Vladimir Petkovic nimmt Platz. Er lächelt. Dann schaut er zum Fenster hinaus. Er sitzt in einem Konferenz-Raum eines Zürcher Hotels, 15. Stock, «ein schöner Ausblick», sagt er und freut sich an den Sonnenstrahlen, «wir werden sicher einen guten Start in diese Woche haben».
Knapp ein Monat ist vergangen seit den Spielen gegen Island (6:0) und England (0:1). Knapp ein Monat also seit der wichtigen Woche der Aufarbeitung nach dem unschönen WM-Ende, als der Sport plötzlich zum Nebenaspekt verkam, weil Doppeladler und Doppelbürger die dominierenden Themen waren. Diese Schauplätze ruhen nun. Der Schweizer Nationaltrainer darf sich an diesem Montagnachmittag ausschliesslich mit sportlichen Fragen befassen. Es ist ein gutes Zeichen.
Die Kernfrage lautet: Wie viel Blutauffrischung braucht dieses Team? Die Nations League dient Petkovic als Versuchslabor, bevor es im März 2019 dann mit der EM-Qualifikation losgeht. Der eine oder andere Junge hat seine Chance im September erhalten und genutzt, Kevin Mbabu allen voran, der nun aber verletzt ist, und Denis Zakaria. Kann nun in Belgien und Island erneut einer punkten? FCB-Stürmer Albian Ajeti vielleicht wieder, oder gar der erstmals ins Kader berufene YB-Flügel Christian Fassnacht?
Die Routiniers haben weiterhin die Chance, sich dem Konkurrenzkampf zu stellen. Allen voran gilt das natürlich für den Captain. Stephan Lichtsteiner fehlt in diesem Aufgebot. Keine Position im Team ist derart gut besetzt wie jene des rechten Verteidigers. «Extrem», nennt Petkovic diesen Positionskampf. Und betont gleichzeitig den Wert Lichtsteiners. «Er hat eine grosse Leistung gezeigt – auch neben dem Platz.»
Der Captain war eine der zentralen Figuren in der Aufarbeitung der WM. Dafür gebührt ihm Respekt und Wertschätzung des Trainers. Und trotzdem ist klar: Lichtsteiners Stammplatz ist nicht unumstritten. Es wird die wohl grösste Herausforderung für Petkovic, den Umgang mit seinem Captain zu moderieren. Nebengeräusche wie beim Rücktritt im Sommer von Valon Behrami kann er sich kaum leisten.
Das 6:0 gegen Island zu Beginn der Nations League hat niemandem mehr geholfen als dem Nationaltrainer selbst. Auch Petkovic ist in die Kritik geraten bei der WM. Die Fragen sind weiterhin berechtigt: Gelingt es ihm, diese Schweizer Mannschaft noch einmal weiterzuentwickeln? Gelingt es ihm, sich teilweise von seinen Prinzipien zu trennen, wenn es nötig ist?
Wobei der Nationaltrainer eines auch klarstellt: Die Schweiz will auch in Brüssel punkten. Am liebsten dreifach, es wäre der erste Sieg gegen einen Grossen des Weltfussballs seit dem 2:0 gegen Portugal im September 2016. Oder dann zumindest erneut nicht verlieren. Wie das bereits an der WM gegen Brasilien und in der Vorbereitung zuvor gegen Spanien gelungen ist.
Zum Ende des Nachmittags nimmt sich Petkovic auch noch Zeit, um auf einige Personalien einzugehen. Auf die Innenverteidiger Elvedi und Schär beispielsweise («die eine Situation gefällt mir, die andere nicht»). Oder auf Shaqiris neue Rolle als Spielmacher («er hat das sehr gut gemacht. Wichtig ist, dass er ständig in Bewegung ist und die ganze Breite und Tiefe des Feldes ausnutzen kann»).
Und schliesslich zum plötzlichen Formanstieg von Seferovic («Ich brauche nicht erleichtert zu sein. Er kämpft unermüdlich und hat sich dank Arbeit und Leistung durchgesetzt. An Toren wie jenem gegen Porto wird er weiter wachsen»).
Dann verabschiedet sich Petkovic, das Training ruft. Er lächelt noch einmal. Er hat schon hektischere Tage als Nationaltrainer erlebt.