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Martina Hingis ist 1996 in Atlanta erstmals dabei. Dann fehlt sie 2000 in Sidney, 2004 in Athen, 2008 in Peking und 2012 in London. Weil sie verletzt oder gerade mal zurückgetreten ist. 2016 kehrt sie in Rio nach 20 Jahren auf die olympische Bühne zurück.
Atlanta 1996. An das olympische Debut von Martina Hingis erinnere ich mich noch gut. Weil die Umstände ein bisschen speziell waren. Andere Episoden dieser Spiele von 1996 sind im blühenden Garten meiner Erinnerungen längst überwachsen worden.
Ein schüchternes Mädchen von zarten 15 Jahren sieht mit staunenden Augen in die Welt hinaus. «Mach doch Du über die Hingis ein Gschichtli» sagen meine Kollegen. Ich habe damals für den «Blick» gearbeitet.
Meine Begeisterung hält sich in überschaubaren Grenzen. Ach, ich weiss doch kaum etwas über Tennis. Ich habe lediglich davon gehört, dass eine gewisse Martina Hingis ein Jahrhunderttalent sein soll. Es gibt wahrlich spannendere Themen als dieser «Tennis-Kinderstar.» Xeno Müller und Donghua Li beispielsweise.
Aber ich habe wieder einmal Glück. Der Chef unserer Olympia-Delegation ist eine Ikone des Journalismus. Ein wirkungsmächtiger Titan des geschriebenen Wortes. Mario Widmer. Er übernimmt für mich den Fall. Erst denke ich, der grosse Mario habe eben das Gespür für die grossen Geschichten.
Ein paar Tage später ahne ich, dass es wohl noch andere Gefühle gibt. Er sitzt in der Tennis-Arena ganz verträumt mit Melanie Hingis, Martinas Mutter, auf der Tribune. Aus der Ferne betrachtet wirken sie beinahe wie ein altes Ehepaar. Ist da am Ende …? Ich wage meine Vermutung nicht einmal meinen Kollegen anzuvertrauen. Melanie Hingis wird tatsächlich die Lebenspartnerin von Mario Widmer.
Ich habe Martina Hingis damals in Atlanta auf dem Platz gesehen. Sonderlich beeindruckt war ich als Tennis-Laie nicht. Sie ist, soweit ich mich erinnere, in der zweiten Runde gegen eine Japanerin ruhmlos ausgeschieden und wird als 17. klassiert. Im Doppel mit Patty Schnyder erreicht sie immerhin das Viertelfinale und bekommt ein olympisches Diplom.
20 Jahre nach Atlanta sehe ich Martina Hingis wieder beim olympischen Turnier. Ganz im Sinne von Hans Christian Andersen ist aus dem grauen kleinen olympischen Entlein ein wunderschöner Schwan, eine strahlende, charismatische, lorbeerumkränzte olympische Königin geworden. Eine Tennis-Königin aus einer anderen Zeit. Einem anderen Jahrhundert. Einem anderen Jahrtausend.
Als ihre Karriere beginnt, gibt es zwar schon Handys. Aber auch noch Festnetztelefon-Apparate mit runden Wählscheiben. Das Leben der Chronistinnen und Chronisten ins ein beschauliches. Online gibt es nicht. Die Wahrheiten werden auf Papier gedruckt. Es ist nicht der ruhelose Newsroom – das Wort gibt es noch gar nicht – der das Tempo vorgibt. Es ist der Maschinenraum in der Druckerei. Wenn gedruckt wird, kehrt Ruhe ein.
Zwischen 1996 und 2016 liegt eine grandiose Karriere. Am 31. März 1997 ist Martina Hingis die jüngste Nummer 1 der Welt. Sie wird die jüngste Wimbledon-Siegerin, die beste, charismatischste Spielerin der Welt, ja, zu einer der besten aller Zeiten. Zweimal tritt sie zurück. 2003 wegen einer Verletzung und 2007 – wie bitterböse Spötter sagen – wegen einer verschnupften Party-Nase (positiv auf Kokain getestet) und einer damit verbundenen zweijährigen Sperre. Im Juli 2013 kehrt sie zurück und ist mit 35 die beste Doppel-Spielerin der Welt.
1996 ist so lange her, dass sie sich kaum mehr zu erinnern vermag. «Das ist 20 Jahre ja her!» ruft sie spontan auf eine entsprechende Frage aus. Rio 2016 sei ein ganz anderes Erlebnis. Sie geniesse das Leben im olympischen Dorf und sei froh über die kurzen Wege von dort zu den Tennis-Plätzen. Von den Chaos-Spielen in Atlanta sind ihr vor allem die langen Busfahrten zu den Tennisplätzen in Erinnerung geblieben.
Atlanta 1996. Rio 2016. Dazwischen liegen 20 Jahre. 20 Jahre sind im richtigen Leben eine lange Zeit. Im Sport sind 20 Jahre eine Ewigkeit. Ein glanzvolles olympisches Comeback scheint nach 20 Jahren unmöglich.
Aber Genie, Eleganz, Schlauheit altern nie. Die Leidenschaft fürs Spiel ist bei Martina Hingis auch nach 20 Jahren immer noch gross, eher grösser als vor 20 Jahren. Eine der grössten Schweizer Athletinnen aller Zeiten und Sportarten. Eine Tenniskönigin aus einer anderen Zeit und doch für die Ewigkeit.
In Atlanta 1996 war ich froh, kein «Gschichtli» über Martina Hingis schreiben zu müssen. In Rio 2016 gibt es kaum eine bessere Story als Martina Hingis.