Wer Neandertaler-Gene im Erbgut hat, muss eher wegen Corona beatmet werden als andere
Seit einigen Jahren ist nachgewiesen, dass zwischen dem modernen Menschen, dem Homo sapiens, und seinem nahen Verwandten, dem Neandertaler, ein Genfluss stattgefunden hat. Dies geschah, nachdem Gruppen des Homo sapiens Afrika verlassen hatten, weshalb sämtliche Menschen-Populationen ausserhalb Afrikas Neandertaler-Gene in sich tragen – das Genom der heutigen nichtafrikanischen Bevölkerung weist zwischen ein und drei Prozent Erbgut von Neandertalern auf.
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Dieses uralte Erbe wirkt sich auch heute noch aus. Bei heutigen Europäern und Ostasiaten ist es vor allem an Stellen vorhanden, die das Wachstum und die Ausgestaltung von Haut und Haaren regeln. Die fremde DNA soll etwa die Immunabwehr gestärkt und auch die Anpassung an die kühlere Umgebung ausserhalb Afrikas erleichtert haben.
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Allerdings hat die Neandertaler-DNA nicht nur Vorteile. Sie soll zum Beispiel das Risiko erhöhen, von Nikotin abhängig zu werden oder an einer Depression zu erkranken. Und wie sich jetzt zeigt, erhöht das Erbgut unserer ausgestorbenen Cousins offenbar die Gefahr, dass die von SARS-CoV-2 verursachte Krankheit Covid-19 einen schweren Verlauf nimmt und der Patient im Krankenhaus behandelt und beatmet werden muss.
«Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen, die diese Genvariante geerbt haben, bei einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 künstlich beatmet werden müssen, ist etwa dreimal höher», erklärt Hugo Zeberg vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig (MPI EVA) in einer Mitteilung des Insituts. «Natürlich spielen Faktoren wie Alter oder Vorerkrankungen auch eine bedeutende Rolle, wenn es um die Auswirkung des Virus geht», stellt Zebergs MPI-Kollege Svante Pääbo fest. «Aber wenn es um genetische Faktoren geht, ist dieser der wichtigste.»
Zeberg und Pääbo bauen mit ihrer Studie, die im Fachmagazin «Nature» erschienen ist, auf einer grossangelegten internationalen Untersuchung auf, der Covid-19 Host Genetics Initiative. Dieses Projekt analysierte das Genom von mehr als 3000 mit SARS-CoV-2 infizierten Personen und verglich dabei das Erbgut der Patienten, die einen schweren Krankheitsverlauf erlebten, mit jenem der Patienten, die keine oder nur milde Symptome zeigten.
Die Forscher wurden auf Chromosom 3 fündig, wo sie auf ein Gen-Cluster aus rund 49'400 Basenpaaren stiessen, das sich bei schwer erkrankten Coronapatienten von anderen unterschied. Insgesamt konnten dreizehn Genvarianten identifiziert werden, die mit einem schwereren Krankheitsverlauf korrelierten. Und diese Varianten traten anscheinend fast immer zusammen auf: Wer eine davon aufwies, hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die anderen zwölf.
Zeberg und Pääbo haben das fraglichen Gen-Cluster auf Chromosom 3 nun analysiert und gezielt mit dem Erbgut von Neandertalern und Denisova-Urmenschen verglichen. Sie fanden sehr ähnliche DNA-Sequenzen wie jene Varianten des Clusters, der für ein höheres Covid-19-Risiko sorgt, bei einem etwa 50'000 Jahre alten Neandertaler aus Kroatien. «Es hat sich herausgestellt, dass moderne Menschen diese Genvariante von den Neandertalern geerbt haben, als sie sich vor etwa 60'000 Jahren miteinander vermischten», sagte Zeberg, der auch am Karolinska-Institut in Stockholm forscht.
Südasiaten tragen Genvariante besonders häufig
Es gebe erhebliche Unterschiede hinsichtlich der regionalen Verbreitung dieser genetischen Variante, erläuterte das Forscherduo weiter. Besonders häufig findet sie sich demnach bei Menschen in Südasien, wo etwa die Hälfte der Bevölkerung sie im Genom trage, in Bangladesch sogar 63 Prozent. In Europa habe etwa einer von sechs Menschen (rund 16 Prozent) sie geerbt – in Afrika und Ostasien komme die Variante hingegen so gut wie gar nicht vor.
Eine Erklärung dafür, warum Menschen mit der Genvariante ein höheres Risiko haben, gebe es bisher nicht. Unklar sei auch, ob dieses höhere Risiko auf SARS-CoV-2 beschränkt sei oder auch für andere Erreger gelte. «Es ist erschreckend, dass das genetische Erbe der Neandertaler während der aktuellen Pandemie so tragische Auswirkungen hat», sagte Pääbo. «Warum das so ist, muss jetzt so schnell wie möglich erforscht werden.» (dhr/sda/dpa)
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