Die Digitalisierung ist für die Unternehmen eine Herausforderung und es ist legitim, dass sich der Bundesrat überlegt, wie er sie dabei unterstützen kann. Aber was der Wirtschaft oder dem einzelnen Unternehmen nützt, ist nicht unbedingt gut für das ganze Land.
Dank Uber kann jeder Auto-Besitzer in der Freizeit als Taxichauffeur arbeiten. Über ähnliche Plattformen können auch Handwerker, Steuerberater, Buchhalter usw. nebenbei noch etwas verdienen. Dank Airbnb wird jeder Hausbesitzer oder Mieter zum potentiellen Hotelier. Statt sich irgendwo fest anstellen zu lassen, kann sich via Internet jeder zum Angestellten seiner selbst machen.
Der teure Laden an guter Lage wird durch billigen Lagerraum ersetzt. Insgesamt wird dadurch die Wirtschaft viel effizienter. Es gibt weniger Leerzeiten und die physischen Ressourcen (Autos, Wohnraum usw.) werden besser genutzt. All dies gibt es in Ansätzen schon. Doch wie sieht unsere Gesellschaft aus, wenn die Ansätze zur Norm werden? Möchten wir in einer solchen Welt leben?
Wie müssen wir diese neue Welt regulieren, damit sie noch lebenswert bleibt? Die Gefahren sind offensichtlich. Der wichtigste Punkt betrifft den Arbeitsmarkt. Bei uns ist er stark reguliert. Insbesondere muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass gut 30 Prozent der Lohnsumme in die Sozialwerke (AHV, BVG, ALV) einbezahlt werden.
Die Plattform-Ökonomie bietet den Unternehmen die Möglichkeit, diese Kosten zu vermeiden und den ganzen bürokratischen Aufwand einzusparen. Deshalb können Uber, Airbnb & Co. ihre Produkte deutlich billiger als ihre Konkurrenten anbieten. Es entsteht eine Negativspirale, die auch die Löhne erfasst. Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass die Arbeitseinkommen in deregulierten Arbeitsmärkten meist nicht einmal die laufenden Lebenskosten decken. Als Folge davon steigen die Sozialausgaben des Staates und die Lebenserwartung der Niedriglöhner sinkt.
Der Sieger dieses Verelendungs-Wettlaufs kann Monopolpreise oder Monopolgebühren durchsetzen. Airbnb etwa kassiert rund 15 Prozent des Hotelpreises. Bei Amazon liegt die Gebühr zwischen 15 und 20 Prozent.
Das ist wie eine private Mehrwertsteuer, mit dem Unterschied dass das Geld nicht (für Strassen, Schulen etc.) in den Wirtschaftskreislauf zurück fliesst. Das heisst nicht, dass man Plattformen wie Uber oder Airbnb verbieten soll. Aber man sollte sie so regulieren, dass die Vorteile überwiegen. Fragt sich: Vorteile für wen?
Die Antwort gibt der Bundesrat in seinem 177 Seiten starken «Bericht über die zentralen Rahmenbedingungen für die digitale Wirtschaft» schon in der Einleitung unmissverständlich: «Voraussetzung dafür, dass Unternehmen die Chancen der Digitalisierung nutzen können, ist in erster Linie die Freiheit bzw. der unternehmerische Spielraum.»
Um diesen Spielraum nicht zu gefährden, «soll der digitale Wandel nicht durch vorschnelle und ungeeignete Regulierung beeinträchtigt werden.» Offenbar geht es dem Bundesrat nicht darum, wie die Digitalisierung zum Nutzen aller reguliert werden soll. Der Bundesrat sorgt sich bloss um den unternehmerischen Spielraum.
In gewohnter Manier will er für die Wirtschaft die Rahmenbedingungen schaffen, dass sie die Möglichkeiten der Digitalisierung optimal nützen können, möglichst schneller als die ausländische Konkurrenz. «Die laufende Entwicklung ist primär eine Chance für den Wirtschaftsstandort Schweiz.»
Die Risiken der Digitalisierung werden bloss angetippt. Zum Arbeitsmarkt heisst es etwa: «Auch die soziale Absicherung (Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen) kann Fragen aufwerfen, da in der Sharing Economy häufig ausserhalb eines geregelten Arbeitsvertrags operiert wird.»
Das wird aber nicht vertieft, weil der Bericht offenbar davon ausgeht, dass in der digitalen Wirtschaft bloss «zusätzliches, flexibel zu erzielendes Einkommen» erwirtschaftet wird. Auch das Problem der Monopolgebühren wird nur gestreift: «Digitale Plattformen weisen gewisse Besonderheiten auf und haben oft eine Tendenz zur Konzentration.»
Was könnte man tun? Frankreich etwa verpflichtet die Plattformen, für die vermittelten Arbeitskräfte sämtliche Sozialleistungen plus eventuelle Mehrwertsteuer abzuliefern. Wäre das auch für die Schweiz eine Idee? Nein, gemäss Bericht besteht «kein diesbezüglicher Prüfungsbedarf». Wo käme man da hin?
Insgesamt geht der Bericht von einem sehr engen Begriff von Wirtschaft aus. Immer wieder ist die Rede davon, dass es die Digitalisierung ermögliche, «Ressourcen flexibler effizienter zu nutzen und den Wettbewerb zu intensivieren». Effizienz ist alles. Allerdings wird der «potentielle ökonomische Gewinn aufgrund ungenutzter Ressourcen» bloss auf vier Milliarden Franken oder 0,6 BIP-Prozent beziffert.
Der Preis dafür ist, dass die «Ressource Mensch» noch flexibler eingesetzt wird. Ausbeutung wird dabei billigend in Kauf genommen. Der Standortwettbewerb fordert seine Opfer. Fazit: Die Digitalisierung der Gesellschaft ist eine Gratwanderung mit Absturzgefahr. Die Sofa-Ökonomen aus dem Volkswirtschaftsdepartement sind als Bergführer nicht geeignet.