Grosse Baustellen haben etwas Faszinierendes an sich. Dies gilt umso mehr für Mega-Bauprojekte, die über viele Jahre hinweg verwirklicht werden. Weltweit gibt es zahllose dieser gigantischen Projekte. Hier folgt eine kleine, willkürliche Auswahl von sieben davon.
Mitte Juli erfolgte der erste Spatenstich: Der chinesische Ministerpräsident Li Qiang gab in Nyingchi in Tibet den Startschuss für den Bau eines gigantischen Wasserkraftwerks, das dereinst mittels fünf hintereinandergeschalteten Turbinen 60 Gigawatt Strom erzeugen soll. Zwei Dämme sollen den Yarlung Tsangpo aufstauen, der dort durch die längste und tiefste Schlucht der Welt fliesst und dabei 2000 Höhenmeter auf 50 Kilometer verliert – ideal für die Gewinnung von Wasserkraft.
Das weltweit grösste Wasserkraft-Projekt wird den derzeit grössten Staudamm der Welt – den ebenfalls chinesischen Drei-Schluchten-Damm am Jangtse – in den Schatten stellen und mit voraussichtlich 300 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr dreimal mehr Energie erzeugen. China ist energiehungrig, und die Energie soll möglichst sauber sein, da das Land bis 2060 klimaneutral sein will. Problematisch ist allerdings, dass die Staudämme in einem seismisch aktiven Gebiet liegen: Hier stösst die indische auf die eurasische Kontinentalplatte, es kommt oft zu starken Erdbeben.
Und das Mega-Kraftwerk im Himalaja ist nicht nur eine Herausforderung für die Ingenieure, sondern wird das artenreiche Naturparadies der Yarlung-Tsangpo-Schlucht tiefgreifend verändern. Hinzu kommt, dass der Fluss danach – nun Brahmaputra genannt – durch Indien und Bangladesch fliesst, bevor er in den Golf von Bengalen mündet. In den beiden Staaten am Unterlauf versorgt der Brahmaputra etwa 150 Millionen Menschen mit Wasser; beide Staaten befürchten daher, China könnte die Wasserzufuhr drosseln.
NEOM ist ein gigantisches Siedlungsprojekt in Saudi-Arabien, das sich über eine Fläche von 26'500 Quadratkilometern erstreckt (das ist mehr als drei Fünftel der Fläche der Schweiz). Die futuristische Megastadt im Nordwesten des Königreichs umfasst mittlerweile 15 räumlich getrennte Bauprojekte, von denen The Line – eine 170 Kilometer lange, schnurgerade sogenannte Bandstadt ohne Strassen für neun Millionen Einwohner – das wichtigste ist. Weitere Teilprojekte sind Trojena, ein Skigebiet und Touristenresort, sowie Oxagon, ein schwimmendes Industriezentrum.
NEOM – das Projekt wurde 2017 durch Kronprinz Mohammed bin Salman initiiert und ist das Herzstück des Regierungsprogramms Saudi Vision 2030 – soll vollständig mit sauberer Energie betrieben werden und mit fortschrittlichen Technologien wie KI, Robotik und intelligenten Stromnetzen ausgestattet sein. Der gesamte Energiebedarf soll durch Wind- und Solarkraft gedeckt werden. Ob dies gelingen wird, ist fraglich.
Ein Grossteil der Megacity soll bis 2035 fertiggestellt sein; erste Teile – etwa der Flughafen – sind bereits gebaut. 2024 wurde die Luxus-Urlaubsinsel Sindalah eröffnet. Hingegen wurde 2024 bekannt, dass von The Line bis 2030 lediglich 2,4 Kilometer fertig sein werden. Ob die Bandstadt wie geplant bis 2045 – oder überhaupt – fertig wird, ist mittlerweile fraglich. Ohnehin laufen die Kosten für das NEOM-Projekt zusehends aus dem Ruder: Von ursprünglich 1,5 Billionen Dollar könnten die Gesamtkosten auf 8,8 Billionen steigen. NEOM steht zudem immer wieder in der Kritik, weil die Bauarbeiter wie Sklaven behandelt würden.
Im Nordwesten Indiens, im Bundesstaat Gujarat, entsteht auf einer Fläche von 726 Quadratkilometern – knapp siebenmal so gross wie Paris – der grösste Wind- und Solarpark der Welt, der Gujarat Hybrid Renewable Energy Park. Das nach seiner Fertigstellung weltweit grösste Kraftwerk soll dann 30 Gigawatt Strom aus Sonnenkollektoren (26 GW) und Windturbinen (4 GW) erzeugen. 16 Millionen Haushalte sollen dann mit Strom aus dem Kraftwerk versorgt werden können. Bereits ist die erste 250-MW-Windkraftanlage ans Netz gegangen.
Der Energie-Park mit seinen 60'000'000 Solar-Panels und 770 Windturbinen wird in der Salzwüste Rann nahe der pakistanischen Grenze gebaut. «Eine Region, die so gross ist, eine Region, die so unbelastet ist, in der es keine Wildtiere, keine Vegetation und keine Siedlungen gibt. Es gibt keine bessere alternative Nutzung für dieses Land», sagte der geschäftsführende Direktor von Adani Green Energy Limited (AGEL), Sagar Adani in einem Interview mit CNN. Indien deckt derzeit rund 70 Prozent seines Strombedarfs mit Kohle, will aber bis 2030 seine Kapazität von sauberem Strom auf 500 Gigawatt erhöhen.
Das weltweit grösste Wassertransferprojekt wird in China gebaut. Es handelt sich um ein umfangreiches Infrastrukturprojekt, dessen Verwirklichung mehrere Jahrzehnte dauert. Es umfasst drei Routen, über die Wasser vom Jangtse in Südchina über Kanäle in den trockeneren und stärker industrialisierten Norden geführt wird. Insbesondere die Hauptstadt Peking, die jährlich 3,6 Milliarden Kubikmeter Wasser verbraucht, wird damit versorgt. Neben Kanälen – deren Gesamtlänge bei rund 1200 Kilometern liegt – werden auch Tunnel, Brücken und Pumpstationen gebaut.
Die östliche und mittlere Route sind bereits in Betrieb. Nach Fertigstellung der westlichen Route um 2050 sollen dann jährlich 44,8 Milliarden Kubikmeter Wasser in den Norden geführt werden, wobei auf die östliche Route 14,8 Milliarden, auf die mittlere 13 Milliarden und auf die westliche 17 Milliarden Kubikmeter entfallen. Die Kosten für das Mega-Projekt lagen bereits 2019 deutlich über den ursprünglich budgetierten 50 Milliarden Dollar, wobei ein erheblicher Teil aufgrund der Umsiedlungen und der Massnahmen für den Umweltschutz anfällt. Auch die aufwändige Wasseraufbereitung trägt zur Kostenexplosion bei.
Die Umsiedlungen – betroffen sind 330'000 Menschen – sind einer der Punkte, die Gegner des Projekts ins Feld führen. Sie bemängeln zudem die Ressourcenverschwendung, da grosse Wassermengen verdunsten würden. Viele Kritiker befürchten zudem, dass die hohen Kosten zu hohen Wasserpreisen führen werden.
Der Grand Faw Port ist ein Hafen auf der Halbinsel Al-Faw an der Küste des Irak am Persischen Golf. Der Hafen befindet sich noch im Bau und ist derzeit eine der grössten Hafenneubauten weltweit. Nach seiner Fertigstellung soll er mit 99 Anlegestellen einer der grössten Häfen der Welt und der grösste in Westasien sein.
Der Hafen erstreckt sich über eine Fläche von 54 Quadratkilometern und soll nach der zweiten Ausbauphase 7 Millionen Container sowie 33 Millionen Tonnen Massengüter jährlich abfertigen können. Nach der dritten Phase sollen es dann 25 Millionen Container und 55 Millionen Tonnen Massengüter sein. Die Wellenbrecher – sie sind mit knapp 15 Kilometern die längsten der Welt – sind bereits fertiggestellt. Im vergangenen November wurden fünf Anlegestellen in Betrieb genommen; die gesamte Bauphase II soll dieses Jahr abgeschlossen sein.
Der Grand Faw Port ist ein strategisches nationales Projekt des arabischen Landes und soll den südlichen Endpunkt der sogenannten Irak-Entwicklungsstrasse bilden, eines Netzwerks aus Eisenbahnen, Autobahnen und Pipelines, das wiederum den Südirak mit der Türkei und Europa verbinden soll. Im Grand Faw Port sollen die Warenströme zwischen Europa und Asien in beide Richtungen umgeschlagen werden; der Irak würde so zu einer Art «trockenem Suezkanal» werden.
Als Herzstück des neuen Stadtteils New Murabba im Nordwesten der saudischen Hauptstadt Riad entsteht der Mukaab-Tower (von arabisch al-Muka’’ab: «Würfel»), das grösste in einem Stück gebaute Bauwerk der Welt. Der Würfel ist in der Tat ein gewaltiger Kubus – 400 Meter breit, 400 Meter tief, 400 Meter hoch. Der Kasten hat ein Volumen von 64 Millionen Kubikmetern – genug Platz, um das Empire State Building zwanzigmal hineinzustellen. Spötter nennen den Würfel, der 1,4 Millionen Quadratmeter Bürofläche bieten und mehrere Hotels sowie Shopping-Center beherbergen soll, eine «Kaaba auf Koks».
Im Inneren des Kolosses soll unter einer Kuppel ein spiralförmiger Turm errichtet werden, der Restaurants enthalten soll und von dem aus Hologramme projiziert werden sollen. Auf dem Dach des Würfels soll ein Park angelegt werden. Die Fassade wird aus ineinandergreifenden Dreiecksmustern gestaltet sein. Für die Ecken des Würfels ist je ein Turm geplant; diese Türme werden vorrangig Wohnungen und Hotels beherbergen. Im umliegenden Stadtteil New Murabba sollen Wohnungen für mehr als hunderttausend Menschen, ein Museum und eine Universität für Design und Technologie entstehen.
Die Aushubarbeiten für den Mukaab-Tower und die umliegenden Bereiche sind bereits im letzten November weitgehend abgeschlossen worden. Das Mega-Projekt ist wie NEOM Teil des Zukunftsplans Saudi Vision 2030, mit dem der starke Mann des Königreichs, Kronprinz Mohammed bin Salman, Investitionen anziehen, die saudische Wirtschaft modernisieren und unabhängiger vom Erdöl machen möchte.
Im südfranzösischen Kernforschungszentrum Centre de Cadarache baut ein Konsortium von 35 Staaten – darunter auch die Schweiz – den Versuchsreaktor ITER (das Akronym steht für International Thermonuclear Experimental Reactor). Das Projekt soll die Menschheit dem Traum von der Energiegewinnung durch Kernfusion, die auch das Sonnenfeuer antreibt, einen entscheidenden Schritt näherbringen – ITER bedeutet denn auch auf Lateinisch «Weg» oder «Reise». Seit 2007 entstanden, zum Teil mit beträchtlichen Verzögerungen, die Nebengebäude und der Hauptkomplex des Fusionsreaktors.
Ab 2020 wurden die teils tonnenschweren Einzelteile des Reaktors aus verschiedenen Ländern nach Südfrankreich transportiert und dort nach einem komplexen Plan zusammengesetzt. Wenn der Bau abgeschlossen ist, wird ITER aus mehr als einer Million Einzelkomponenten bestehen. Im Mai 2025 begann dann die entscheidende Bauphase, als das Herzstück des Reaktors fertiggestellt war: der zentrale Solenoid-Magnet. Es handelt sich um einen 18 Meter hohen Zylinder, der in der Mitte des torusförmigen Reaktors, des Tokamak, steht und ein 13 Tesla starkes Magnetfeld erzeugt – stark genug, um einen Flugzeugträger anzuheben.
Das Magnetfeld wird benötigt, um das Fusionsplasma aufzuheizen und einzuschliessen. Das 150 Millionen Grad heisse Plasma würde sich sonst durch die Wände fressen. Diese extreme Temperatur ist notwendig, damit die Atomkerne der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zu einem Heliumkern fusionieren und dabei Energie freisetzen.
Eigentlich hätte die Anlage bereits 2016 in Betrieb gehen sollen. Es kam jedoch zu massiven Verzögerungen, unter anderem durch die Corona-Epidemie. Hinzu kam, dass 2023 gravierende Mängel – beispielsweise Verschleisserscheinungen – festgestellt wurden. Auch 2025 als Termin für das sogenannte First Plasma konnte nicht eingehalten werden. Die Inbetriebnahme ist derzeit auf 2035 geplant. Dann wird sich zeigen, ob die Anlage tatsächlich Fusionsenergie im grosstechnischen Massstab zu produzieren vermag.