Herr Hälg, in der vorletzten Generalversammlung liess ihnen der Anwalt der Familie Burkard ausrichten, Sie hätten bei Sika keine Zukunft. Nun diese Einigung, warum?
Paul Hälg: Zwei Dinge. Der Aktienpreis stieg Anfang Jahres über den Verkaufspreis, den die Familie mit Saint-Gobain ausgehandelt hatte. Somit entstand finanzieller Spielraum, um die Familie mit einer Einigung besser zu stellen, als mit dem Saint-Gobain-Vertrag.
Zweitens?
Irgendwann war ein finaler gerichtlicher Entscheid nicht mehr zu erwarten vor Ende 2018. Dann wäre der Vertrag zwischen Familie und Saint-Gobain abgelaufen.
Es hätte neu verhandeln müssen?
Ja. Ich weiss nicht, was für Gespräche es damals gab. Einmal vermeldete ein Familien-Anwalt via Medien, der Vertrag werde verlängert. Worauf Saint-Gobain erwiderte, nein, sie hätten einen robusten Vertrag. Das zeigte uns, dass eine Verlängerung schwierig würde. Der rechtliche Weg wurde zur Sackgasse.
Was Verhandlungen ermöglichte?
Das hat die beiden Partner an den Tisch gebracht. Wir waren ja immer offen und redeten viel mit der Familie. Da hiess es immer, wir haben einen Vertrag, uns sind die Hände gebunden. Saint-Gobain sagte, wir haben einen Vertrag, warten auf die Gerichte, und was ihr macht – ist illegal.
Wann kamen die ersten Signale?
In der zweiten Hälfte des letzten Jahres, als der Aktienpreis über den Verkaufspreis kletterte.
Wer kam auf Sie zu?
Namen kann ich keine nennen, aber wir haben mit Saint-Gobain geredet, nicht mit der Familie. Intensive Gespräche wurden erst nach der Generalversammlung am 17. April geführt.
Warum gab es an dieser GV dennoch harte persönliche Attacken?
Wir unabhängigen Verwaltungsräte waren ja das einzige Hindernis für die Familie: ohne uns hätten sie den Vertrag umsetzen können. Also wollten sie uns zermürben, mit allen Mitteln. Keinen Lohn; mediale Attacken auf einzelne; Teile-und-herrsche-Strategien mit Verantwortlichkeitsklagen gegen eine Gruppe von Verwaltungsräten, nicht gegen alle. Sie wollten uns auseinander dividieren, bis zum Schluss.
Verliefen die Verhandlungen reibungslos, als sie einmal angefangen hatten?
Nein, überhaupt nicht. Es kam zig Mal vor, dass die andere Seite vom Verhandlungstisch weglief.
Worum ging es?
Kritisch war natürlich die Frage, wie immer, wie hoch die Prämie ausfällt. Viel zu reden gaben auch die Restriktionen für Saint-Gobain als neuem Hauptaktionär. Und die Steuern: wie der Deal genau ausgestaltet sein muss, damit es steuerlich für Saint-Gobain aufgeht.
Was waren für Sie die kritischen Punkte?
Wir wollten alle Ziele für Sika erreicht haben. Wir konnten also nicht unser Okay geben zu einer Einigung, die noch irgendeine Hintertüre offen gelassen hätte.
Waren Sie überrascht, dass diese Gruppe von sechs Verwaltungsräten gemeinsam durchhielt?
Überrascht nicht. Es ist ein grosser Erfolg, dass wir trotz dieser Attacken zusammengestanden sind. Sonst wäre es schwierig geworden.
Wie gut geschützt sind Sie gegen spätere Attacken von Saint-Gobain?
Sehr gut. Während 6 Jahren ist Saint-Gobain stark eingeschränkt. Bei einem Verkauf müssen sie immer zuerst uns anbieten. Aktien dazu kaufen dürfen sie nur marginal, vier Jahre lang überhaupt nicht. Ein öffentliches Kaufangebot dürfen sie nicht abgeben. Sechs Jahre sind eine Ewigkeit im Geschäftsleben.
Nach diesen sechs Jahren?
Sehen Sie, Saint-Gobain hat mit diesen 12,8 Prozent rund zwei Milliarden Franken in einer einzigen Aktie, und verdient damit nur eine Dividendenrendite von 1,6 Prozent. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie dies länger tun werden als für die zwei Jahre, in denen sie es aus steuerlichen Gründen müssen. Sie werden nach diesen zwei Jahren bald einmal an uns verkaufen wollen.
Die vermehrte Zusammenarbeit, die man vereinbart hat. Warum steht das im Vertrag?
Saint-Gobain ist ein guter Kunde, beide Seiten wollen, dass es so bleibt. Wir werden schauen, ob auf dieser Grundlage mehr möglich ist. Es wird aber nicht vieles auf ein strategisches Niveau kommen, höchstens vielleicht in der Distribution.
Erhalten Sie Ihren Lohn für die letzten Jahre nun noch?
Wir werden das an der nächsten GV wieder aufbringen, auch die zurückliegenden Löhne. Ich gehe davon aus, dass wir das bewilligt erhalten.
Wie sehen Ihre persönlichen Pläne für Sika aus?
Für mich fängt es erst richtig an. Ich habe Freude an diesem Unternehmen und glaube ein Verständnis für dieses Geschäft zu haben. Nun können wir uns verstärkt auf unsere Ziele konzentrieren.
Ihr CEO Paul Schuler will einen Umsatz von zehn Milliarden erreichen, womit Sie eine Börsenkapitalisierung von rund 30 Milliarden Franken hätten. Das wäre mehr als es LafargeHolcim hat. Zu dem Zementkonzern wechselte ja Ihr früherer CEO.
Unser Ziel ist es, der Konsolidator zu sein in einem Markt, der sehr gross und fragmentiert ist. Wir haben die Finanzkraft dafür, die Marke – global die stärkste in unserer Industrie – und wir sind organisatorisch richtig aufgestellt, auch wenn wir da noch mehr tun müssen.
Worum geht es bei der Organisation?
Zu unserer Strategie gehört es, dass wir auch strategische Verantwortung auf die Länderstufe delegieren. Da haben noch nicht genug Länderverantwortliche realisiert, was wir wollen. Von 100 vielleicht ein Drittel; ein Drittel findet es noch heraus, und ein Drittel wird es vielleicht nie richtig verstehen. Zumindest das zweite Drittel wollen wir noch aktivieren.
Gibt es da nicht viele Widerstände: Chefs, die Verantwortung nicht abgeben wollen, Mitarbeiter, die sie nicht übernehmen wollen?
Wir sind froh, wenn viele Konkurrenten so denken, wie Sie es beschrieben hatten. Ich habe das in einem anderen Unternehmen schon gemacht, es kann fünf bis sieben Jahren dauern. Aber unser Geschäft funktioniert nicht anders.
Nun ist es ausgestanden, aber dreieinhalb Jahre lang wurde Sika gebremst. Wie konkret?
Wir konnten nicht stärker als Konsolidator auftreten. Gewisse Unternehmen wollten nicht verkaufen oder die Familie war ab gewissen Grössenordnungen dagegen. Ob das an Saint-Gobain lag oder ihrer tatsächlichen Einschätzung der Risiken, wissen wir nicht.
Haben Sie Angestellte verloren?
Ja, haben wir, weil es ihnen zu unsicher war. Es gab schon eine Handvoll von Schlüsselpersonen, die ich heute lieber bei mir hätte.
Die Vertreter der Familie Burkhard sind per sofort aus dem Verwaltungsrat ausgetreten. Von den unabhängigen haben einige nur durchgehalten, um den Verkauf zu verhindern. Wie wird der neue Verwaltungsrat aussehen?
Das müssen wir diskutieren, aber alle sechs unabhängigen sind für ein Jahr wiedergewählt. Ich kann heute nur sagen, dass wir den Wandel nicht innert eines Jahres umsetzen müssen, und dass ich selber tendenziell kleinere Gremien für effizienter halte.
In Sika ging es früher ja recht familiär zu. Man ging miteinander Unihockey spielen, und so weiter. Und nun?
Das Verhältnis zur Familie wird nun etwas distanziert bleiben. Weil da schon einiges auseinanderbrach, das lässt sich nicht so schnell kitten.
Wo lag das gegenseitige Unverständnis?
Auf Seite der Familie, dass wir uns gegen sie einsetzten, obschon sie uns in den Verwaltungsrat gewählt hatten. Dabei haben wir ja nur eines getan: uns für die Rechte aller Aktionäre eingesetzt. Wir tragen auch allen gegenüber eine Verantwortung, sobald wir gewählt sind.
Und auf Ihrer Seite?
Natürlich, dass die Familie den Vertrag mit Saint-Gobain hinter unserem Rücken einfädelte, und wie sie uns seither behandelt hat.