Mit schmerzverzerrtem Gesicht schleppt sich Jean-Pierre Nsamé humpelnd zu seinen Teamkollegen. Gemeinsam laufen sie zu den mitgereisten Berner Anhängern und lassen sich feiern. Nicht als Sieger, aber als nach wie vor souveräne Leader der Super League. Zudem fühlt sich ein 1:1 nach einem Rückstand auch deutlich besser an, als dies umgekehrt der Fall wäre, wenn man sich den Sieg entreissen lässt.
Und dann war dieses Unentschieden in Basel eben auch ein Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass hier ein anderes YB am Werk ist als in vergangenen Tagen.
«Veryoungboysen» – dieses Wort hat sich in den letzten Jahren im Sprachgebrauch der Schweizer Fussball-Fans festgebrannt wie kaum ein anderes. Die Young Boys sind der Herausforderer, der am Schluss immer den Kürzeren zieht. Zweimal haben die Berner in den vergangenen zehn Jahren den Meistertitel in einer Finalissima gegen den FC Basel verspielt.
Oft konnten sie schon gar nicht so lange mit den Baslern mithalten. YB war schlicht zu wenig konstant, zu fahrig, zu leichtsinnig. Gerade gegen kleine Gegner – und ganz sicher in den entscheidenden Spielen.
YB hat sich das Verlierer-Image über Jahre hart «erarbeitet». Genau hier setzte YB-Sportchef Christoph Spycher im Sommer an. Er hat ältere, gesättigtere Spieler aussortiert und mit jungen, hungrigen ersetzt. Im Gespräch mit der «Nordwestschweiz» hat Spycher vor dem Spitzenkampf gegen Basel gesagt: «Wir wollten frisches Blut. Aber natürlich ging es auch darum, dass wir einen Mentalitätswandel herbeiführen wollten.»
Es macht den Eindruck, als wäre dies ganz gut gelungen. So wenigstens lässt sich das gestrige Spiel analysieren. Beide Teams haben unter der Woche auf europäischer Ebene einen herben Dämpfer einstecken müssen. YB hatte zwei Tage weniger Zeit, um sich davon zu erholen. So ist es der FCB, der das Tempo vorgibt. Auch wenn das Spiel mehr von Zweikämpfen als von Torchancen geprägt ist, geht der Meister verdient in Führung. Durch einen Weitschuss von Mittelfeld-Kampfmaschine Geoffroy Serey Die.
Das Joggeli bebt, der Glaube ist zurück, dass man YB vom hohen Thron stürzen kann, die sieben Punkte Rückstand auf vier schrumpfen. Es kommt anders: Elyounoussi pennt, YB-Aussenverteidiger Mbabu kann flanken und Topskorer Jean-Pierre Nsamé trifft herrlich mit der Hacke. YB-Trainer Adi Hütter spricht von einem «Weltklasse-Tor».
Und FCB-Flügel Renato Steffen gesteht: «Wir waren über weite Strecken spielbestimmend, aber Nsamé haut den Ball in dieser Situation rein. Das ist eine Qualität, die YB diese Saison auch hat.»
Es sind Sätze wie dieser, die ausdrücken, dass sich etwas verändert hat im Schweizer Fussball. YB hat auch in früheren Jahren anständig Fussball gespielt – aber im entscheidenden Moment waren die Berner einen Schritt zu spät oder stolperten. Kurz: Irgendetwas kam immer dazwischen. Jetzt trifft Nsamé – und YB hält sich Basel weiterhin vom Leib.
Oder wenn Raphael Wicky gefragt wird, was er vom Auftritt von YB halte und dann sagt: «YB hat eine Konstanz im Spiel, die wir auch wieder wollen.» Wieder sagt das viel aus. Der Satz zeigt deutlich: Da schaut der aktuelle Meister zum Konkurrenten hoch.
Das Geschehen auf dem Platz lässt ähnliche Schlüsse zu: Basel ist zwar überlegen, aber YB wirkt reifer. Unter grossem Druck gelingt den Bernern der Ausgleich. Der FCB dagegen gewinnt nicht mehr mit der Selbstverständlichkeit der vergangenen Jahre. Sieben Punkte liegt der FCB hinter YB. Noch immer.
«Wir können nicht aus eigener Kraft Meister werden. So gesehen ist das 1:1 sicher sehr ärgerlich», sagt etwa Michael Lang. Wenige Meter neben ihm steht YB-Torschütze Jean-Pierre Nsamé mit dicker Bandage um das Knie. Er lacht, als er auf sein Tor angesprochen wird: «Das Wichtigste ist, dass wir gepunktet haben, nicht mein Tor.» Dann humpelt er davon. Entwarnung gibt es wenig später: Es sei nur ein muskuläres Problem in der Wade.
Natürlich, YB hat noch viel Zeit, um die gute Ausgangslage und damit den Meistertitel zu «veryoungboysen». Aber irgendwie scheint es, als wäre diese Saison einiges anders in der Super League. In den Köpfen hat sich etwas geändert.