Wer am Handy telefoniert, setzt sich Strahlen aus. Auch die Antennen und Stationen, welche den Mobilfunk ermöglichen, senden Strahlen. Wie stark diese sein dürfen, ist in einer Verordnung festgelegt.
Nun stehen die Grenzwerte für den Strahlenschutz der Einführung einer neuen Technologie im Weg: Mit 5G soll unter anderem autonomes Autofahren möglich werden. Und die Verzögerung der 4G-Verbindung von einigen Sekunden soll wegfallen. Das bedeutet, dass künftig noch mehr Daten noch schneller und zuverlässiger übertragen werden können. Dafür haben die Sendestationen in der Schweiz aber zu wenig Kapazitäten.
Der Bundesrat hat letzte Woche in einem ersten Schritt entschieden, zusätzliche Funkfrequenzen dem Mobilfunk zuzuweisen, um die 5G-Technologie einzuführen. Stärkere Frequenzbänder ermöglichen es dem Mobilfunk, höhere Distanzen zu überwinden sowie Gebäude besser zu durchdringen.
Doch das reicht nicht, um die neue Technologie flächendeckend einzuführen. Dazu müssten entweder mehr Sendeantennen aufgestellt werden. Diese sind wegen der Strahlen aber in der Bevölkerung höchst unbeliebt. Zudem führen Einsprachen zu zeitlichen Verzögerungen. Oder aber die eingangs erwähnten Grenzwerte für den Strahlenschutz müssen gesenkt werden.
Das Problem: Vor knapp einem Jahr hat der Nationalrat die Änderung zwar gutgeheissen, der Ständerat hat sie hingegen äusserst knapp abgelehnt. Als Zufallsentscheid wird das heute abgetan. Zumal der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser, der die neue Technologie fördern will, als entscheidende Stimme fehlte. Das halten ihm viele Parlamentskollegen vor. Noser hat eine gute Erklärung parat: Er habe seine Tochter von einem Auslandaufenthalt in Schottland persönlich abholen wollen.
Nun soll das Dossier also wieder geöffnet werden. Laut gut unterrichteten Quellen wird die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF) des Ständerats morgen eine entsprechende Motion verabschieden.
Die Nationalräte, welche der Lockerung des Strahlenschutzes bereits zustimmten, begrüssen das Vorgehen. «Wir müssen die Grenzwerte im Strahlenschutz erhöhen, sonst können wir die 5G-Technologie nicht einführen», mahnt der Bündner Nationalrat Martin Candinas (CVP). Kommissionskollege Thierry Burkart (FDP/AG) verweist zudem auf die zeitliche Dringlichkeit: «Wir haben bereits in relativ kurzer Frist ein Kapazitätsproblem im Mobilfunk.»
Um den Anschluss an die Technologie nicht zu verpassen, müsse über die Lockerung der Grenzwerte gesprochen werden. «Das ist nicht nur ein Gebot der Technik, sondern entspricht auch einem Bedürfnis der Bevölkerung», sagt Burkart. «Wenn bald ganz Europa die 5G-Technologie nutzt, sollten wir in der Schweiz nicht abseitsstehen müssen.»
Auch Jürg Grossen (GLP/ BE) ist für eine Lockerung des Strahlenschutzes. Die Diskussion müsse diesmal aber à fond geführt werden. «Der Strahlenschutz ist komplex. Wir müssen die Bevölkerung besser aufklären», sagt er.
So sei die Annahme falsch, dass stärkere und zusätzliche Sender per se eine Verschlechterung bedeuten. Personen in unmittelbarer Nähe der Antenne seien zwar stärkerer Strahlung ausgesetzt. Doch den höchsten Strahlungswert weise das Handy am Ohr auf, wie Jürg Grossen sagt. «Je weiter entfernt die Antenne ist, desto stärker muss das Handy strahlen.» Für den Handybenutzer bedeuteten stärkere Antennen also weniger Strahlung.
Edith Graf-Litscher (SP/TG) und Bernhard Guhl (BDP/AG) weisen indes daraufhin, dass eine emotionale Diskussion bevorstehe. Und vor allem: Dass diese eigentlich umgangen werden könnte, da der Bundesrat die Verordnung zum Strahlenschutz in Eigenregie abändern kann. Er reiche die «heisse Kartoffel» einfach dem Parlament weiter, so Graf-Litscher.
Guhl sagt, er verstehe das Vorgehen insofern nicht, als der Bundesrat die Digitalisierung ja fördern wolle. «Er verabschiedet Berichte und organisiert Tagungen. Aber bei einer der wichtigsten Massnahmen steht er auf die Bremse.»
Ob die Mehrheit bei einer neuen Abstimmung bei den Technologie-Affinen liegt, ist indes alles andere als sicher.