«Du kannst nicht ohne lesbische Spielerinnen gewinnen.» Es ist ein Satz der US-Starspielerin Megan Rapinoe von der WM 2019, der auch an dieser Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland Gültigkeit hat. Wenn am Sonntag zwischen England und Spanien der Titel vergeben wird, dann werden garantiert auch lesbische Spielerinnen Weltmeisterinnen.
Im Final spielen auf beiden Seiten Akteurinnen, die homosexuell sind. Die Engländerinnen Jordan Nobbs, Jess Carter, Lauren Hemp, Rachel Daly und Beth England sind in Beziehungen. Zudem sollen laut Gerüchten die Nationalspielerinnen Lucy Bronze und Keira Walsh ein Paar sein.
Bei den Spanierinnen hat die Verteidigerin Irene Paredes mit ihrer Frau Lucía Ybarra einen Sohn. Auch Ivana Andrés erhält bald ein Kind, ihre Frau Anabel ist schwanger. Zudem sollen Alba Redondo, Jennifer Hermoso, Tessa Abelleira und Weltfussballerin Alexia Putellas in Beziehungen mit Frauen leben.
An der Fussball-Weltmeisterschaft der Frauen in Australien und Neuseeland nahmen mindestens 120 Spielerinnen dabei teil, die offen homosexuell leben. Zudem war mit Kanadas Quinn auch die erste trans und nonbinäre Person an einer WM.
Der Kontrast zur Männer-WM im letzten Winter in Katar könnte nicht grösser sein. Damals spielte kein einziger offen homosexueller Spieler mit. Im Februar outete sich mit dem Tschechen Jakub Jankto immerhin ein aktiver Profi, der an der EM 2021 zum Einsatz gekommen war. Als er in diesem Sommer zu Cagliari Calcio in die Serie A wechselte, wurde er von den Fans frenetisch empfangen.
In Katar hatten sieben europäische Nationen mit einer Captainbinde für Toleranz aufmerksam machen wollen. Jedoch wurde die One-Love-Binde von der FIFA verboten, die deutschen Spieler hielten sich daraufhin bei einem Teamfoto den Mund zu. Auch die Schweiz hätte damit spielen sollen.
Zwar fehlt diese Captainbinde auch an dieser WM, jedoch gibt es acht Armbänder, die verschiedene Anliegen unterstützen. Darunter ist eines mit dem Motto «Unite for Inclusion» und einem Regenbogenmotiv.
Bei der WM 2015 waren erst 17 offen homosexuelle Spielerinnen dabei, nun sind es sieben Mal mehr. Das liegt auch daran, dass es mehrere Lichtgestalten aus dem Fussball der Frauen gibt, die sich für LGBTQIA+-Rechte einsetzen. Besonders herauszustreichen ist Megan Rapinoe, die während der WM 2019 für Aufmerksamkeit sorgte.
An dieser WM gilt diese vor allem Sam Kerr. Die australische Starspielerin bildet mit Freundin Kristie Mewis das Power-Couple des Weltfussballs. Mewis kam an der WM für die USA im Achtelfinal gegen Schweden zu einem Kurzeinsatz. Kerr sagt: «Wir sind einfach zwei verliebte Frauen und teilen das gerne. Wenn wir damit das Leben von ein oder zwei Menschen verändern können, dann bedeutet uns das eine Menge.»
Auch im Schweizer Team gibt es mehrere Spielerinnen, die offen lesbisch sind. Ramona Bachmann teilt in sozialen Medien Inhalte aus ihrem Liebesleben. Kurz vor der WM hat sie die Tänzerin Charlotte Baret geheiratet. Früher stand ihr Liebesleben in der Öffentlichkeit, weil sie mit Nati-Kollegin Alisha Lehmann liiert war. Vor der EM 2022 sagte Bachmann zu CH Media: «Für mich war es immer so, dass ich es nicht verstecken wollte, dass ich auf Frauen stehe. Ich mache das, weil ich damit ein Vorbild sein kann. Ich habe schon viele Nachrichten von jungen Mädchen und Jungs erhalten, die sagten, dass ich ihnen mit meiner Offenheit geholfen habe, sich zu outen.»
Es stehen jedoch wohl auch im Fussball der Frauen noch nicht alle Spielerinnen zu ihrer Sexualität. Die Journalistin Manuela Kay von den queeren Magazinen «L-Mag» und «Siegessäule» sprach gegenüber der «Sonntagszeitung» davon, dass 50 bis 80 Prozent der Fussballerinnen lesbisch seien. «Männerdomänen sind für Lesben immer schon interessant gewesen, weil man aus dem Rollenklischee der Frau herauskommt.»
Dennoch ist die WM 2023 ein weiterer Schritt in eine tolerantere Gesellschaft. Der Männerfussball kann sich von dieser Offenheit einiges abschauen.
Aufgefüllt hat er seine Wissenslücke mit der unangekündigten Offenlegung von lesbischen Liebesbeziehungen und Singles. Was aber heutzutage nicht mehr so interessant ist, weil man a) vieles schon weiss, und weil man b) schon zu viel davon gelesen hat.
Kann es sein, dass Frauen weniger Mühe haben, sich zu outen, weil sie weniger zu befürchten haben?