Bis vor kurzem war der
Ausdruck «Fiat Money» ein technischer Begriff, den nur Insider kannten. Heute
ist er selbst Laien geläufig. Warum?
Weil
wir heute fast nur noch mit «Fiat Money», d.h. mit Geld ohne innerem Wert
bezahlen. Die wichtigste Form von Fiat Money ist heute das sogenannte Giralgeld,
welches nur als Zahl auf einem Bankkonto existiert. Und so langsam setzt sich
auch die Erkenntnis durch, dass dieses Geld durch die Geschäftsbanken
geschaffen wird.
Für die klassische Ökonomie
ist Geld nebensächlich, ein Schmiermittel quasi. Was hat sich geändert?
Wenn man anerkennt, dass die Geschäftsbanken mittels Kredit Geld aus dem Nichts
schöpfen können und dafür nicht auf Spargelder angewiesen sind, muss man auch
zugeben, dass diese Geldschöpfung einen Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen
hat. Geld ist damit nicht neutral, wie das die herkömmliche Ökonomie behauptet.
Wir alle sind mit der
Vorstellung aufgewachsen, dass Banken unsere Spargelder verleihen und von der
Zinsdifferenz leben.
Die
Banken haben diese Vorstellung auch gefördert, weil sie dadurch in einem
sympathischen Licht erscheinen. Sie haben eine Bilderbuchwelt
zusammengezimmert, die leicht nachvollziehbar ist. In der Realität stimmt
dieses Bild aber seit ein paar hundert Jahren nicht mehr.
Jetzt kommt die
Vollgeld-Initiative, die verbieten will, dass Geschäftsbanken via Kredit Geld
schöpfen. Wie realistisch ist das?
Es
würde bedeuten, dass die Geldschöpfung von der Zentralbank direkt erfolgt und
damit kontrolliert wird. Das wäre allerdings ein relativ unflexibles System,
das kurzfristig nicht auf unvorhergesehenen Kreditbedarf reagieren kann.
Deshalb lässt selbst die Vollgeld-Initiative ein Hintertürchen offen, indem die
Banken sich bei Bedarf kurzfristig von der Zentralbank weiteres Geld beschaffen
dürfen.
«Alle Macht den
Zentralbanken» ist gewissermassen das Credo der Vollgeld-Initiative. Das tönt
sehr links, doch die Idee dahinter ist sehr bürgerlich.
Das Konzept ist in den
30er-Jahren an der Universität Chicago entstanden. Es
ist falsch zu glauben, dass im Vollgeld-System der Staat entscheidet, wer
welchen Kredit erhält. Selbst nach Annahme der Vollgeld-Initiative würden die
Geschäftsbanken in dieser Hinsicht autonom bleiben. Es geht einzig darum, wer
Geld schöpfen darf. Heute dürfen dies auch die privaten Geschäftsbanken tun,
und sie tun das in der Absicht, einen maximalen Gewinn zu erzielen.
Was ist daran schlimm?
Auf
der Suche nach dem maximalen Gewinn vergeben Banken manchmal auch fragwürdige
Kredite wie vor der jüngsten Finanzkrise in den USA. Das kann zu gefährlichen
Spekulationsblasen führen.
Ist das der Grund, weshalb
auch die Hardcore-Liberalen der sogenannten «österreichischen Schule» eine
gewisse Sympathie für das Vollgeld haben?
Ähnliche
Ideen wie die Vollgeldidee stammen von sehr marktorientierten Ökonomen. Milton
Friedman beispielsweise vertrat die schon in den 30er Jahren des vergangenen
Jahrhunderts entwickelte Idee des 100-Prozent Geldes, wo die Banken neu
geschaffenes Geld zu 100 Prozent mit Zentralbankengeld unterlegen müssen. Es
ist auch eine Tatsache, dass die massive Kreditvergabe der amerikanischen
Banken zum Kauf von Aktien ein bedeutender Treiber für die Spekulationsblase
war, die 1929 geplatzt ist. Vor diesem Hintergrund ist die Idee des
100-Prozent-Geldes entstanden.
Die Banken mögen das
Vollgeld nicht. Sie wollen – sehr vereinfacht ausgedrückt – möglichst viel Geld
verkaufen, und das tun sie, indem sie Kredite verleihen.
Irgendwann
jedoch ist das Potential an kreditwürdigen Kunden ausgeschöpft. Geld in
grösserem Stil an nicht-kreditwürdige Kunden zu verleihen geht nur, wenn man
sich der Kontrolle der Zentralbanken irgendwie entzieht.
Wenn das Papiergeld durch
Gold gedeckt ist, dann ist es ebenfalls sicher, ist eine weit verbreitete
These. Was ist der Unterschied zwischen dem Goldstandard und dem Vollgeld?
Unter
einem Goldstandard ist die Zentralbank verpflichtet, Papiergeld jederzeit in
eine vorher bestimmte Menge Gold umzutauschen. Das schränkt die Kreditschöpfung
der Geschäftsbanken ebenfalls massiv ein. Doch die Geschäftsbanken können die
Kontrolle der Golddeckung leicht umgehen, indem sie ihre Kunden auffordern, mit Schecks oder heute direkt mit dem virtuellen Geld auf dem Bankkonto zu bezahlen.
Warum hat die Idee eines
Goldstandards auch heute noch Anhänger?
Gold
gibt den Menschen das Gefühl, dass hinter dem Papiergeld etwas Reales steht.
Nur täuscht dieses Gefühl. Eine volle Golddeckung hat es nie gegeben. Der
Goldstandard musste schon im 19. Jahrhundert mehrere Male ausser Kraft gesetzt
werden, sonst wäre das Bankensystem zusammengekracht. Heute ist der
Goldstandard keine ernst zu nehmende Lösung mehr.
Und was ist der Unterschied
zum Vollgeld?
Beim
Vollgeld geht es nicht darum, dass Papiergeld mit Gold gedeckt sein muss. Es
geht darum, wie Geld in Umlauf gebracht wird und wer das darf.
Das mittels Kredit
geschaffene Fiat Money hat einen schlechten Ruf. Zu Recht?
Nein.
Kredite haben das Wirtschaftswachstum erst möglich gemacht. Ohne die
Möglichkeit der Geldschöpfung durch die Banken hätte es keine industrielle
Revolution gegeben. Die Investitionen hätten nicht finanziert werden können.
Hätten die Spargelder nicht
ausgereicht?
Sparen heisst, den Konsum einzuschränken. Deshalb hätte es gar
keine Nachfrage nach den Produkten gegeben, weil die Menschen kein Geld gehabt hätten, um diese Produkte
zu kaufen. Folgerichtig hätten die Unternehmer keinen Anreiz gehabt zu
investieren. Konsum und Investitionen müssen parallel wachsen, und das ist nur
mit aus dem Nichts geschöpftem Geld möglich, wo nicht gleichzeitig mehr gespart
werden muss.
Wird Fiat Money für
produktive Zwecke verwendet, dann sind diese Kredite somit ein Segen?
Wenn
man Wirtschaftswachstum will, dann ja. Ohne Fiat Money wäre unser Wohlstand
undenkbar. Das Problem liegt darin, dass heute ein grosser Teil der Kredite
nicht mehr dazu verwendet wird, die Wirtschaft produktiver zu machen. In der
Schweiz werden rund 85 Prozent aller Kredite für Hypotheken gebraucht.
Was ist daran schlecht? Ein
Haus ist doch ein sicherer Wert und Bauen ein respektables Geschäft.
Im
Gegensatz zu einer Maschine macht ein Haus die Wirtschaft nicht produktiver,
und es wird nur einmal gebaut. Wenn mit Immobilien spekuliert wird, dann kommt es
zu einer Inflation, allerdings nicht zu einer Verteuerung der Alltagsgüter,
sondern zu einer sogenannten Vermögensinflation. Daran ändert übrigens auch die
Vollgeld-Initiative nichts. Selbst bei einer Annahme dieser Initiative würden
die Banken weiterhin einen Grossteil ihrer Kredite für Hypotheken verwenden.
Warum ist das für die Banken
attraktiver als in Unternehmen zu investieren?
Hypothekarkredite
sind in der Regel gut gesichert und einfach zu vergeben. Kredite an kleine
Unternehmen sind hingegen aufwändig, und unsicher. Kurz: Sie bedeuten viel
Aufwand für wenig Ertrag.
Eigentlich ist es absurd,
dass sich Investitionen in die reale Wirtschaft kaum mehr lohnen.
Am
liebsten vergeben Banken Kredite an Kunden, die sie gar nicht brauchen. Wer
kein Geld braucht, ist in der Regel kreditwürdig. Wer Geld braucht, ist bereits
verdächtig. In der Schweiz fördern wir mit Steueranreizen das Vergeben von
Hypothekarkrediten. Deshalb haben wir auch die hohe Hypothekarverschuldung.
Die Zentralbanken können
seit der Finanzkrise die Geldschöpfung der Geschäftsbanken kaum mehr
kontrollieren. Weshalb?
Bis
2008 waren die Geschäftsbanken auf das Zentralbankengeld angewiesen, sei es,
weil ihre Kunden Bargeld beziehen, oder sei es, weil es eine
Mindestreserve-Vorschrift gibt. Und schliesslich wickeln Banken ihre Zahlungen
untereinander mit Zentralbankengeld ab. Die Finanzkrise hat dazu geführt, dass
verschiedene Zentralbanken durch Wertpapierkäufe sehr viele Reserven geschaffen
haben, um so einen Kollaps des Systems zu verhindern. Die Schweizer Nationalbank
musste dagegen Devisen kaufen, um eine überrissene Aufwertung des Frankens zu
verhindern. Das hat dazu geführt, dass die Schweizer Banken heute die
Mindestreservepflicht von 2,5 Prozent etwa 30 Mal übertreffen. Sie haben daher
immer genügend Reserven, um jede Menge neue Kredite zu schöpfen.
Es gibt eine weit
verbreitete Angst, dass die grosse Ausweitung der Reserven bei der Nationalbank
zu einer Inflation führen wird. Teilen Sie diese Befürchtung?
Nein.
Der grosse Preisanstieg der Immobilien ist im Moment gebremst. Im Übrigen
hatten wir in den letzten Jahren sogar eine leichte Deflation. Das Problem
liegt darin, dass die Banken nicht mehr so recht wissen, wem sie noch in
grossem Stil weitere Kredite geben sollen. Der Hypothekenmarkt scheint
allmählich ausgereizt zu sein. Daher sehe ich auch keine Inflationsgefahr.
Die Vollgeld-Initiative
verspricht auch, dass die Zentralbank in diesem System jährlich hunderte von
Milliarden Franken verdienen wird, das sie als Volksvermögen verteilen kann.
Stimmt das?
Kaum.
Ich halte das für eine Spekulation.
Sprechen wir noch von den
Kryptowährungen. Wie weit sind sie interessant für die Banken?
Sie
sind – zumindest in der aktuellen Form – gegen die Banken gerichtet. Mit den Kryptowährungen
will man auch die steigenden Bankgebühren aushebeln. Nur funktionieren sie
bisher weniger als Währung, sondern viel mehr als Spekulationsobjekte.
Könnten sie als Währung
funktionieren?
Theoretisch
schon, und die Zentralbanken überlegen sich ja teilweise bereits, selbst
Kryptowährungen zu schaffen. Nur würde ein Krypto-Dollar oder ein
Krypto-Franken anders funktionieren als Bitcoins. Die Zentralbanken würden ihre
zentrale Rolle im Bankensystem und bei der Entwicklung der Geldmenge behalten.