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Alles erinnert fatal an den September 2008: Nach dem Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers brach rund um den Globus Panik aus. Ein Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems konnte nur haarscharf vermieden werden. Jetzt brechen erneut Aktienkurse ein, und die einzelnen Währungen werden wie wild auf- oder abgewertet. Droht uns eine Wiederholung des Horrorfilms? Sieben Gründe sprechen dafür:
Der Brexit wird wohl die komplizierteste Scheidung in der Geschichte der Menschheit werden. Am besten kann man es vergleichen mit dem Versuch, eine Omelette wieder in Eier verwandeln zu wollen. Rund 14'000 Verträge hat London mit Brüssel abgeschlossen. Sie müssen nicht nur neu verhandelt werden, die Resultate müssen auch von allen EU-Staaten akzeptiert und von den jeweiligen Parlamenten ratifiziert werden.
Theoretisch sollte der Brexit innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen sein. Solange wird Grossbritannien im Zustand einer «EU-Noch-Mitgliedschaft» verharren. Doch dieser ungeklärte Status könnte sich noch viel länger hinziehen. Experten rechnen mit einem Zeitraum von bis zu zehn Jahren. Kommt dazu, dass möglicherweise Schottland und Nordirland das Vereinigte Königreich verlassen und in der EU bleiben wollen. All dies bedeutet Unsicherheit, und Unsicherheit ist das schlimmste Gift für die Wirtschaft.
Im September 2008 haben die Zentralbanken mit einem beherzten Vorgehen eine globale Depression verhindert. Sie werden dies auch diesmal versuchen, doch ihre Mittel sind beschränkt. Sie haben ihre Munition weitgehend verschossen: Die Zinsen liegen bei Null oder teilweise gar im negativen Bereich, die Bilanzen sind aufgebläht wie noch nie. Nach dem Lehman-Kollaps waren sich die Experten einig, dass die Zentralbanken einen zweiten Schock in diesem Ausmass nicht mehr werden auffangen können. Der Brexit könnte dieser zweite Schock sein.
Die Turbulenzen auf den Märkten könnten sich als nicht mehr kontrollierbar erweisen. Dank der jahrelangen Politik des billigen Geldes sind die Vermögenswerte teils massiv überbewertet, vor allem Immobilien und Aktien. Geraten die Preise ins Rutschen, dann fällt der sprichwörtliche Dolch, den man bekanntlich mit blossen Händen nicht auffangen kann, will heissen: Es droht eine tödliche Abwärtsspirale, die sehr rasch sehr grosse Vermögen vernichtet. Deshalb kann man bereits eine Flucht in sichere Werte beobachten, Gold beispielsweise – oder den Schweizer Franken. Das wird Thomas Jordan & Co. noch einige schlaflose Nächte bescheren.
Die Turbulenzen auf den Märkten könnten den Auftakt zu einer Kreditklemme sein – und dann wird es richtig gefährlich. Kreditklemme bedeutet, dass sich die Banken gegenseitig kein Geld mehr leihen, aus Angst, es nicht mehr zurückzuerhalten. Niemand weiss genau, welche Folgen der Brexit-Schock für die verschiedenen Teilnehmer hat, wer möglicherweise auf faulen Krediten sitzt und wer nicht. Eine Kreditklemme ist vergleichbar mit einem Blackout im Stromnetz. Wird sie nicht rasch behoben, dann gehen die Lichter aus. Im September 2008 hätte dazu nicht mehr viel gefehlt.
Die Weltwirtschaft ist angeschlagen: China will sich von der globalen Werkhalle in eine Dienstleistungsgesellschaft verwandeln. Ob dies gelingt, ist derzeit ungewiss. Schwellenländer wie Brasilien oder Russland befinden sich in schweren Rezessionen, die Ölscheiche am Persischen Golf müssen den Gürtel enger schnallen. Die Schwellenländer waren nach 2008 für mehr als die Hälfte der Zunahme des globalen Wirtschaftswachstums verantwortlich. Diesmal wird man nicht auf sie zählen können.
Der Brexit könnte sich als Auftakt eines weltweiten Backlash gegen die Globalisierung und den Freihandel erweisen. Handelsabkommen wie der TPP (USA- Asien) und TTIP (USA-Europa) sind bereits heute stark umstritten. Sie könnten sich nun definitiv als nicht umsetzbar erweisen. Der politische Kollateralschaden ist zu gross geworden.
Und damit sind wir bei dem Grund angelangt, warum der Brexit auch eine grosse Chance darstellt. Es zeigt sich immer mehr, dass die Menschen nicht mehr an die Segnungen einer aus dem Ruder gelaufenen Globalisierung glauben, einer Hyperglobalisierung, wie sie der renommierte Handelsökonom Dani Rodrik nennt.
Die weltumspannenden Supply Chains erweisen sich ökologisch und politisch als zunehmend unhaltbar. Ökologisch, weil es sich im Zeitalter der Klimaerwärmung nicht mehr rechtfertigen lässt, Güter rund um den Globus zu karren. Politisch, weil immer klarer wird, dass billige Smartphones und Laptops den Verlust von Jobs nicht kompensieren.
Die Menschen wollen zurück zu einer dezentralen Wirtschaft, die lokal und regional verankert ist. Dank der Vierten Industriellen Revolution wird dies zunehmend auch möglich. So gesehen könnte der Brexit sich dereinst auch als Auftakt zu einer dezentralen und nachhaltigen Wirtschaftsordnung erweisen.