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Die Schweiz ist an den Paralympics in Rio erfolglos wie nie zuvor, seit der Anlass am gleichen Ort ausgetragen wird wie die Olympischen Spiele (1988 in Seoul). Ganze zwei Silbermedaillen beträgt die Ausbeute, errungen vom Rollstuhlsportler Marcel Hug. Auch wenn noch Medaillen hinzukommen werden, kommt es wohl zum schwächsten Schweizer Abschneiden seit 1964 (1x Silber). Vor vier Jahren in London gab es noch 13 Medaillen zu bejubeln (3 Gold, 6 Silber, 4 Bronze).
Weil der Medaillen-Vergleich jedoch ein wenig unübersichtlich ist – die Anzahl Wettbewerbe und Kategorien variiert von Spielen zu Spielen –, macht der Blick auf den Medaillenspiegel mehr Sinn. Dieser zeigt: Die Schweiz gehört an Sommer-Paralympics schon seit einiger Zeit nicht mehr zur erweiterten Weltspitze.
Lukas Christen, fünffacher Paralympics-Sieger 1996 und 2000, nennt zwei Gründe dafür. Der erste ist, dass die Schweiz zu seiner Zeit als Athlet eine «goldene Generation» gehabt habe. Gleich serienweise räumten Edith Hunkeler, Heinz Frei, Franz Nietlispach und Co. Medaillen ab. Solche Ausnahmesportler hat die Schweiz momentan nicht in dieser Breite.
Der zweite Grund für das Absacken der Schweiz im Medaillenspiegel der Paralympics sei, dass sie «zum Glück ein schlechtes Rekrutierungsland für Behindertensportler sei», schreibt Christen in einem Gastbeitrag in der «Aargauer Zeitung».
Die Schweiz müsse keine Kriege erleben, kaum Katastrophen. Es gebe auch nur wenige Schuss- und Explosionsopfer sowie eine hohe Arbeitssicherheit und Unfallprävention. «Unsere Neutralitätspolitik sowie die Suva und die Beratungsstelle für Unfallverhütung sind gewissermassen die natürlichen Feinde eines tollen Medaillenspiegels an den Paralympics. Was zynisch klingt, ist in Tat und Wahrheit ein grosser Segen und eine der ganz grossen Errungenschaften unseres Landes», fasst der 50-Jährige aus Sempach zusammen.
Was sich gegenüber früher ebenfalls verändert hat, ist die Wahrnehmung des Behindertensports in anderen Ländern. Christen nennt Australien, wo Paralympians grosszügig gefördert würden und die Athleten ein Leben als Profi führen könnten. Grossbritannien rüstete im Zuge der Heimspiele in London 2012 massiv auf.
Schliesslich blickt Christen auch in die Vereinigten Staaten, wo aufgrund der vielen Kriegseinsätze «der grösste Fundus an Nachwuchsathleten» zu finden sei. «Viele werden dort verwundet. Sie werden Amputierte und Rollstuhlgebundene, oft mit starker Physis und Wettkampferfahrung der extremen Art.» Man kann sich leibhaftig vorstellen, was eine durchtrainierte Kampfmaschine von den Marines auch körperlich versehrt leisten kann.
Ist es also gut, dass die Schweiz weniger Medaillen holt als in früheren Jahren? Jein. Denn die Sportler, die ihre Passion trotz Behinderung ausüben, sind genauso ehrgeizig wie jeder andere Athlet. Sie trainieren und geben alles, um erfolgreich zu sein.
Trotzdem überwiegt bei mir der Gedanke, dass es ein erfreuliches Zeichen ist, im paralympischen Medaillenspiegel schlecht zu sein. Denn es bedeutet, dass der Pool an möglichen Kandidaten klein ist. Niemand der bei Trost ist, fordert eine Schweizer Invasion in Deutschland, nur um beim folgenden Krieg möglichst viele Kandidaten für Paralympics rekrutieren zu können.
Aber es gibt nicht nur Kriegs- und Unfallopfer. Sondern auch Menschen, die mit einer Beeinträchtigung auf die Welt kommen. Sie sehen kaum oder gar nicht, oder es fehlen ihnen Gliedmassen. Auch diesen Sportlern kommen die Schweizer Umstände entgegen: Dass viel Know-how vorhanden ist, dass es hervorragende medizinische Einrichtungen mit Fachkräften gibt.
Für Lukas Christen, der bei einem Töffunfall sein linkes Bein verloren hatte, gleichen «Machertum und Engagement den im Grunde wertvollen Nachteil von Neutralität und Unfall-Prävention wieder aus.» Die Schweizer Mentalität sei deshalb zumindest im übertragenen Sinn Gold wert. «Was in der Schweiz an knappen Ressourcen durch Professionalität herausgeholt wird, ist hervorragend. Das zählt viel, auch ohne Medaillen.» Dem ist nichts hinzuzufügen.