Nach der EM-Vorrunde sind die Zweifel der Bewunderung gewichen. Xhaka kann es. Seine Auftritte in Frankreich sind irgendwo zwischen herausragend und grossartig anzusiedeln. Er ist der Denker und Lenker dieser Mannschaft. Es wirkt, als leide er nicht länger darunter, im Schatten des ehemaligen Captains Gökhan Inler zu stehen.
Nach der EM schliesst sich Xhaka Arsenal London an. Seriösen Schätzungen zufolge beträgt die Ablösesumme an Mönchengladbach knapp 48 Millionen Franken. Rekord für einen Schweizer Fussballer. Entsprechend hoch ist auch das Interesse aus England an Xhaka. Die Medien nehmen die neue Arsenal-Hoffnung genau unter die Lupe.
Der Arsenal-Experte der renommierten englischen Zeitung «The Guardian» heisst Dave Hytner. Wer mit ihm über Xhaka spricht, bekommt vor allem lobende Worte zu hören: «Seine Auftritte bis anhin waren brillant.» Besonders eine Eigenschaft hat Hytner imponiert: «Wie bei vielen anderen grossen Spielern bekommt der Zuschauer bei Xhaka das Gefühl, er habe ständig eine oder zwei Sekunden mehr Zeit, weil er das Geschehen auf dem Platz frühzeitig erahnt.»
«Diese Fähigkeit macht es sehr schwierig, ihn zu tackeln – etwas, das ihm in England viel helfen kann.» Aber auch, was Xhaka dann mit dem Ball anfängt, sei grosse Klasse. «Er hat immer genau im Kopf, was er tun will. Nicht eine, sondern stets drei Varianten. Und daraus wählt er meist auch die richtige.»
Nach der Vorrunde an dieser EM hat nur ein Spieler mehr erfolgreiche Pässe gespielt als Xhaka, Toni Kroos. Beeindruckt ist Hytner aber nicht nur von der Dominanz Xhakas im Schweizer Spiel, sondern auch von dessen Variantenreichtum der Pässe. Kurze, halblange oder lange – das Repertoire des 23-Jährigen scheint unermesslich.
Das Interesse aus England an Xhaka nimmt allerdings jetzt, in der K.-o.-Phase, noch einmal deutlich zu. «Noch reden die Leute nicht wirklich über ihn», sagt Hytner. Einerseits liegt das daran, dass alle vier Teams von der Insel den Sprung in den Achtelfinal geschafft haben. Andererseits aber auch, weil erst jetzt die Spiele folgen, in denen es um den Titel geht. «Jetzt hat Xhaka eine erste Gelegenheit zu zeigen, dass er fähig ist, in grossen Spielen zu überzeugen», sagt Hytner.
Warum das so ist? Ganz einfach: Arsenal London ist ein Verein, dem in den letzten Jahren zunehmend der Ruf des ewigen Zweiten anhaftet. Das Umfeld sieht in der vergangenen Saison eine riesige verpasste Chance, endlich den ersten Titel seit 2004 zu gewinnen. Chelsea, Manchester United, Manchester City, Liverpool – viele grosse Vereine haben ein Jahr zum Vergessen hinter sich. Und trotzdem hat es nicht zum Titel gereicht, dieser ging an das Überraschungsteam Leicester.
Trainer Arsène Wenger nimmt das letzte Jahr in seinem aktuell gültigen Vertrag in Angriff. Die Debatten, ob sein Abschied naht, mehren sich. «Es zählt nur eines: der Titel», sagt Experte Hytner, «und weil Xhaka bis jetzt der einzige grosse Transfer ist, sind die Erwartungen an ihn beinahe unermesslich.» Englands Fussball-Ikone Gary Lineker twitterte bereits am Tag, als der Transfer bekannt wurde: «Xhaka ist das fehlende Puzzleteil zum Titel.»
Xhaka selbst gibt sich gelassen. Er sagt: «Wenn ich eines im Leben gelernt habe, dann dies: Wenn ich mir selbst zu grossen Druck aufsetze, geht es in die Hosen. Das hat mein erstes Jahr in Mönchengladbach deutlich gezeigt. Ich bin erst 23 Jahre alt und ich werde darum weiterhin Fehler machen.» Für Hytner besteht die Gefahr, dass der öffentliche Druck zu gross werden könnte, dennoch. «Die Geschichte zeigt: Das Arsenal-Umfeld ist tendenziell hektisch und wird schnell nervös. Vielfach überträgt sich das auf die Spieler. Mit diesem Druck umzugehen, wird für Xhaka die grösste Herausforderung.»
Der Achtelfinal gegen Polen ist dafür schon ein guter Test. Xhaka gehörte zu jener Fraktion der Schweizer, die sich auch vor einem Duell mit Deutschland nicht gefürchtet hätten. Nach der Gruppenphase sagt er: «Ich setze mir in Frankreich keine Grenzen.» Dass der Gegner nun Polen heisst, dürfte aber auch ihn kaum stören. Die Chancen, erstmals im modernen Fussball in einem grossen Turnier in den Viertelfinal zu kommen, sind jedenfalls bestimmt grösser. Und Xhaka kann beweisen, ein Mann für die grossen Spiele zu sein.