Die letzten beiden Saisons waren für Formel-1-Fans nur schwer erträglich. In vielen Rennen bot sich an der Spitze gähnende Langeweile: Max Verstappen gewann 2022 15 von 22 Rennen, im letzten Jahr überliess er den Sieg gar nur in drei der 23 Grand Prix einem anderen. Ein völliger Kontrast zur bis zur letzten Runde dramatischen Saison 2021, als sich Verstappen gegen Lewis Hamilton durchsetzte. Die beiden folgenden Triumphe dürften selbst Sympathisanten des Niederländers auf Dauer als nicht besonders spannend empfunden haben.
Umso glücklicher dürften die Freunde des Motorsports über die derzeitige Situation in der Formel 1 sein. Vier verschiedene Sieger gab es in den letzten vier Rennen: Verstappen (Spanien), George Russell (Österreich), Lewis Hamilton (Grossbritannien) und Oscar Piastri (Ungarn). Insgesamt gab es in den 13 Grand Prix dieser Saison bereits sieben verschiedene Sieger – die Ferrari-Piloten Carlos Sainz und Charles Leclerc sowie Lando Norris im McLaren standen ebenfalls schon zuoberst auf dem Podest.
So viele verschiedene Sieger gab es zuletzt 2012, damals waren es gar acht. Aber möglicherweise gesellt sich in den verbleibenden elf Rennen der laufenden Saison ja noch ein weiterer hinzu. Der Rekord mit elf verschiedenen Siegern datiert übrigens aus dem Jahr 1982, als lediglich 16 Rennen ausgetragen wurden.
Zwar ist die Fahrer-Weltmeisterschaft in diesem Jahr aufgrund Verstappens anfänglicher Dominanz schon fast entschieden – der 26-Jährige führt mit 76 Punkten Vorsprung vor Norris – doch ist die Formel 1 trotzdem so spannend wie lange nicht mehr. Zumal die einzelnen Rennen auch echtes Drama bieten. Der Grosse Preis von Ungarn war das beste Beispiel dafür.
Piastris Sieg wurde kontrovers diskutiert, weil diesem eine Stallorder vorherging. Norris musste seinen Teamkollegen auf Befehl von McLaren vorbeilassen, da sich der britische Rennstall bei der Boxenstopp-Strategie verschätzt hatte. So wurden die Reifen an Norris' Boliden zwei Runden vor jenen bei Piastri gewechselt – auch, um einen möglichen Undercut des Drittplatzierten Verstappen zu verhindern – doch gelang es dem Briten dann, seinerseits einen Platz gutzumachen. Das korrigierte McLaren in der Folge, wobei sich Norris lange weigerte und Piastri erst drei Runden vor Schluss vorbeiziehen liess.
Dadurch erhielt der Premierensieg für den Australier einen faden Beigeschmack. Norris' Gemüt war direkt nach dem Rennen noch sichtlich erregt, als er sich vor der Siegerehrung ein Wortgefecht mit Lewis Hamilton lieferte. Piastri erklärte derweil, dass er es als fair empfand, dass Norris ihm den 1. Platz zurückgab, sagte aber auch: «Meine Geschwindigkeit war nicht ganz so gut, wie ich mir erhofft habe.» Grenzenlose Freude nach dem ersten Sieg in der Königsklasse des Motorsports sieht anders aus.
There's not a lot of 'cooling down' going on here, guys... 🔥
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A tense first episode of the Oscar Piastri podcast 😬#F1 #HungarianGP pic.twitter.com/WvnZVBXo15
Immerhin zeigte sich der 24-jährige Norris, der gerne den zweiten Sieg seiner Karriere gefeiert hätte, später einsichtig. Die Enttäuschung war so kurz nach dem Rennen zwar noch nicht verflogen, doch sagte er: «Mir wurde gesagt, dass ich ihn vorbeilassen soll, und das habe ich getan. Es ist sehr hart, weil mir ein Sieg so wichtig ist. Aber ich habe mich in seine Lage versetzt und dann gemerkt, dass ich das Richtige tun muss.»
Anders war dies bei Max Verstappen. Der Frust des dreifachen Weltmeisters über sein Team war auch Stunden nach dem Rennen nicht verflogen. Der Red-Bull-Pilot wetterte über die Strategie, über seine Kritiker und die Rennleitung. «Wir lassen uns undercutten und verkacken dadurch mein Rennen», entfuhr es dem Seriensieger schon am Funk. Danach klagte er: «Die Strategie heute war sehr schlecht. Alles haben wir schlecht gemacht.»
Von Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko bekam Verstappen, der nun in drei Rennen in Folge ohne Sieg blieb, recht: «Es ist klar, es war unsere Schuld.» Man habe die Situation «falsch eingeschätzt» und den Undercut durch Hamilton «bewusst in Kauf genommen». Der österreichische Rennstall dachte, «dass wir mit neuen Reifen entsprechend schneller sind. Aber wir sind an Hamilton einfach nicht vorbeigekommen.» Dies lag auch daran, dass sich Verstappen bei einem versuchten Überholmanöver verbremste und deshalb von Hamilton touchiert wurde.
VERSTAPPEN 💥 HAMILTON
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A big hit which sent the Red Bull flying and ultimately ended the fight for P3 🥉#F1 #HungarianGP pic.twitter.com/I7K2Nu5sgG
Obwohl der Fehler wohl bei Verstappen lag, beschuldigte er Hamilton kurz danach am Funk: «Er hat im Bremsvorgang noch eingelenkt.» Sein hörbar genervter Renningenieur Gianpiero Lambiase konterte direkt: «Ich fange jetzt nicht über Funk einen Streit mit anderen Teams an, Max. Wir lassen die Stewards entscheiden.» Und weiter in Richtung Verstappen: «Das ist kindisch über den Funk, kindisch.»
Die Rennleitung untersuchte den Vorfall und entschied am Sonntagabend, keinen der Fahrer zu bestrafen. Für Unmut sorgte die Untersuchung bei Verstappen dennoch. Als Lambiase ihn informierte, dass der Gesundheitsbeauftragte des Automobilverbands FIA ihn untersuchen wolle – nach einem Unfall eine ganz normale Praxis – antwortete Verstappen: «Wir können den Gesundheitsbeauftragten zu den Stewards schicken. Da kann er sich angucken, ob die alle in Ordnung sind.»
Damit war der Rundumschlag des WM-Führenden aber noch nicht beendet. In Richtung der Kritiker, die sein Verhalten gegenüber Red Bull sowie der Rennleitung als respektlos bezeichnen, sagte er: «Die können mich mal. Ich weiss nicht, warum die Leute meinen, man dürfe nicht deutlich über den Funk sein. Das ist Sport. Wem es nicht gefällt, der soll zu Hause bleiben.»