Am 17. September 1925 rammt in Mexiko City eine Trambahn einen hölzernen Omnibus. Die 18-jährige Frida Kahlo sitzt drin, wird nach vorne geworfen – und von einer eisernen Griffleiste durchbohrt.
«Sie war fast nackt; bei dem Zusammenstoss waren ihr die Kleider vom Leibe gerissen worden. Jemand im Bus, wahrscheinlich ein Anstreicher, hatte ein Paket mit Goldpulver bei sich gehabt, das aufgegangen war; und nun war das Gold über Fridas blutenden Körper gestäubt.»
Sie habe wie eine Ballerina ausgesehen, erinnert sich Alejandro, Fridas Jugendfreud, der mit ihr im Bus sass.
Ihr Rückgrat und ihr Schambein waren dreifach gebrochen. Ein Schlüsselbein und zwei Rippen erlitten dasselbe Schicksal. Am rechten Bein wurden elf Brüche gezählt, ihr rechter Fuss war ausgerenkt und zerquetscht. Das Eisen hatte sich in die linke Hüfte gebohrt und war bei der Vagina wieder ausgetreten.
Auf diese Weise ist auch der Schmerz in Fridas Leben gekommen. Und mit ihm die Gedanken an den Tod. Jung muss sie lernen, sich an «la palona» (den Kahlköpfigen) zu gewöhnen, er wird zu ihrem ständigen Begleiter. Sie gewöhnt sich schnell an, ihm den Ernst zu nehmen: «Ich lache den Tod aus, damit er mich nicht so leicht kriegt», sagte sie einmal.
Einen Monat lang bleibt es der bewegungslustigen Frida verwehrt, das Bett zu verlassen. In ihrem sechsten Lebensjahr hatte ihr die Kinderlähmung bereits das rechte Bein verkrüppelt, ihre Wade war so dünn wie ein Strich. Mit gänzlich unmädchdenhaften Sportarten versuchte sie es zu stärken, sie spielte Fussball und war bei Box- und Ringkämpfen dabei.
«Frida, pata de palo!», Holzbein-Frida, riefen ihr die anderen Kinder hinterher. Sie zog mehrere Socken an, um ihren Makel darunter zu verstecken. Später kommen ihre langen, mexikanischen Röcke hinzu.
Der Unfall zieht es nach sich, dass Frida ein Leben lang gegen Schmerzen kämpfen muss. Ihre Leiden wird sie in allen schrecklichen Details zu stumm schreienden Bildern formen. Sie werden die Spiegel ihres wahren Zustandes sein. Denn die stolze Frida leidet niemals öffentlich. Immer wird sie fröhlich auftreten, ungehobelt daherreden und makabere Witze reissen. Bis ihre Maske fällt.
Fridas Geschichte beginnt und endet am gleichen Ort: im blauen Haus in Coyoacán, am südlichen Rand von Mexico City. Dort wurde sie am 7. Juli 1907 geboren, obwohl sie selber immer 1910 als ihr Geburtsjahr angab. Denn sie wollte zusammen mit der Mexikanischen Revolution auf die Welt gekommen sein, mit dem neuen Mexiko.
Ihr Vater Guillermo Kahlo stammte von ungarischen Juden ab, geboren wurde er in Deutschland. Völlig mittellos kam er als junger Mann nach Mexiko und wurde hier zu einem erfolgreichen Fotografen. Er nahm die kleine Frida mit, wenn er am nahe gelegenen Flüsschen Landschaftsbilder malte.
Sie sammelte dann allerlei Steine, seltsame Pflanzen und Insekten, verglich sie mit den Abbildungen in ihrem naturwissenschaftlichen Buch und schaute sie unter dem väterlichen Mikroskop an.
Fridas Mutter, Matilde Calderón, hatte spanische Wurzeln. Aber vor allem, was für Frida immer wichtiger wurde, war ihr Vater ein Indio. Ihr grossmütterliches Erbe war einheimisch. Und der Gedanke, dass sie als Kleinkind die Milch ihrer indigenen Amme in sich aufgenommen hatte, wurde für ihre Identität bestimmend.
Als Frida mit 15 Jahren an der «Preparatoria» – einer höheren Schule zur Vorbereitung auf die Universität – aufgenommen wurde, waren die Kämpfe ausgefochten und Mexiko gehörte wieder den Mexikanern. Die Macht der katholischen Kirche war nicht mehr so allumfassend, Arbeits- und Bodenrecht wurden reformiert. Man verwarf jetzt die spanischen und französischen Moden, all das, was man sich aus fremden Ländern geliehen hatte. Die Mexikaner blickten stolz auf ihr einheimisches Kulturerbe und formten voller Freude ihre eigene Identität.
Die Preparatoria war die beste Lehranstalt Mexikos und Frida eines der ersten zugelassenen Mädchen. Sie sollte wie der vielversprechendste Sohn ausgebildet werden, denn Söhne hatten die Kahlos nicht. Und Guillermo war sich sicher, dass Frida seine intelligenteste Tochter war. Sie ähnle ihm am meisten, sagte er.
Frida wollte später Medizin studieren. Stattdessen wurde sie selbst zum Gegenstand der Medizin. Seit ihrem schrecklichen Unfall schlich sich das Siechtum in ihr Leben, nagte unaufhaltsam an ihrem Körper – und verschlang dabei Unsummen an Behandlungskosten.
In der Schule hielt sich Frida nie im oberen Teil des Hofes auf, der für die Mädchen vorgesehen war. Sie fand Mädchen doof. Sie war lieber dort, wo man sich über Marx unterhielt, über die Reformen im Land stritt oder wo Fäuste zur Verteidigung der Kirche flogen. Frida gehörte zur Clique der «Cachuchas», die wegen ihrer Mützen so genannt wurden.
Was die sieben Jungs und die zwei Mädchen vereinte, war ihre Boshaftigkeit und Respektlosigkeit gegenüber jeglicher Autorität. Wo sie auftauchten, herrschte Anarchie: Einmal umwickelten sie einen Hund mit einem Netz von Feuerwerkskörpern, zündeten die Lunten an und liessen das arme Tier durch die Korridore rasen.
Frida war nicht fleissig, aber das hatte sie auch nicht nötig. Sie schrieb gute Noten, selbst wenn sie den Unterricht oft schwänzte. Wenn der Lehrer ihrer Ansicht nach nichts taugte, hielt sie dies für ihr natürliches Recht. Einmal bat sie den Direktor sogar, einen Kollegen von der Schule zu werfen. «Er hat seinen Beruf verfehlt», meinte Frida.
In der Aula verschönerte indes ein 36-jähriger Mann mit seinen Fresken die Wände. Er war weltberühmt und so dick, als hätte er seinen ganzen Ruhm gegessen und niemals wieder ausgeschieden. Es war Diego Rivera, der mit seinen schweren Bergarbeiterstiefeln auf dem Gerüst stand.
Den Schülern war es verboten, die Aula zu betreten, doch Frida fand trotz geschlossener Tür einen Weg, zu Diego zu gelangen. Sie stahl ihm Essen aus seinem blumengeschmückten Lunch-Korb und rief ihn «alter Fettwanst». Meist aber schaute sie ihm lange beim Malen zu. Ihrer Freundin sagte Frida, dass sie ihn baden und waschen, ja ein Kind von ihm haben wollte. So will es zumindest die Legende, die Frida eigenhändig um ihre Liebesgeschichte mit Diego gesponnen hatte.
Diego war tief beeindruckt von dem Mädchen. In seiner Autobiographie schrieb er über diese erste Begegnung:
Ihr eigentlicher Jugendfreud war Alejandro Gómez Arias, der Anführer der Clique, der auch mit ihr im Bus sass, als das Unglück geschah. Er war es auch, dem sie ihr erstes Selbstporträt schenkte.
Frida gehörte nicht zu den Künstlerinnen, die mit dem Pinsel in der Hand aus ihrer Mutter schlüpften. Das Malen begann für sie im Krankenbett, «aus Langeweile», wie sie später sagte, weil sie sich nicht bewegen durfte. Das Unglück habe sie nicht so tragisch genommen, weil sie jung war. «Ich spürte, dass ich genug Energie in mir hatte, statt des angestrebten Medizinstudiums etwas anderes zu beginnen. Und so habe ich ohne grössere Umstände zu malen angefangen.»
Diego Rivera war anders. Er war eine Kunst schaffende Urgewalt. Er erfülle eine biologische Funktion, wenn er male, «wie ein Baum, der Früchte tragen muss», meinte er.
Zum zweiten Mal sah ihn Frida 1927, als sie 20 und er 41 war. Auch dieses Mal stand er auf einem Gerüst, allerdings im Erziehungsministerium. Sie besuchte ihn da, um ihm ihre Bilder zu zeigen. In Diegos Autobiographie schildert er Fridas Worte so:
«Ich bin nicht zum Spass hergekommen. Ich muss sehen, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Nun habe ich ein paar Bilder gemalt und wollte dich bitten, sie mal vom professionellen Standpunkt zu begutachten. Ich wünsche mir eine unverblümte Kritik, weil ich es mir nicht leisten kann, einfach bloss aus persönlicher Eitelkeit weiterzumalen. Ich möchte von dir wissen, ob es sich lohnt, dass ich weitermale.»
Er sei von ihren Bildern sofort beeindruckt gewesen. «Da war nichts von den Tricks, mit denen ehrgeizige Anfänger oft fehlende Originalität übertünchen, sondern die Bilder wirkten durch ihre grundsätzliche Wahrhaftigkeit.»
Er sah hinter Fridas Bildern bereits eine eigene und selbstständige Künstlerpersönlichkeit. Die beiden verabredeten sich für den nächsten Tag. Er sollte sie zuhause besuchen, um ihre anderen Bilder anzuschauen.
Die beiden verliebten sich. «Die Taube und der Elefant», wie Fridas Mutter befand. Sie war von der Verbindung wenig begeistert, weil Diego ein Kommunist sei und obendrein wie ein «vollgefressener Breughel» aussehe. Frida kümmerte es nicht. Sie fand allerdings, Diego gleiche mehr einem Frosch, während er ihr sagte, sie habe ein Hundegesicht. Beide lachten darüber.
Diego strotzte vor Lebenskraft und Charme. Er war sowas wie ein Froschkönig, und es heisst, die Frauen waren mehr hinter ihm her als er hinter ihnen. Er war kein klassischer Macho, er bewunderte die Frauen.
Er redete ununterbrochen und erzählte phantastische Geschichten. Wie er in der Russischen Revolution mitgekämpft habe oder dass er am liebsten Mädchenfleisch als Tortilla esse, das wie zartestes Spanferkel schmecke.
Für Frida stand seine Mythomanie in direktem Bezug zu seiner unheimlichen Vorstellungskraft: «Man darf ihn genauso wenig einen Lügner nennen, wie man das von einem Dichter sagen würde oder von Kindern, die noch nicht von Müttern oder Lehrern verdummt worden sind.»
Und während er riesige Fresken schuf, die aus kommunistischer Sicht die gesellschaftlichen Probleme, ja die ganze Geschichte abhandelten, malte sie auf kleine Metallplatten und blieb dabei stets in ihrer direkt erfahrenen Welt.
Am 21. August 1929 heiraten die beiden.
Knapp einen Monat später setzte sich Diego wie gewohnt auf den Stuhl für den Vorsitzenden der Kommunistischen Partei. Vor sich auf den Tisch legte er eine Pistole und verdeckte sie mit einem Taschentuch. «Ich, Diego Rivera, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Mexikos, klage den Maler Diego Rivera an, mit der kleinbürgerlichen mexikanischen Regierung zu kollaborieren. Deshalb muss der Maler Diego Rivera vom Generalsekretär Diego Rivera aus der Kommunistischen Partei ausgestossen werden.»
Dann stand er auf, zog das Tuch weg und zerbrach die Pistole. Sie war aus Ton.
Diego hatte Kritik gegenüber Stalin geäussert, pflegte Freundschaften mit Regierungsmitgliedern und hatte von staatlicher Seite Malaufträge angenommen. Das war zu viel für seine Parteigenossen. Er habe seine Heimat verloren, schrieb er nach dem Rauswurf. Diego war deswegen deprimiert, und Frida versuchte ihr Bestes, den grossen Meister aufzuheitern. Sein Wohlergehen war jetzt ihre dringlichste Aufgabe. Wenn er irgendwo mit Malen beschäftigt war, brachte sie ihm Essen. Und auch seine Finanzen regelte sie.
Frida musste von Anfang an gewusst haben, dass sie Diego nicht besitzen kann. Wie eine mächtige Membran sog er all die Schönheit in sich auf, nicht nur Fridas, sondern die aller Frauen, des Lebens, ja der ganzen Welt.
Für ihn kam stets die Malerei an erster Stelle, seine Autobiographie trägt nicht umsonst den Titel: «Meine Kunst, mein Leben». Selbst wenn Frida der Mittelpunkt dieses Lebens war.
Die Beziehung war nicht einfach, da kamen zwei sehr eigenwillige, narzisstische Charaktere zusammen – für die Presse waren ihre Liebeskämpfe ein Festschmaus. Man nannte sie nur beim Vornamen, das ganze Land kannte das Künstlerpaar, das in keinen bürgerlichen Rahmen passen wollte.
Frida versuchte stets, ihrem Mann eine gute Gefährtin zu sein, eine Verbündete in allem, was er sich zum Leben wünschte. «Er soll schauen, malen, lieben, essen, schlafen, allein sein oder sich Gesellschaft leisten lassen – aber ich möchte ihm alles geben», schrieb sie in späteren Jahren in ihr Tagebuch.
Diego mag zwar einen riesigen Schatten geworfen haben, aber die kleine Frida wusste aus diesem herauszutreten. Wenn auch anfangs noch nicht als Malerin, so doch als Persönlichkeit.
Sie trug stets die farbige Tehuanatracht, die Kleidung der Frauen des Isthmus von Tehuantepec. Von ihnen sagte man, sie seien besonders stark und hübsch, und dass sie über ihre Männer herrschen würden. Diego gefiel Frida in dieser Aufmachung besonders, er sah sie gern als unverbildete, ursprüngliche Frau. Auch wenn sie eigentlich ein Stadtkind war, das in einem bürgerlichen Milieu aufwuchs. Und vielleicht war die Tracht anfangs mehr Kostüm als eigentliche Identität.
Aber es unterstrich ihre politische Einstellung, Frida wollte kulturell unabhängig sein, eine richtige Mexikanerin eben. Und so verschmolz sie allmählich mit dieser Rolle, die zu einem festen Bestandteil ihres neu ausgeformten Wesens wurde.
Bis ins Jahr 1934 herrschte in Mexiko ein kommunistenfeindliches Klima. Anhänger der KP wurden inhaftiert, deportiert und ermordet. Auch wenn Diego von den Genossen für die Annahme von Regierungsaufträgen verachtet wurde, so war seine Kunst dennoch kommunistisch geprägt. Er selbst sah das wohl als eine Art sublime, System unterwandernde Kritik, doch viele hielten ihn für einen politischen Opportunisten.
In Mexiko gab es jedenfalls nichts mehr zu tun für ihn und so reiste er mit Frida 1930 nach San Francisco, wo er den Klubsaal der Börse bemalen sollte. Diego bewunderte die Erfindungskraft der Amerikaner, auch der Schönheit der Technik war er ergeben.
Frida hingegen fühlte sich in den USA nicht wohl. Die Häuser sähen aus wie Backöfen und überhaupt fehle den Amerikanern der gute Geschmack. Sie lernte zwar fleissig Englisch, besuchte Museen und vor allem das Kino, doch die «Gringo-Leute» konnte sie nicht ausstehen:
Diego wurde hier gefeiert, seine Bilder in zahlreichen Galerien gezeigt, und bald sollte er in New York eine Einzelaustellung im Museum of Modern Art bekommen – direkt nach Matisse. Er liebte die neuen Gaumenfreuden, genoss die Einladungen der High Society, während Fridas soziales Gewissen bei solchen Anlässen protestierte. «Diese reichen Menschen feiern ihre Partys, während Abertausende an Hunger sterben.»
Sie fand es abscheulich, mitten in der Great Depression in vornehmen Häusern zu speisen. Wenn Frida in ihrer Tracht durch die Strassen ging, liefen ihr die Kinder begeistert nach, weil sie sie für eine Frau aus dem Zirkus hielten. Diego hingegen zog sich für die Party im Hause Henry Fords ein Dinner-Jacket an. Frida fand, er dürfe sich als Kommunist nicht wie ein Kapitalist kleiden. Er entgegnete ihr bloss: «Ein Kommunist kann gar nicht gut genug angezogen sein.»
Die Autostadt Detroit empfand Frida am allerschlimmsten und sie begann damit, die feinen Damen bei den feinen Anlässen mit Fäkalausdrücken zu provozieren. Henry Ford fragte sie, ob er Jude sei. Jeder in der Stadt wusste, dass der Automobilhersteller ein übler Antisemit war. Diego schuf indes seine Wandbilder für das Institute of Arts.
In dieser ihr verhassten Stadt wird Frida schwanger. Bereits zwei Jahre zuvor hatte sie einen Abort im dritten Monat. Auch dieses Mal verlangt sie wegen ihrer angeschlagenen Gesundheit eine Dosis Chinin und Rizinusöl, doch der Fötus geht nicht ab. Ihr behandelnder Arzt meint darauf, sie könne das Kind zur Welt bringen. Frida ist verwirrt und bittet in einem Brief an ihren Freund und Knochenchirurg Leo Eloesser um Rat:
Doch als Dr. Eloessers Antwort eintrifft, klammert sich Frida bereits so fest an den Gedanken an ein Kind, dass sie trotz der geringen Erfolgschancen nicht mehr davon abzubringen ist. Auch wenn Diego ständig arbeitet und überhaupt keine Kinder will.
Am 4. Juli 1932 verliert Frida ihr Kind. Die Blutungen haben nicht mehr aufgehört. Sie weiss nicht, was mit ihr los ist, warum der Embryo in ihrem Bauch zerfallen ist. Frida ist so traurig, dass sie wieder den Tod in ihren Kopf lässt.
Noch dreimal versuchte sie, ein Kind zu bekommen – und alle verlor sie. In ihrem Zimmer im blauen Haus stehen die Relikte ihres unerfüllt gebliebenen Wunsches: Bücher über Geburt, ein menschlicher Embryo in einem Glas und Puppen.
«Henry-Ford-Hospital» ist der gebündelte Ausdruck ihrer tiefen Trauer. Hierin ist ihr ganzer Schrecken zusammengefasst. Als könnte sie ihn veräusserlichen, wenn sie ihn auf die Leinwand bringt. Und vielleicht konnte sie das auch. Denn das Malen half ihr über ihre Depressionen weg. Und immer wieder fand sie zurück zu ihrer Lebensfreude.
Diego sagte über ihre Bilder: «Es waren Gemälde, die die besondere Fähigkeit der Frau würdigen, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und mit dem Blick auf die grausame Realität Leiden zu ertragen.»
1933 ist es endlich so weit. Nach vierjährigem Aufenthalt in den USA fährt das Paar zurück nach Mexiko. Doch Diego ist nicht glücklich darüber. Er wurde krank, litt an Drüsenstörungen, kombiniert mit Hypochondrie und einer übersteigerten Reizbarkeit. Diego machte seine Frau dafür verantwortlich. Vielleicht darum suchte er ausgerechnet die Liebe zu Fridas jüngerer Schwester Cristina.
Frida hatte ihr Leben lang Schwierigkeiten mit der Untreue ihres Mannes, der seine Sexualität mit dem Bedürfnis des Wasserlassens verglich. Später gewöhnte sie sich an, mit seinen Affären Freundschaften zu schliessen. Doch dass Diego mit ihrer Schwester schlief, verletzte sie tiefer. Sie schnitt sich die Haare ab, die er so sehr liebte – und malte das Bild «Nur ein paar kleine Dolchstiche».
Gesundheitlich ging es ihr ebenso miserabel wie ihrem Mann. Sie musste einen weiteren Schwangerschaftsabbruch verschmerzen, die Ärzte rieten ihr in der Folge vom Geschlechtsverkehr ab. Ihr rechter Fuss entzündete sich immer schlimmer, man nahm Frida alle Zehen ab.
Cristina stand Frida sehr nahe, auch später hielt sie ihr bei jeder Operation die Hand. Vielleicht erlag sie Diegos Charme, er tauchte auf, als sie nach der Geburt ihres zweiten Kindes von ihrem Mann verlassen wurde. Diego schrieb in seiner Autobiographie:
Wie lange die Liebesgeschichte zwischen Cristina und Diego dauerte, weiss man nicht. Aber 1935 verliess Frida das Haus, nahm ihr Lieblingsäffchen mit und zog in eine kleine Wohnung im Zentrum der Stadt.
In ihr Tagebuch schrieb sie die Zeilen: «Nichts ist für das Leben wichtiger als das Lachen. Lachen bedeutet Stärke, Selbstvergessenheit und Leichtigkeit. Tragödien sind dagegen etwas völlig Albernes.»
Humor und Hoffnung. Das waren Fridas Krieger, mit denen sie ihre Welt vor dem Zerbrechen bewahrte. Manchmal kam auch noch Alkohol dazu. Ab 1936 hielt sie immer eine kleine Kognakflasche unter ihren Unterröcken versteckt. Damals kehrte sie zu Diego zurück, wurde wieder seine Gefährtin, schimpfte mit ihm und besorgte ihm seine gewaltigen rosafarbenen Unterhosen aus billiger Baumwolle, über die sie sich immer so schief lachte.
In der Bohemewelt, in der die beiden verkehrten, konnte Frida ihre Homosexualität frei ausleben. Diego störte das nicht, er fand, dass das männliche Geschlechtsorgan sowieso nur auf eine Körperstelle beschränkt sei, das der Frauen dagegen sei auf den ganzen Körper verteilt. «Zwei Frauen können unerhörte Dinge miteinander anstellen.»
Doch ihre Affären zu Männern, die sie nun ebenso zu pflegen begann, musste sie vor ihm verbergen. Das machte ihn rasend eifersüchtig. Es heisst, er habe sie und den Bildhauer Isamu Noguchi in ihrem Liebesnest erwischt und ihm mit seiner grossen Pistole den Tod angedroht.
Selbst mit dem russischen Revolutionär Leo Trotzki teilte die 29-jährige Frida heimlich das Bett. Vielleicht erschien es ihr als geeignete Rache für Diegos Verhältnis mit ihrer Schwester. Doch ziemlich sicher erfuhr ihr Mann nichts über diese Verbindung.
Trotzki und seine Frau Natalia mussten Norwegen verlassen, da Stalin gegen deren Exilländer empfindliche wirtschaftliche Sanktionen verhängte. Rivera gelang es durch Verhandlungen mit der Regierung dennoch, den Mann, dessen Partei er 1936 beitrat, nach Mexiko zu bringen.
Die Trotzkis wurden im blauen Haus in Coyoacán einquartiert, Diego kaufte gleich noch das Nachbarschaftshaus auf, um die Gefahr eines Attentats zu verringern. Frida nannte ihren Gast «piochitas», Ziegenbärtchen. Er schrieb ihr Briefe, die er in Büchern verbarg und ihr zum Lesen mitgab. Die beiden trafen sich heimlich im Haus von Fridas Schwester Cristina. Wahrscheinlich hat Frida die Sache beendet, ihrer Freundin Ella Wolfe zufolge war Trotzki ernstlich in sie verliebt, während sie ihn sicherlich faszinierend fand – doch ihr Herz gehörte Diego.
Sie schenkte Trotzki zum Geburtstag ein Selbstbildnis. Wie verführerisch sie darauf wirkt und doch so unnahbar. Als würde Frida sich ihm selbst im Bild nicht gänzlich hingeben.
Als Ramón Mercader dem alten Revolutionär am 21. August 1940 den Kopf mit einem Eispickel spaltet, ist Trotzkis Freundschaft zu Diego schon längst zerbrochen. Er konnte nicht mit der Unberechenbarkeit des grossen Künstlers umgehen, während Diego Trotzkis belehrende Art abstiess. Auch ihre politisch verschiedenen Ansichten hatte die Männer auseinandergetrieben. Und wie immer folgte Frida ihrem Mann – und brach gleichfalls mit ihrem ehemaligen Geliebten. Nichtsdestotrotz war der grausame Mord ein Schock für sie.
Frida betrachtete ihre Kunst oft als etwas Beiläufiges. Als 1938 ihre Werke in einer Gruppenausstellung an der Universität von Mexiko City gezeigt wurden, sprach sie nur von ihren kleinen, unbedeutenden Bildern mit den immer gleichen Sachen drauf.
Und kaufte ihr jemand ein Bild ab, sagte sie: «Für dieses Geld hätte er etwas Besseres haben können». Sie tat gern so, als würde sie nur privat ein bisschen vor sich hinmalen, während Diego der wahre Künstler sei.
Doch als der französische Surrealist André Breton ihre Bilder zum ersten Mal sieht, ist er begeistert. In der Folge wird sie eingeladen, in New York auszustellen, wo sie dieses Mal ganz allein hinfährt. Frida verkauft die Hälfte ihrer Bilder, erscheint in der «Vanity Fair», und auch die «Time» schreibt über die «eigenständige Künstlerin».
Breton lud Frida 1939 nach Paris ein. Sie folgte der Einladung, von Diego dazu ermutigt, der ihre Zweifel zerstreute: «Nimm vom Leben alles, was es hergibt, was immer es auch bieten mag, vorausgesetzt, es ist interessant und macht dir Freude.»
Die Freude blieb aus. Frida hasste Paris und die Franzosen, ganz besonders hasste sie Breton, die «alte Küchenschabe», und seine Surrealisten – «alles Arschlöcher». Der Surrealist hatte bei ihrer Ankunft noch nichts für Fridas Ausstellung organisiert. Das Geld war ihm auch ausgegangen, sodass sie am Ende selbst für alles aufkommen musste.
Ihrem Geliebten, dem ungarischen Porträfotografen Nickolas Muray, schrieb sie aus Paris nach New York:
«Du machst dir keine Vorstellung, was das alles für verwahrloste Erscheinungen sind, einfach zum Kotzen. Sie gebärden sich alle so verdammt ‹intellektuell› und sind trotzdem so armselige Existenzen. Ich kann sie nicht mehr ausstehen! Lieber würde mich auf dem Markt von Toluca auf die Erde setzen und Tortillas verkaufen, als dass ich irgend etwas mit diesen künstlerischen Wichtigtuern in Paris zu schaffen haben wollte.
Stundenlang sitzen sie in ihren ‹Cafés› und wärmen sich den kostbaren Hintern. Sie schwadronieren ununterbrochen über culture, art, révolution und alles mögliche daher, und dabei kommen sie sich wie der Herrgott selber vor, träumen den grössten Blödsinn zusammen und vergiften die Luft mit ihren Theorien, von denen jeder weiss, dass sie niemals umgesetzt werden. Am nächsten Morgen haben sie dann nichts zu essen bei sich zu Hause, weil keiner arbeitet. Sie leben einfach als Schmarotzer auf Kosten einer Gruppe reicher Angeber, die das vermeintlich künstlerische Genie bewundern. Scheisse, nichts als Scheisse ist das.
Ich habe weder dich noch Diego jemals gesehen, dass Ihr Eure Zeit mit dummem Geschwätz und intellektuellen Diskussionen totgeschlagen hättet. Deshalb seid Ihr auch richtige Männer und nicht bloss jämmerliche ‹Künstler›. Herrje! Es hat sich dennoch gelohnt, mal hierher zu kommen, auch wenn es nur dazu dient, zu begreifen, warum es mit Europa bergab geht. Diese vielen Taugenichtse! Das sind die Leute, wegen denen Hitlers und Mussolinis so viel Erfolg haben. Mir wird diese Stadt mit ihren Bewohnern ein Leben lang verhasst bleiben.»
Ihre Ausstellung wird dennoch ein Erfolg. Kandinsky ist derart angetan von Fridas Bildern, dass er vor Rührung weint und die Künstlerin in die Luft hebt. Miró schliesst sie in seine Arme und Picasso schenkt ihr ein Paar Ohrringe in Form von kleinen Händen. Der Louvre kauft sogar eins ihrer Bilder.
Auch wenn Breton Frida als Surrealistin sah, so war sie doch mehr deren Entdeckung. Denn ihre Weltsicht unterschied sich so grundlegend von jener der desillusionierten Europäer. Sie stieg nicht in ihr Unterbewusstsein hinab, um dort nach verdrängten Schätzen zu graben, sondern brauchte ihre Phantasie, um mit ihrer Realität zurecht zu kommen. Ihre Symbolik ist schlicht, direkt und verweist immer nur auf sie selbst.
Jedem, der vor ihrem Bild steht, ist ihre Bildsprache verständlich. Weil sie ihren gemalten Inhalt gelebt und nicht erfunden hat. Ihren Leiden zum Trotz stimmt sie ständig ein Spottlied auf Schmerz und Tod an, während Breton, der «Papst des Surrealismus», seine wichtigtuerischen Manifeste schreibt.
Auch Diego erkennt in Fridas Kunst einen «monumentalen Realismus». Sie selbst sagte: