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Der TV-Satiriker John Oliver zeigte kürzlich in seiner Show einen Ausschnitt aus einem Interview mit Newt Gingrich. Dabei ging es um die Welle des Verbrechens, die derzeit angeblich die Vereinigten Staaten überrollt. Die TV-Moderatorin legte Gingrich eine Statistik vor, die klar zeigt, dass die Kriminalität in den letzten Jahren markant gesunken ist. Das sage gar nichts, wendet Gingrich ein, die Linken würden für alles irgendeine Statistik haben. Die Statistik stamme vom FBI, es handle sich um offizielle Fakten, widerspricht die Moderatorin.
Gingrich lässt sich davon nicht beeindrucken. Es möge ja sein, dass dies Fakten seien, aber er verlasse sich auf das Gefühl der Menschen, und dieses Gefühl sage ihm, dass die Verbrechen zugenommen hätten. Das sei genauso viel wert wie Fakten.
Newt Gingrich ist eine Art verschärfte US-Version unseres Andreas Glarner, aber er ist kein Amok. In den 90er Jahren war er Fraktionschef der Republikaner und hat den Aufstand gegen Bill Clinton organisiert. Vor vier Jahren war er einer der republikanischen Präsidentschaftsanwärter und dieses Jahr wurde er lange als möglicher Vize von Donald Trump gehandelt. Sollte dieser tatsächlich ins Weisse Haus einziehen, dann hat Gingrich beste Chancen für einen Posten im Kabinett.
Das Interview mit Gingrich erinnert an den berühmten Dialog zwischen Alice und Humpty Dumpty im Wunderland. «Wenn ich ein Wort benutze», sagte Humpty Dumpty ziemlich verächtlich, «dann hat es genau die Bedeutung, die ich wähle nicht mehr und nicht weniger.» «Die Frage ist», sagte Alice, «ob man das machen kann, dass Wörter so viel Verschiedenes bedeuten.» «Die Frage ist», sagte Humpty Dumpty, «wer das Sagen hat – das ist alles.»
Tatsächlich reduziert sich die Politik derzeit immer mehr darauf, wer das Sagen hat. Obwohl so genannte Fakten-Checks in allen Medien hoch im Kurs stehen, und jedes Provinzblatt mittlerweile einen Datenjournalisten engagiert hat, sind Fakten zur Nebensache geworden. In den Reden von Donald Trump mischen sich Dichtung und Realität beliebig. Es ist mittlerweile zu einem Ritual geworden, dass man ihm in seinen Reden Dutzende von falschen Fakten nachweisen kann. Seiner Beliebtheit tut dies keinen Abbruch. Hauptsache, seine Fans bekommen das vorgesetzt, was sie fühlen wollen.
Im durch Terroranschläge aufgeheizten Polit-Klima Europas sieht es nicht besser aus. Im Vorfeld der Brexit-Abstimmung wurde gelogen, dass sich die Balken bogen. Den damaligen britischen Justizminister Michael Gove hat dies kalt gelassen. «Die Menschen haben die Schnauze voll von Experten», wischte er faktische Argumente im Sinne von Gingrich vom Tisch.
Nach dieser Devise handeln Blogger und Online-Kommentatoren aller Couleurs im Internet. Dass dabei die bizarrsten Verschwörungstheorien ins Kraut schiessen, ist die logische Folge davon. Um die These, wonach die USA 9/11 selbst inszeniert haben sollen, ist mittlerweile eine ganze Industrie entstanden.
Es wird immer schwieriger, Verschwörungstheorien als solche zu erkennen. Hat der russische Geheimdienst die Computer der demokratischen Partei gehackt und via Wikileaks Mails an die Öffentlichkeit gebracht, die Hillary Clinton schaden? Es gibt plausible Gründe für diese These. Die renommierte «New York Times» beispielsweise hält sie für sehr wahrscheinlich. Wir werden die Wahrheit wahrscheinlich nie wissen.
Genauso wie im Fall des missglückten Militärputsches in der Türkei. Haben die USA mit Hilfe von Fethullah Gülen Präsident Recep Erdogan stürzen wollen? Oder hat Erdogan den Putsch inszeniert, um ihn als Vorwand für eine Abwendung vom Westen und eine Annäherung an Russland zu nutzen?
«Jeder Mensch hat das Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf seine eigenen Fakten», hat der verstorbene US-Senator Daniel Patrick Moynihan einst gesagt. Besser kann man das Vermächtnis der Aufklärung nicht zusammenfassen. Dieses Vermächtnis geht heute vor die Hunde – und das verspricht wenig Gutes.