In keinem anderen Bereich unseres Lebens sind Ausreden so wohlfeil wie im Töffrennsport. Fährt einer hinterher, dann ist es nie sein Fehler. Es liegt es an den zu harten oder zu weichen Reifen. An der Fahrwerkseinstellung. An der Zündung. An der Getriebeabstimmung. An einem beschlagenen Helmvisier oder an äusseren Umständen wie Geldmangel oder ungewisse Zukunft, die die Konzentration stören. Und so weiter und so fort.
Deshalb gibt es einen ganz bösen Spruch. Ein Rennfahrer beende sein Gebet stets mit den Worten «Herr, nimm mir alles, aber lass mir meine Ausreden.»
Nach diesem Muster hat auch Dominique Aegerter auf die tiefe Krise in dieser Saison reagiert. Eine Krise, die seine Karriere gefährdet. Er hat nach wie vor noch kein Team für die nächste Saison gefunden.
Deshalb ist seinem Freund und Ratgeber Dr.Robert Siegrist (62) vor zwei Wochen der Kragen geplatzt. Er hat seinen «Zögling» zu einer ernsthaften Unterredung zitiert. Mit der Begründung: «Ich bin zwar nicht mehr sein Manager. Aber ich bin sein Freund und lasse ihn nicht im Stich und helfe ihm bei der Suche nach einem Team für nächste Saison. Wenn diese Suche erfolgreich sein soll, dann muss mit faulen Ausreden sofort Schluss sein.»
Und siehe da. Das Donnerwetter hat gewirkt. Dominique Aegerter hat seinem väterlichen Freund offensichtlich gut zugehört. Nach dem Rennen steht er in Assen im Büro seines Rennlasters Red und Antwort. Eigentlich könnte er zufrieden sein. Rang 14 und zwei WM-Punkte. Ein leichter Aufwärtstrend nach dem miserablen Rennen vor zwei Wochen in Barcelona (20.).
Doch der sonst so charismatische junge Mann wirkt müde, fast ein wenig verloren wie ein aus dem Nest gefallener Spatz und geht mit sich selber so hart ins Gericht wie wir das bei ihm während seiner ganzen Karriere noch nie erlebt haben.
«Ich verdiene die zwei WM-Punkte nicht. Ich habe sie nicht herausgefahren. Sie sind mir dank ein paar Stürzen und Zwischenfällen in den Schoss gefallen. Ein 14. Platz ist bei meiner Erfahrung ganz einfach zu wenig und entspricht weder der Qualität meiner Maschine noch der sehr guten Arbeit meines Teams. Es liegt an mir. Mit fehlt das Selbstvertrauen. Ich muss an mir arbeiten.»
Hoppla! Da hat einer gemerkt, was es geschlagen hat. Und weil die Rennfahrerei tatsächlich zu einem ganz grossen Anteil Kopfsache ist (also eine Frage des Selbstvertrauens), passt es gut, dass er nun ein paar Tage abschalten kann. Am Dienstag fliegt er nach Japan, am Freitag wird er schon wieder zurück sein. Zwei Tage Training fürs 8-Stunden-Rennen von Suzuka am letzten Juli-Wochenende.
Honda hat den Rohrbacher zum 5. Mal in Serie fürs wichtigste Rennen in Japan aufgeboten. Dreimal war «Domi» auf dem Podest, einmal schied er durch Sturz aus. Die Ablenkung wird ihm guttun. Die Hoffnung ist berechtigt, dass wir beim GP von Deutschland auf dem Sachsenring in zwei Wochen den «alten», den wahren, den kämpferischen, den charismatischen Dominique Aegerter erleben werden.
Die Zeit drängt. Dominique Aegerter muss seine Karriere retten. Die Zukunft seines aktuellen Teams ist ungewiss. Teamchef Jochen Kiefer bestätigt: «Ich kann Dominique Aegerter kein konkretes Angebot für 2019 machen. Weil wir die Finanzierung des Teams noch nicht gesichert haben. Es ist in Deutschland fast unmöglich, Sponsoren zu finden.»
Was also, wenn es für Dominique Aegerter bei Jochen Kiefer nicht weiter geht? Gibt es da nicht MV Agusta? Die Italiener suchen für nächste Saison nach der Absage von Tom Lüthi intensiv nach einem Spitzenfahrer.
Doch der mit der Fahrersuche beauftrage Carlo Pernat winkt ab: «Nein, wir sind nicht an Aegerter interessiert.» Zumindest noch nicht.
Es gibt noch eine neue Möglichkeit. In Assen ist ein heisses Gerücht bestätigt worden: die Rückkehr ins Team von Fred Corminboeuf, von dem sich Dominique Agerter im Herbst 2016 nach einem gewaltigen Krach verabschiedet hat. «Warum nicht» sagt Fred Corminboeuf. Und bestätigt: «Es gibt Gespräche. Der Krach von damals ist vergessen. Immerhin hat Dominique in meinem Team die bisher besten Jahre seiner Karriere mit seinem ersten GP Sieg auf dem Sachsenring verbracht.»
Der schlaue Teamchef und Überlebenskünstler kann rechnen. Zurzeit hat er in seinem Team die Bruchpiloten Sam Lowes (in Assen 9.) und Iker Lecuona (16.). Die Resultate des Briten (WM-12.) und des Spaniers (11.) sind mässig. Und vor allem verbiegen sie viel Eisen und verursachen Kosten. Sie haben schon 16 offiziell registrierte Stürze produziert.
Sponsorengeld bringen sie auch nicht in rauen Mengen ins Team. «Ich gebe zu, dass die Finanzierung meines Teams schwierig ist» sagt Fred Corminboeuf. «Aber die nächste Saison ist gesichert. Ich werde auch 2019 zwei KTM-Werksmaschinen einsetzen können. Fahrer habe ich für 2019 noch keine unter Vertrag. Mit Sam Lowes würde ich aber gerne weitermachen.»
Da ist also noch mindestens ein Platz frei. Fred Corminboeuf kennt Dominique Aegerter und dessen Umfeld aus mehrjähriger Zusammenarbeit. Er weiss, dass ihm der Rohrbacher mehr Medienpräsenz beschert als die zwei aktuellen Piloten zusammen. Und dass Dominique Aegerter dringend benötigte Werbegelder ins Team bringen könnte.
Er schliesst daher eine Rückkehr von Dominique Aegerter nicht aus und ergänzt: «Vergessen Sie Jesko Raffin nicht. Auch er sucht einen Platz für 2019…». Im Idealfall also 2019 ein Schweizer «Töff-Dream Team» mit Jesko Raffin und Dominique Aegerter? Nichts ist auszuschliessen.
Und was sagt Dominique Aegerter? Er bestätigt: «Ja, ich habe mit Fred Corminboeuf gesprochen.» Der Rock’n’Roller sagt es nicht mit der gleichen Begeisterung wie einer, der von einem Date mit Heidi Klum schwärmt. Eher so nach dem Motto: In der Not frisst der Teufel auch Fliegen und in der Not fährt der Aegerter halt wieder beim Corminboeuf.