Menstruation ist eine völlig normale Angelegenheit – immerhin sind fast alle Frauen davon betroffen. Normal bedeutet allerdings nicht problemlos: Etwa drei Viertel der Frauen haben leichte bis mässig starke Beschwerden bei ihrer Regelblutung, mehr als ein Zehntel leidet sogar derart stark unter der Periode, dass sie in dieser Zeit nicht arbeiten oder lernen können.
Das ist kein Wunder, denn die Schmerzen können so stark sein, dass sie jenen einer Herzattacke gleichkommen – dies behauptet zumindest der Medizinprofessor John Guillebaud vom University College London. Die Schmerzen treten zudem oft zusammen mit einem Bündel von Beschwerden auf; das Phänomen wird unter dem Begriff Prämenstruelles Syndrom (PMS) zusammengefasst.
Dazu gehören empfindliche Brüste, Hitzewallungen, Müdigkeit, Übelkeit, Bauchkrämpfe, Kopf- und Rückenschmerzen, Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen, Völlegefühl und weitere Beschwerden.
Hinzu kommt, dass rund 30 Prozent aller menstruierenden Frauen während der Regelblutung viel Blut verlieren – mehr als 200 Milliliter (der Durchschnitt liegt bei 65 Millilitern). Die Folge dieses Blutverlusts ist ein erhöhtes Risiko für Eisenmangelanämie.
Diese Mangelerscheinung, bei der das Knochenmark wegen Eisenmangels zu wenig rote Blutkörperchen produziert, sei ein globales und völlig unerkanntes Problem, stellt Hilary Critchley, Gynäkologin und Wissenschaftlerin an der Universität von Edinburgh, im «Guardian» fest.
Ein Problem, das sich überdies tendenziell verschärft hat, denn früher waren Frauen öfter schwanger und unterernährt. Deshalb hatten sie insgesamt weniger Zyklen als Frauen heute.
Gegen zu starke Regelblutungen werden – neben chirurgischen Eingriffen an der Gebärmutter – Schmerzmittel, Blutgerinnungsmittel und hormonelle Verhütungsmittel eingesetzt.
In einigen Fällen kann eine solche Behandlung tatsächlich die Periode abschwächen oder sogar verhindern, doch sie wirkt nicht bei allen Frauen und kann zudem unangenehme Nebenwirkungen verursachen.
Obwohl es sich um ein verbreitetes Leiden handelt, gibt es seit mehr als 30 Jahren keine neue Klasse von medizinischen Behandlungen für starke Menstruationsblutungen, wie Critchley bemängelt.
Die chronische Unterfinanzierung der entsprechenden Forschung hat dazu beigetragen: «Man könnte die Theorie aufstellen, dass es eine Voreingenommenheit gegenüber frauenbezogener Forschung gibt», sagt der Biologe Günter Wagner von der Universität Yale dem «Guardian».
Wagner, der die Evolution der Menstruation untersucht, weist darauf hin, dass es in den USA innerhalb der National Institutes of Health (NIH) für jedes Organsystem ein nationales Institut gibt – nur nicht für den weiblichen Fortpflanzungstrakt.
Der beschämend schleppende medizinische Fortschritt in Sachen Menstruationsbeschwerden könnte sich nun aber beschleunigen: Verantwortlich dafür ist ein kleiner Nager, die Ägyptische Stachelmaus (Acomys cahirinus). Das fragile Tier aus der Familie der Langschwanzmäuse besitzt erstaunliche Wundheilungsfähigkeiten – vor allem aber hat es etwas, was für Nager eher Seltenheitswert hat: eine Periode. Weibliche Ägyptische Stachelmäuse haben einen Menstruationszyklus von etwa neun Tagen und bluten im Schnitt drei Tage.
Es war eine kleine Sensation, als 2016 entdeckt wurde, dass die Ägyptische Stachelmaus ebenfalls menstruiert. Denn biologisch gesehen ist die Menstruation eine eher seltene Angelegenheit: Sie kommt ausschliesslich bei Säugetieren vor und bei diesen auch nur bei wenigen Arten. Es handelt sich vornehmlich um einige Primaten – darunter auch der Mensch –, einige Fledermäuse und die Elefantenspitzmaus, die aber keine Spitzmaus ist, sondern zu den Rüsselspringern gehört. Die überwiegende Mehrzahl der Tiere kennt hingegen keine Menstruation – auch die Hunde nicht, entgegen der landläufigen Meinung (bei ihnen blutet die Vagina, nicht die Gebärmutter).
Bei jenen rund 1,5 Prozent aller Säugetierweibchen, die regelmässig eine Periode haben, dient der Menstruationszyklus der Schwangerschaftsvorbereitung. In diesem monatlichen, von Hormonen gesteuerten Prozess verdickt sich das Endometrium – die Schleimhaut, die das Innere der Gebärmutter auskleidet –, um nach dem ebenfalls monatlich stattfindenden Eisprung eine befruchtete Eizelle aufzunehmen. Wenn diese eintrifft, bettet sie sich tief im Endometrium ein und löst die Schwangerschaft aus.
Falls die Eizelle nicht befruchtet ist, wandert sie weiter in die Gebärmutter. Die obere Schicht des Endometriums wird dann abgebaut; die Gewebereste werden zusammen mit Blut und der unbefruchteten Eizelle mithilfe von Kontraktionen der Gebärmuttermuskulatur durch den Gebärmutterkanal und die Scheide ausgeschwemmt.
Dies ist bei den Säugetieren anders, die nicht menstruieren. Bei ihnen ist das Endometrium viel dünner und wird oft sogar erst dann gebildet, wenn das Weibchen bereits schwanger ist. Die Menstruation findet also bei jenen Säugetier-Spezies statt, die sich auf die Ankunft eines Embryos vorbereiten, bevor er tatsächlich da ist. Warum sich dieser Mechanismus entwickelt hat, ist völlig unklar, wie Wagner feststellt. Es gibt eine Vielzahl von Theorien dazu. Da die betroffenen Spezies mit Ausnahme der Primaten untereinander nicht eng verwandt sind, kann man allerdings annehmen, dass sich die Menstruation mehrmals unabhängig voneinander entwickelt haben muss.
Was aber hat die Ägyptische Stachelmaus damit zu tun? Nun, der Menstruationszyklus der kleinen Nager weist bemerkenswerte Parallelen mit dem menschlichen auf: Bei Stachelmäusen weist die Dauer der Periode einen ähnlichen Anteil am Zyklus auf wie bei Menschen, und auch sie durchlaufen eine Art Menopause. Es scheint sogar, dass bei ihnen so etwas wie ein PMS vorkommt, das bei Frauen wie erwähnt sehr verbreitet ist. Jedenfalls ziehen sich Stachelmäuse zum gleichen Zeitpunkt ihres Zyklus zurück und suchen die Isolation. Zugleich fressen sie mehr und versuchen, Berührungen zu vermeiden.
Es sind solche Ähnlichkeiten, die einige Forscher hoffen lassen, dass Therapien für Menschen zuerst an den Nagern getestet werden könnten. Peter Temple-Smith, Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Monash University in Melbourne (Australien), ist der Ansicht, dass die Stachelmaus insgesamt das beste Modell für die menschliche Menstruation ist. «Es wird immer schwieriger, die Arbeit an Primaten zu rechtfertigen, und die Kosten sind phänomenal», erklärt er dem «Guardian». Die Ägyptische Stachelmaus stelle ein natürliches Modell und funktionierendes Modell dar, glaubt er.
Zwar gibt es auch Unterschiede. So scheint es, dass Endometriose bei Stachelmäusen nie vorkommt. Diese Erkrankung, die zu den häufigsten gynäkologischen Leiden gehört, führt zu gutartigen, aber meist schmerzhaften Wucherungen aus gebärmutterschleimhautartigem Gewebe, das ausserhalb der Gebärmutterhöhle in benachbarten Organen und Geweben wächst.
Möglicherweise kann die Forschung aber auch auf Versuche an den kleinen Nagern verzichten. Sogenannte Endometrium-Organoide – dreidimensionale Minitaurversionen des Endometriums, die aus einzelnen menschlichen Gewebeproben gezüchtet werden – können durch Hormone so angeregt werden, dass sie einer Art Menstruationszyklus folgen. Die Zellen wachsen zuerst, sterben dann ab und werden quasi «ausgespült». Mittlerweile muss für diese Organoide nicht mehr Gewebe aus der Gebärmutterschleimhaut geschabt werden; die Zellen können nun aus der Menstruationsflüssigkeit gewonnen werden.
Die Endometrium-Organoide, über die Forscher der Universität Cambridge und der KU Leuven 2017 beinahe zur selben Zeit erste Untersuchungen publizierten (>> Cambridge-Studie / Leuven-Studie), enthielten zu Beginn jedoch lediglich einen einzigen Zelltyp der Gebärmutterschleimhaut, die selber aus verschiedenen Zelltypen besteht. Modellsysteme zur Untersuchung der Biologie des menschlichen Endometriums waren deshalb bisher auf In-vitro-Kulturen einzelner Zelltypen beschränkt.
Überdies vermehren sich ausgerechnet die Epithelzellen, einer der wichtigsten Zelltypen des Endometriums, nicht sonderlich gut. Amerikanischen Forschern ist es aber 2019 offenbar gelungen, erstmals Endometrium-Organoide zu erzeugen, die sowohl epitheliale als auch stromale Zellen enthalten. Letztere erfüllen die allgemeine Stütz- und Ernährungsfunktion, während erstere das eigentliche Funktionsgewebe des Organs darstellen.
Die Untersuchung der menschlichen Endometrium-Organoide hat ergeben, dass Organoide verschiedener Frauen sich stark unterscheiden, was ihr Wachstum und ihre Reaktion auf Hormone betrifft. Dies ist selbst dann der Fall, wenn das Zellmaterial von gesunden Personen stammt, also keine Erkrankung vorliegt. Diese Vielfalt zeigt, dass das Menstruationsgeschehen stark individualisiert ist. Es gibt wohl keine Pauschal-Therapie gegen Menstruationsbeschwerden, die für alle Frauen gleichermassen geeignet ist.
Mit dem Vergleich der verschiedenen Endometrium-Organoide lässt sich indes eine Vorstellung von «Normalität» entwickeln, die wiederum im Vergleich mit Organoiden von Frauen mit beschwerlichen Perioden Hinweise auf mögliche Ursachen der Beschwerden geben könnte. So ist bereits bekannt, dass aus erkranktem Gewebe gewonnene Organoide das Stadium der betreffenden Krankheit widerspiegeln. An diesen Organoiden kann dann die Wirksamkeit verschiedener Medikamente erprobt werden.
Dieses Vorgehen bietet sich auch bei Organoiden von Frauen mit beschwerlichen Perioden an. Es wäre sehr zu wünschen, dass hier endlich Fortschritte im Kampf gegen Leiden erzielt werden, die die Hälfte der Menschheit betreffen.
Hatte gerade eine Kürettage wegen Polypen. Hoffe, die Beschwerden sind nun passé.