Gewinnt Federer drei, vier Turniere, wäre das eine gute Saison. Gewinnt er fünf oder mehr, wäre das sehr gut. Kommt ein 21. Grand-Slam-Titel dazu, wäre das sogar überragend. Die Chancen sind intakt. Doch die nackten Zahlen verlieren an Bedeutung. Zahlenreihen verblassen, Rekorde stehen in Büchern, sie verstauben, Erinnerungen aber bleiben im Gedächtnis. Wie er bei einer Frage nach seinem verstorbenen Ex-Trainer Peter Carter in Tränen ausbricht. Wie er 2003 nach seinem ersten Wimbledon-Sieg mit Pferdeschwanz in die Knie geht. Er hat dem Tennis viel gegeben: Emotionen, Werte, Strahlkraft. Dass Federer noch spielt, macht das Jahr 2019 – unabhängig von Resultaten – zu einem Traumjahr.
Eine Titelverteidigung in Rotterdam ist unwahrscheinlich. Gesetzt sind neben den Australian Open, Wimbledon und den US Open Halle, Basel und der Final der Jahresbesten (sofern Federer sich qualifiziert). Fast sicher sind Teilnahmen in Indian Wells, Miami, Cincinnati und Schanghai. Wahrscheinlicher als zuletzt ist eine Rückkehr auf Sand. Barcelona und Madrid stehen als Testlauf für Roland Garros im Vordergrund. Hatten ihm seine Trainer Severin Lüthi und Ivan Ljubicic im Vorjahr nach Absprache mit dem medizinischen Personal noch davon abgeraten, lautet der Tenor nun anders. «Sie sagten mir: Spiel, worauf du Lust hast.»
Vieles spricht dafür. Er wird im August 38-jährig, hat vier Kinder, die Jüngsten kommen ins schulpflichtige Alter. Federer sagt zwar, dass er immer noch in den Sport verliebt sei, aber auch: «Es ist wie beim Bergsteigen. Wenn du älter wirst, wird die Luft dünner, alles wird extremer, das spüre ich.» Plante er vor seiner Rückkehr im Januar 2017 für «mehrere Jahre», beschränkt sich das inzwischen auf Monate. Sicher ist: Sofern er gesund bleibt, tritt Federer nicht während der Saison zurück. «Danach werden wir sehen, ob es noch ein Jahr gibt oder nicht.» Mit drei Grand-Slam-Titeln und der Rückkehr auf Platz 1 der Weltrangliste hat Federer in den letzten beiden Jahren ohnehin schon mehr erreicht, als er sich jemals erträumt hatte.
Vermutlich schon. Nach vollständiger Genesung und überstandener Sinnkrise tritt er derart dominant auf, dass er den Grand-Slam-Bestwert von Roger Federer (20 Titel) angreifen will. Der Serbe steht bei 14 Erfolgen. Von der Spitze der Weltrangliste ist Djokovic im ersten Halbjahr nicht zu verdrängen. Es wird interessant, wie sich der 31-Jährige auf Sand schlägt. Bei kleineren Turnieren zeigte sich Djokovic indessen verwundbar. Seine letzten Bezwinger hiessen Roberto Bautista-Agut, Karen Khachanov und Stefanos Tsitsipas.
Zwar meldet der Mallorquiner sich als gesund zurück, doch dessen Bilanz auf Hartbelägen im letzten Jahr ist alarmierend. 13 Mal war er gemeldet, zehn Mal trat er gar nicht erst an, zwei Mal musste er eine Partie aufgeben (in Melbourne und bei den US Open), einmal gewann er den Titel. Die Frage ist nicht, ob Rafael Nadal ein Grand-SlamTurnier auf Hartbelag gewinnen kann, sondern ob der geschundene Körper das zulässt.
Nein. Djokovic, Federer und Nadal auf Sand bleiben die logischen Sieger bei Grand-Slam-Turnieren. Bestätigt Alexander Zverev die Erwartungen mit seiner Major-Premiere, wäre das nur die Fortsetzung einer Evolution, aber keine Revolution. Spielern wie Karen Khachanov, Stefanos Tsitsipas und Daniil Medwedew fehlt noch die Erfahrung der finalen Phase bei einem Grand-Slam-Turnier. Kevin Anderson oder Marin Cilic dürfen hingegen träumen.
Er beendete die Saison nach zwei schweren Knieoperationen in den Top 100 und setzte mit Siegen gegen den damaligen Masters-Sieger Grigor Dimitrov in Wimbledon und New York Ausrufezeichen. Vom Spiel her ein Kandidat für grosse Titel, aber der Romand hat im letzten Jahr nur eine Partie über fünf Sätze bestritten. Wie der Körper des bald 34-Jährigen auf diese Belastung reagiert, ist offen. Er wird sich in der Weltrangliste weiter verbessern. Auch Turniersiege sind möglich, aber kaum auf höchster Stufe. Affaire à suivre.
Belinda Bencic wechselte im vergangenen Jahr zwei Mal den Trainer. Nun ist sie wieder mit Vater Ivan unterwegs. Sie überzeugte am Hopman Cup und in Hobart, womit sie sich wieder in die Top 50 der Weltrangliste spielte. Unter Fitnesstrainer und Freund Martin Hromkovic ist die immer noch erst 21- Jährige athletischer geworden. Bleibt sie gesund, ist sie eine Kandidatin für die Top Ten – und in Wimbledon eine Geheimfavoritin. Timea Bacsinszky (29) dürfte sich wieder in die Top 100 spielen, sofern sie von Rückschlägen verschont bleibt.
Wieder niemand. Das letzte Jahr brachte mit Caroline Wozniacki, Simona Halep, Angelique Kerber und Naomi Osaka vier verschiedene Grand-SlamSiegerinnen, ausser für Kerber war es für alle eine Premiere. Ein Dutzend Spielerinnen kann sich berechtigte Hoffnungen auf eine der vier wichtigsten Trophäen machen. In Australien treten gleich 13 an, die das in ihrer Karriere schon einmal geschafft haben. Zum Vergleich: Bei den Männern sind es nur vier.
Der Davis Cup wird erstmals nach neuem Format ausgetragen. Der Hopman Cup dürfte 2020 dem World Team Cup zum Opfer fallen. Bei den Grand-Slam-Turnieren gelten nun vier verschiedene Regeln, wie der Sieger bei 6:6 im Entscheidungssatz ermittelt wird. Mehrfach getestet wurden Sätze mit vier Games und in Mailand spielte die Generation von morgen ohne Linienrichter. Die Devise: In einer Zeit der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne soll das Spiel schneller und für TV-Stationen planbarer werden. Ein Trugschluss, liegt die Schönheit des Spiels doch gerade in seiner Unberechenbarkeit bis zum allerletzten Punkt.