Was ist möglich für die Schweiz? Was liegt drin für die Auswahl von Trainer Murat Yakin?
Das sind die grossen sportlichen Fragen, wenn heute um 11 Uhr gegen Kamerun das WM-Abenteuer losgeht. Brasilien und Serbien sind die weiteren Gruppengegner.
Die Schweiz ist mit grossem Selbstvertrauen nach Katar gereist. Rechtzeitig hat sie nach durchzogenen Resultaten – in den ersten fünf Länderspielen des Jahres gab es vier Niederlagen und ein enttäuschendes 1:1 gegen den Kosovo – die Kurve gekriegt.
Danach drehte die Nati auf. In der Nations League schlug sie erst Portugal, siegte dann auswärts in Spanien und gewann auch gegen Tschechien. So schaffte die Schweiz nach drei Niederlagen zu Beginn doch noch den Klassenerhalt. Dass sie die Hauptprobe vergangene Woche verpatzte, ist ohne Bedeutung. Beim 0:2 gegen Ghana schickte Trainer Yakin eine Formation aufs Feld, die man so an der WM nicht sehen wird. Wichtiger als das Resultat war es, die Anspielzeit mittags in der Hitze zu simulieren.
Der Trainer ist ein grosser Grund dafür, dass man zu Recht optimistisch sein darf. Yakin gibt einem stets das gute Gefühl, dass er alles im Griff hat. Mit der erfolgreichen WM-Qualifikation gegen Europameister Italien hat er ein erstes Meisterstück abgeliefert mit dem Nationalteam. Weitherum werden Yakins taktische Fähigkeiten gelobt. Was auch immer der Gegner ausheckt: Yakin hat einen Plan.
Aber natürlich nützt der beste Plan nichts, wenn er nicht umgesetzt werden kann. Yakins Glück ist, dass die meisten Schlüsselspieler in Top-Form auf die arabische Halbinsel flogen. Captain Granit Xhaka ist bei Arsenal so gut wie vielleicht nie, dasselbe trifft auf Breel Embolo zu, der neu für die AS Monaco stürmt. Abwehrchef Manuel Akanji wechselte zu Manchester City und etablierte sich beim englischen Meister auf Anhieb. Und Salzburgs Angreifer Noah Okafor schoss in der Champions League drei Tore und traf in der Liga im Schnitt in jedem zweiten Spiel.
Natürlich gibt es auch kleine Fragezeichen. Wie sehr hat es dem kreativen Xherdan Shaqiri geschadet, dass er seit Wochen keinen Ernstkampf mehr bestritten hat? Ist Yann Sommer, der so sichere Rückhalt, nach überstandener Fussverletzung wirklich schon wieder ganz der Alte? Was, wenn einer der nur zwei Aussenverteidiger im Kader (Ricardo Rodriguez und Silvan Widmer) ausfällt?
Es sind Fragen, auf die Murat Yakin nur teilweise eine Antwort hat. Aber sollte Shaqiri nicht die Puste für 90 Minuten haben, wechselt er ihn eben aus. Sollte Sommers Fuss doch wieder Probleme machen, stellt er BVB-Keeper Gregor Kobel in den Kasten. Und ist ein Aussenverteidiger gesperrt oder verletzt, improvisiert er halt. Der Trainer ist so gelassen, dass ihn nichts aus der Bahn zu werfen scheint. Nach dem Motto: Probleme sind dazu da, gelöst zu werden. Genau wie jenes, das sich mit Captain Xhaka andeutete, der mit seiner Rolle im Team unzufrieden war. Beide Protagonisten betonen, dass jegliche Unstimmigkeiten beseitigt wurden.
Die Schweiz wird kaum reibungslos durch die WM marschieren. Bei aller Zuversicht ist auch ein Ausscheiden nach der Vorrunde nicht ausgeschlossen. Man erinnere sich nur kurz zurück an die letzte EM, die mit herben Dämpfern begonnen hatte. Zuerst kam die Nati gegen Aussenseiter Wales nicht über 1:1 hinaus, danach ging sie gegen Italien komplett chancenlos 0:3 unter. Erst ein 3:1-Sieg gegen die Türkei öffnete die Tür in die K.o.-Phase, in welcher die Schweiz sensationell den Weltmeister Frankreich aus dem Turnier warf.
Vom Spielplan her droht in Katar ein ähnliches Szenario: Zunächst wartet der vermeintlich leichteste Gegner (Kamerun), danach folgen ein Titelkandidat (Brasilien) und ein von Emotionen neben dem Platz aufgeheiztes 50:50-Spiel (Serbien).
Die Ausgangslage ist so offen, dass eine Prognose wenig Sinn macht. Wer hätte denn schon gedacht, dass der haushohe Favorit Argentinien gegen Saudi-Arabien verliert?
Aber wer will schon vor einer WM ans frühe Ausscheiden denken – Zuversicht ist angebracht. Die Schweiz hat definitiv das Zeug, in Katar weit zu kommen.