Letzten Sonntagnachmittag in Lugano. Der Tessiner Titelanwärter trifft daheim auf den FC Zürich. Doch im Cornaredo trägt eigentlich der FCZ ein Heimspiel aus. Denn im Stadion der Luganesi sind unter den 4000 Zuschauern nur die Zürcher Fans zu hören. Rund 2000 sind mit dem FCZ mitgereist, wie schon in der Woche zuvor nach Sitten. Die Walliser stellten gegen den FCZ einen Saisonrekord auf. Nicht, weil es ein Knüllerspiel werden sollte, nein, sondern wegen der loyalen FCZ-Fans.
Denn diese bleiben dem Klub treu, auch wenn sich dieser aus ihrer Sicht gerade Fehltritt um Fehltritt leistet. Der FCZ verpflichtet einen Ex-Hopper, einen freigesprochenen ehemaligen Häftling und verkauft den Publikumsliebling. Die «Südkürvler» sind damit schon lange nicht mehr einverstanden. Trotzdem: «Es gehört zum Kurven-Dasein, an Auswärtsspiele mitzureisen», erzählt ein Südkurvengänger, der anonym bleiben möchte. «Stundelangi Fahrt, nume zum eu spiele gseh», singen die FCZ-Fans passend dazu.
Die Südkurve hat mit rund 2000 Fans pro Spiel eines der grössten Auswärtsfanlager der Schweiz. Früher erreichte lediglich der FC Basel solche Zahlen. Im November 2023 wurden im St.Galler Kybunpark sogar kurzfristig die Sitzplätze ausgebaut, um den FCZ-Fans anstatt 1000 Sitzplätze 2000 Stehplätze zur Verfügung zu stellen.
Aber, wer ist die Südkurve überhaupt? Eigentlich gibt es sie gar nicht. Zumindest nicht so, wie man vielleicht denkt, als grosse Gruppe. Die Südkurve ist ein Zusammenschluss verschiedener Untergruppen. Bei den «Hallygally» finden Kreative, etwa aus der Skater-Szene, zueinander. Die «Locoz» bieten Einwanderern Platz.
Jede dieser Untergruppe hat unterschiedlich viel Einfluss. Eine der ersten Gruppierungen waren die «Boys». «Sie sind die grössten, einflussreichsten in der Kurve», weiss der Kurvengänger. Während für die Choreografien die grössten Gruppen zusammen arbeiten, seien es die «Boys», die den «Capo» stellen. Also derjenige, der die Fan-Gesänge anstimmt und die Kürvler koordiniert.
Diese Koordination braucht es auch. Denn in den vergangenen Jahren ist die Kurve enorm gewachsen. Zuerst wegen der Corona-Pandemie, als insbesondere Jugendliche nach dem Lockdown wieder raus wollten. Dann dank des Meistertitels 2022. Während die durchschnittliche Zuschauerzahl im Letzigrund vor diesen Ereignissen bei 10'000 lag, ist sie mittlerweile um 5000 Menschen gewachsen.
«Es ist ‹in›, in die Kurve zu gehen, das war früher nicht so», sagt ein langjähriger Kurvengänger. Michael Jucker, Sporthistoriker und Co-Leiter des FCZ-Museums, nennt die Kurven gar die grössten Jugendhäuser der Schweiz. Dank der Kurvenkultur, die auch ausserhalb des Stadions, in Bars und Fanlokalen weiter zelebriert werde, fühlten sich die Jugendlichen zu etwas zugehörig. «Solche Lokale haben eine soziale Integrationsfunktion», so Jucker. Mit dem FCZ als gemeinsamer Nenner spielen Ansichten zu anderen Themen plötzlich keine Rolle mehr.
Obwohl die Südkurve also ein zusammengewürfeltes Kollektiv ist, sind ihre Mitglieder voneinander kaum zu unterscheiden. Dunkle Jeans, eine Südkurven-Jacke (am besten mit eingenähter Haube, um von Kameras und Polizisten unerkannt zu bleiben) und weisse Reebook Classics.
Im Stadion stehen sie vereint, das Banner der Südkurve vorne am Zaun befestigt. Dieses gibt es seit 1995, davor fanden sich die FCZ-Anhänger, die Anzahl derer war damals noch massiv tiefer, im «Züri-Egge» ein. Besagtes Banner ist der Südkurve mittlerweile sogar so wichtig, dass es in einem der vielgesungenen Kurven-Lieder geehrt wird: «Mit de Fahne vorus» heisst es.
Apropos Fahnen und Banner: Immer wieder werden solche genutzt, um Statements abzugeben. Früher schrien die Fans laut Jucker noch ihre rassistischen Parolen aus voller Kehle. Das gibt es heute nicht mehr, verschiedene politischen Ausrichtungen sind in der Kurve vertreten. Vor allem aber stellen Fankurven der Schweiz ihre Ansicht zu Themen rund um den Fussball klar. Sie ärgern sich über Kollektivstrafen oder personalisierte Tickets.
Doch bei Kritik bleibt es oft nicht. Im vergangenen Herbst beispielsweise, als die Südkurve ein aus dem GC-Hauptquartier geklautes Spruchband präsentierte. «Nehmed mir de Hauptihgang, bruched ihr de Notusgang», schrieben sie dazu. Eine Anspielung auf die Entwendung des Banners. Problematisch daran? Die Südkürvler sollen laut GC-Anhängern bewaffnet gewesen sein. Und selbst ausserhalb des Stadions kam es schon zu Übergriffen auf GC-Fans.
Gewalt ist ein Teil der Kurven. Besonders, bei Derbys oder den Klassikern gegen den FC Basel. Verletzte und Sachbeschädigungen sind das Resultat und betreffen oft auch Auswärtige. Das ist auch der Grund, weshalb Kollektivstrafen und personalisierte Tickets gefordert werden, gegen die sich die Kurven so vehement wehren. Sie sind ein Versuch, die Kurven in den Griff zu kriegen. Diese beteuern, dass Gewalttätige nicht willkommen, und Übergriffe Einzelfälle seien. Doch die Realität zeigt ein anderes Bild.
Aber zurück zu den Statements: Es ist die Möglichkeit der Kurve, sich Gehör zu verschaffen, wenn sie es will. Und gerade in letzter Zeit wird sie rege genutzt. Nach der Verpflichtung von Steven Zuber (einem ehemaligen GC-Spieler) las man «Keis Goal wird dich je zum FCZler mache». Aber auch andere Statements finden in der Kurve Platz. Zum Beispiel dann, wenn die Südkurve nicht einverstanden mit der sportlichen Führung ist.
Nie war die Kritik am Klub so gross wie in den letzten Wochen. «Canepas: En Verein mit ‹Stil und Klass› gseht andersch us», machten sie ihrem Ärger Luft. Der Ursprung? Die Verpflichtung von Benjamin Mendy. Der 30-Jährige spielte 2018 im Weltmeister-Team der Franzosen, war bei Manchester City Stammkraft – ein Transfer-Coup, könnte man meinen.
Doch das Ganze hat einen Beigeschmack. Denn ein Spieler wie Mendy, eigentlich eine Man-City-Legende, wechselt nicht der Liga oder des Klubs wegen in die Schweiz. Sondern, weil seine Karriere längst ins Stocken geraten war. Mendy hat eine dunkle Vergangenheit. Wegen Vergewaltigungsanschuldigungen, von denen er freigesprochen wurde, musste er sich vor Gericht verantworten.
Diese Vergangenheit wurde von den Canepas bei der Verpflichtung verschwiegen. Stattdessen gab der Klub an, «ein bisschen stolz» auf den Transfer zu sein. Doch der Transfer lässt die Schweiz nicht kalt: Die Frauenzentrale Zürich bringt den Stein ins Rollen, indem sie angibt, der FCZ leiste mit Mendys Verpflichtung einen Beitrag zur «Rape Culture».
Das heisst: Opfer werden zum Schweigen gebracht, Täter werden geschützt. Die Canepas rudern daraufhin zurück. In einem offiziellen Statement gibt Ancillo Canepa an, nicht mit so heftiger Kritik gerechnet zu haben. Er beteuert, er und seine Frau Heliane hätten mit Mendy gesprochen und ihm die Unschuld abgenommen. Und Heliane sagt in einem Interview zum «SonntagsBlick», es habe keinen Grund gegeben, Mendy nicht zu verpflichten.
Doch die Schweizer Fankurven sehen das anders. Freispruch heisse nicht gleich unschuldig, liest man auf Bannern der Sion-Fans oder im Fanlager der ans Cupspiel mitgereisten YB-Fans. Und schliesslich äussert sich auch die Südkurve. Anstatt mit Applaus wird Mendy bei seinem ersten Einsatz mit einem Pfeifkonzert empfangen.
«Die Meinungen in der Kurve gehen auseinander. Viele finden aber, dass es moralisch nicht vertretbar ist, einen Spieler wie Mendy zu verpflichten», weiss der FCZ-Fan. Zeige er aber Leistung, so werde er von vielen letztendlich doch akzeptiert werden.
Genau so lief es bei Steven Zubers Verpflichtung. Zu Beginn seiner Karriere spielte er bei Stadtrivale GC und noch vor einigen Wochen wurde er wegen des Transfers als «Schlange» bezeichnet. Als einer, der nie zum FCZ gehören werde.
Doch das änderte sich schnell. Genau gesagt dann, als Zuber zeigte, wie viel er dem FCZ bringt. Mittlerweile steht er bei fünf Toren und einem Assist in neun Spielen. Auf einem Fan-Account mit über 10'000 Abonnenten wurde Zuber nach seinem Doppelpack gegen Lugano zum «Man of the Match» gewählt. Wie auch schon in den beiden Spielen zuvor.
«Mit eus bisch eine meh, musch eifach alles geh» oder «Musch unedure gah, stömmer für dich da»: Nach solchen Zeilen lebt die Südkurve. Sie steht bedingungslos hinter ihren Spielern. Zeigt er Leistung, sogar auch hinter einem Ex-Hopper. Hinter wem sie aber nicht bedingungslos stehen, sind Sportchef Milos Malenovic und das Präsidentenehepaar Canepa. Vor allem Malenovic eckt mit seinem Wesen an. «Viele haben Mühe mit seiner Art, damit, welche Spieler er verpflichtet», so der Kurvengänger.
Wie es beim FCZ weiter geht, wird die Zeit zeigen. Klar ist, die Südkurve wird es weiter geben. Seit ihrer Entstehung hat sie schon so manchen Sportchef kommen und gehen sehen, so manchen fragwürdigen Entscheid miterlebt. Sie war auch schon da, bevor Canepa Präsident wurde. Und auch jetzt wird sie nicht ins Wanken kommen, sondern weiter versuchen, Einfluss auf den Klub zu nehmen. Als zwölfter Mann des FCZ. (aargauerzeitung.ch)
Aber weil er den FCZ mal Ablösefrei verlassen hatte wurde er als Charakterlump verunglimpft.
und dann holt man Benjamin Mendy....