«In fünf Stunden 10 Millionen Dollar verdienen» – wer träumt nicht davon? Das Basler Unternehmen Modum hat es vorgemacht. An der ausverkauften Konferenz Finance 2.0 Switzerland in Zürich haben Vertreter des in der Pharmabranche tätigen Startups auch erklärt wie:
Als die Banken weitere Kredite verweigerten, entschlossen sich die führenden Modum-Köpfe, ein «Initial Coin Offering» (ICO) durchzuführen. Zu diesem Zweck brachten sie «Tokens» in den Umlauf. Jedermann konnte zugreifen, und die Kryptowährungsgemeinde tat dies auch: Innert Stunden wurden Tokens für rund 10 Millionen Dollar an den Mann und die Frau gebracht.
Für Einsteiger der Reihe nach: Kryptowährungen sind digitales Geld. Die bekannteste davon sind die Bitcoins. Das russisch-kanadische Wunderkind Vitalik Buterin hat die den Bitcoins zugrunde liegende Technologie, die Blockchain, weiterentwickelt und sie mit «smart contracts» angereichert. Entstanden ist so eine Konkurrenzwährung zu den Bitcoins, Ether genannt.
Dank den Smart Contracts ist Ether mehr als eine Währung. Es können darin auch Bedingungen und Regeln festgelegt werden. Ether eignet sich deshalb ideal für die Tokens, wie sie Modum in Umlauf gebracht hat. Wer sie erwirbt, kann beispielsweise davon profitieren, dass bestimmte Ziele erreicht werden. Diese Tokens sind ihrem Wesen nach deshalb Bastarde: Sie sind gleichzeitig Zahlungsmittel und eine Art Aktie.
Die Verbindung von Tokens und ICOs hat eine neue Art der Finanzierung für Startup-Unternehmen geschaffen. Auf der Grundlage von Ether werden immer neue Währungen in Umlauf gebracht, die an eigens dafür geschaffenen Börsen getauscht werden können.
Das traditionelle Geschäft mit Wagniskapital ist für Kleininvestoren kaum mehr zugänglich. Als «angel investors» betätigen sich vorwiegend sehr reiche und institutionelle Investoren, die sich mit inzwischen hoch professionalisierten Verfahren die lukrativsten Startups angeln. Kleine habe keine Chance, Zutritt in diese illustren Kreise zu erhalten.
Die ICOs sind deshalb ein Mittel, das wieder zu ändern. Plakativ ausgedrückt, eröffnen sich damit dem Kleininvestor die gleichen Chancen wie dem Hedge-Fund-Manager. «Das zeigt, dass eine Demokratisierung der Finanzen möglich geworden ist», jubelt Modum-Verwaltungsrat Marc Degen.
Seit dem Frühsommer sind die ICOs förmlich explodiert. Fast täglich sind neue Währungen mit exotischen Namen geschaffen worden. Bei einigen ist dabei richtig viel Geld zusammengekommen. Im Silicon Valley konnte ein Softwareunternehmen namens Protocol Labs mit einer Währung namens Filecoin 250 Millionen Dollar auftreiben. Die «Financial Times» beziffert die Summe aller ICOs auf 1,8 Milliarden Dollar.
In der Kryptogemeinde herrscht daher Euphorie. «Das sind Zustände wie zu Beginn des Internets», schwärmt etwa der Venturekapitalist Tim Draper. «Es könnte grösser werden als alles, das wir bisher gesehen haben. Die Gesellschaft wird damit transformiert werden. Wenn sich der Staub dereinst gelegt hat, werden wir eine wohlhabendere und gerechtere Welt haben. ICOs haben dort Erfolg, wo die Regierungen gescheitert sind.»
Man kann das aber auch ganz anders sehen. Die Kritiker vergleichen den ICO-Boom mit den IPOs der 90er Jahre. IPO steht für Initial Public Offering, den Börsengang eines Unternehmens. In der Dotcom-Euphorie drängten Unternehmen an die Börse, die noch kein vernünftiges Produkt hatten und tiefrote Zahlen schrieben.
Trotzdem explodierten anfänglich die Aktienkurse. Beim Crash der Technobörse Nasdaq zu Beginn dieses Jahrhunderts platzte diese Blase. Investoren mussten Milliarden abschreiben. ICO-Kritiker warnen davor, dass sich das Debakel der Dotcom-Euphorie nun wiederholt. «Viele schalten ganz einfach das Gehirn ab und springen hinein», erklärt etwa Mark Williams, Finanzprofessor an der Boston University in der «Financial Times».
Misstrauisch macht auch, dass inzwischen die Glamour-Szene auf den ICO-Zug aufgesprungen ist. Sie gelten nicht unbedingt als Finanzexperten: Paris Hilton, Boxweltmeister Floyd Mayweather und Fussballstar Luis Suàrez machen für exotische Tokens Werbung.
Dazu kommt, dass es für ICOs bisher keinerlei Regulierung gibt. Es ist mehr oder weniger alles erlaubt. Um es bildlich auszudrücken: ICOs sind für Betrüger das Gleiche wie die Street Parade für Taschendiebe, eine ideale Gelegenheit zuzugreifen.
Reputierte Banker wie JPMorgan-CEO Jamie Dimon warnen deshalb vor Bitcoins und bezeichnen sie als Betrug. Aber auch Insider gehen auf Distanz. An der Finance 2.0 war auch der New Yorker Bitcoin-Trader Tone Vays zu Gast. Er hält die neuen Währungen für überflüssig. «90 Prozent davon ist Mist», sagt er.