Ein chinesischer Wissenschaftler behauptet, vor kurzem seien erstmals Babys nach einer Genmanipulation zur Welt gekommen. Es geht konkret um ein Paar chinesischer Zwillingsmädchen, die vor wenigen Wochen geboren wurden.
Der chinesische Forscher He Jiankui berichtet davon, das Erbgut der Embryos gegen Aids bzw. das HI-Virus resistent gemacht zu haben. Die Veränderung habe im frühen Embryonalstadium mit dem neuen Gentechnik-Verfahren Crispr/Cas9 stattgefunden.
Eine unabhängige Bestätigung für Hes Behauptung oder eine geprüfte wissenschaftliche Veröffentlichung zum vermeintlichen Erfolg der Genmanipulation an den Kindern gibt es noch nicht. Es existiert lediglich ein Eintrag in einem chinesischen Register für klinische Tests sowie ein Aufklärungsbogen für Paare mit Kinderwunsch, die an der Studie teilgenommen haben. Zudem berichtete He in einem Youtube-Video von der «Erbgut-Chirurgie» an den Embryos und der Geburt der Mädchen.
Wie die Nachrichtenagentur AP berichtete, rekrutierten He und sein Team offenbar mehrere Paare mit unerfülltem Kinderwunsch, bei denen der Mann HIV-infiziert ist. Da das Virus bei ihnen durch Medikamente unterdrückt war, war eine Übertragung auf den Nachwuchs aber ohnehin sehr unwahrscheinlich. Es ging vielmehr darum, den Paaren die Chance zu geben, ihr Kind vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren. HIV sei ein grosses Problem in China, betonte He gegenüber AP.
22 Embryos wurden mit der Gen-Schere Crispr/Cas9 behandelt, um ein Gen namens CCR5 auszuschalten. Davon enthielten laut AP-Bericht 16 die gewünschte Veränderung, 11 davon wurden den teilnehmenden Frauen in sechs Versuchen eingepflanzt, bis es nun zur Geburt der Zwillinge kam. Da jeder Mensch zwei Sätze Chromosomen besitzt und somit auch zwei Kopien der Gene – eine vom Vater und eine von der Mutter – mussten die Forscher mit Crispr/Cas9 in beiden Kopien die Eintrittspforte eliminieren.
Bei dem einen der Mädchen sei das Experiment gelungen, beim anderen sei nur die eine Gen-Kopie ausgeschaltet, hiess es. Dies schütze nicht komplett vor der HIV-Infektion, verlangsame aber das Fortschreiten der Aids-Erkrankung.
Zudem scheint die gewünschte Veränderung bei einem Mädchen nicht in allen Zellen geklappt zu haben – ihr Körper besteht nun aus einem «Mosaik» von Zellen mit der Genmanipulation und solchen, die noch die Originalversion des CCR5-Gens besitzen. Eine HIV-Infektion ist somit durchaus weiterhin möglich.
«Wenn das wahr ist, ist das ein unverantwortlicher Gebrauch der Genomeditierungs-Technologie», kommentierte Martin Jinek von der Universität Zürich, der massgeblich an der Entwicklung des Crispr/Cas9-Verfahrens beteiligt war, gegenüber der Agentur Keystone-SDA. In der Forschungsgemeinschaft herrsche ein weitreichender Konsens gegen die Erbguteditierung bei menschlichen Embryos. Obwohl Crispr/Cas9 eine ausgereifte Technik sei, gebe es noch Bedenken über ihre Sicherheit und Langzeiteffekte in menschlichen Patienten. «Ausserdem gab es offenbar keine medizinische Notwendigkeit für den Erbguteingriff in diesem Fall, was unethisch ist und auf Experimente an Menschen hinausläuft», sagt Jinek.
Auch Nikola Biller-Andorno, Leiterin des Instituts für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte der Universität Zürich, hält das Experiment für unverantwortlich: «Es hätte Alternativen gegeben, um die Kinder vor HIV zu schützen. Das ist ein Experiment mit hohem Risiko, besonders für das Wohl dieser Kinder bei gleichzeitig fragwürdigem Nutzen.»
Vor allem für den Embryo, der keinen vollständigen Schutz haben soll, gab es keinerlei Nutzen, aber das volle Risiko durch die Erbgutmanipulation. «Es geht hier nicht um die Heilung von Erbkrankheiten, sondern ganz klar um eine Optimierung – diesen Kindern soll ein Vorteil über das Normale hinaus gegeben werden», betonte Biller-Andorno.
Die gesundheitlichen Folgen für die beiden Mädchen sind indes nicht abzusehen. Dem Schutz vor HIV durch das manipulierte CCR5-Gen steht womöglich ein erhöhtes Risiko für andere Viruserkrankungen gegenüber. Ausserdem betreffen die Genomveränderungen nicht nur die Kinder selbst, sondern auch ihre Keimbahn, die Sperma- oder in diesem Fall Eizellen, und damit auch künftige Generationen.
(tam/sda)