im Flugzeug in die alte Kaiserstadt Wien und von dort aus mit der Benzinkutsche auf der Autobahn in flotter Fahrt gen Osten.
Aber warum bereisen wir keine andere Weltgegend so intensiv wie das alte Oberungarn? Nun, die Zeit ist eben auch in den internationalen Hockey-Beziehungen stehen geblieben. Wir haben zwar 2013 den WM-Final erreicht. Aber dieser historische Triumph ändert nichts daran, dass wir hockeypolitisch nach wie vor am Katzentisch Platz nehmen müssen.
Die vier Grossen (Russland, Tschechien, Schweden und Finnland) spielen jedes Jahr im November, im Dezember und Februar unter sich ein Vierländerturnier aus. Die Stadien sind gut gefüllt, die TV- und Werbeverträge lukrativ. Seit Jahren versuchen die «Kleinen» vergeblich, diese Vetternwirtschaft zu beenden. Die Ablehnung wird immer gleich begründet: Die Termine seien zu knapp für ein Turnier mit fünf oder sechs Teams. Man müsse sich auf vier Mannschaften beschränken.
Auch Verbands-Sportdirektor Raeto Raffainer hat wieder einmal einen Anlauf unternommen. «Aber es ist mir nicht anders ergangen als meinen Vorgängern. Es ist einfach nichts zu machen. Die Verträge laufen bis 2021.» Wir können davon ausgehen, dass diese Verträge verlängert werden. Selbst die Slowaken haben an diesen Zuständen nichts ändern können – und sie sind als Weltmeister von 2002 und mehrmalige WM-Finalisten sportlich nach wie vor eine Nummer grösser als wir.
Und so muss unsere Nationalmannschaft im November, im Dezember und im Februar Jahr für Jahr gegen die internationalen Hinterbänkler testen. Gegen zusammengewürfelte Operettenteams der Kanadier und der Amerikaner, gegen Deutschland, Weissrussland, Norwegen, Dänemark, Lettland, Frankreich – oder eben die Slowakei.
Die Slowaken sind für uns sportlich die wertvollsten Gegner. Eine Reise in die Slowakei bringt uns sportlich noch immer am meisten. Deshalb haben wir gegen keinen anderen Gegner so oft geübt wie gegen die erst 1994 hockeytechnisch eigenständig gewordene Slowakei.
Was bringen uns die Spiele in Oberungarn? Ralph Krueger nützte sie einst (von 1997 bis 2010), um mit der Mannschaft ein System einzufuchsen. Er machte unsere Nationalmannschaft zur taktisch besten der Welt. Er wollte im November, Dezember und Februar mit der bestmöglichen Mannschaft üben und das brachte ihn ständig in Konflikt mit den Klub-Generälen. Die wollen vor allem kurz vor den Play-offs im Februar ihre besten Jungs nicht nach Oberungarn reisen lassen.
Ralph Kruegers Nachfolger Sean Simpson hat die heute übliche Praxis eingeführt. Im Februar müssen die Besten nicht antreten: Nie ist internationaler Ruhm wohlfeiler, billiger als im Februar in Oberungarn. Im Februar sind unter anderem Tim Wolf, Kilian Mottet, Anthony Huguenin oder Samuel Kreis in den erlauchten Kreis der Nationalspieler aufgenommen worden. Sie stehen damit theoretisch auf Augenhöhe mit Leonardo Genoni, Eric Blum oder Martin Plüss. Nationalspieler ist Nationalspieler. Punkt.
Der Nationaltrainer testet in Oberungarn Spieler, bei denen er das Potenzial für spätere WM- oder Olympia-Einsätze auch nur halbwegs vermutet. Nun hat Patrick Fischer die nominell schwächste Nationalmannschaft dieses Jahrhunderts mit elf Neulingen versammelt. Sollte einer von ihnen einst für ein WM- oder Olympia-Turnier aufgeboten werden, so können wir sagen: Es hat alles in Oberungarn begonnen. Darum ist es vielleicht doch gut, fahren wir jedes Jahr im Februar nach Oberungarn.