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Das folgende Gespräch fand an einem champagnerklaren Herbsttag in Zürich statt. Ort: Zurich Film Festival. Grund: Der Film, der jetzt ins Kino kommt, «The Man Who Knew Infinity». Ein Film über das Leben des indischen Mathematikers Sirinava Ramanujan (1887–1920), der von Briten entdeckt und als koloniales Prestige-Projekt zu Tode gefördert wird: Mit 32 Jahren stirbt er in Cambridge elend und unglücklich an Tuberkulose.
Ramanujan wird vom 25-jährigen Dev Patel («Slumdog Millionaire», «The Newsroom») gespielt, sein erster Förderer, Sir Francis Spring, von Stephen Fry. Jeremy Irons ist Ramanujans wichtigste Bezugsfigur und Freund, Cambridge-Professor G.H. Hardy.
«The Man Who Knew Infinity» gehört in eine Reihe von Genie-Tragödien wie «A Beautiful Mind», «The Imitation Game», «The Theory of Everything». Mit bollywoodesken Emotionen wird nicht gegeizt.
Stephen Fry, Dev
Patel sagt über Sie, Sie seien eine Offenbarung aus Weisheit und Wissen.
Stephen Fry: Niemals! Ich hab
bloss das Glück, ein sehr gutes Gedächtnis zu haben. Und das ist ja nichts, was
ich erreicht hätte. Ich hab ja auch einen ziemlich grossen Bauch. Nun, was ist
der Grund für meinen Bauch? Ein Arzt würde sagen, es gibt nur einen Grund: Weil
ich gierig bin. Und weil ich gierig bin, ist auch vieles in meinem Kopf. Ich
bin gierig, Dinge zu wissen. Und: Wer viel im Bauch hat, hat auch viel im Kopf!
Dev Patel: Ich bin nicht gierig, ich bin nur neugierig. Neugierde ist das Beste, was ich haben kann. Ich würde von mir niemals behaupten, dass ich weise bin.
Vielleicht ist 25 dafür noch etwas früh.
Patel: Genau! Ich muss noch viele Fehler begehen. Ich komme
aus der Schule des Lebens. Ich bin mit 16 von der Schule gegangen und wurde
Schauspieler.
Mit 18 wurden Sie als «Slumdog Millionaire» von Danny Boyle weltberühmt. Und jetzt spielen Sie das mathematische Wunderkind Srinivasa Ramanujan.
Patel: Dabei war Mathematik mein schlechtestes Fach in
der Schule. Ich konnte überhaupt nicht rechnen. Ironischerweise ist mein Vater
ein Buchhalter. Er sass gerade beim Frühstück, als ich sagte: «Hey Dad, weisst
du was? Ich spiele jetzt einen der grössten Mathematiker aller Zeiten!» Er sagte:
«Echt?» Ich kam mir selbst vor wie ein Wunderkind.
Fry: Ich glaube ja, es gibt unter den menschlichen Fähigkeiten bloss drei Bereiche, die wahre Wunderkinder hervorbringen. Es ist unmöglich, dass ein fünfjähriges Kind ein grosses Gedicht schreibt. Dazu muss man das Leben erfahren haben. Mit fünf mag man fähig sein, die richtige Anzahl Silben in einen Vers zu setzen und etwas zu beschreiben, das eine gewisse Bedeutung hat. Aber das ist noch lange kein Gedicht. Nur auf drei Gebieten kann man auch ohne Lebenserfahrung ein Genie sein: Musik, Mathematik und Schach.
Wieso gerade diese drei?
Fry: Weil sie in sich geschlossene Systeme mit einer geringen Anzahl
von Regeln sind. Ein Schachspieler braucht nicht zu wissen, wann die Schlacht
von Waterloo stattgefunden hat, was Liebe ist, was Niederlage, Tod und
Schrecken sind. Du brauchst bloss acht mal acht Quadrate und zu wissen, wie
sich Springer, Turm und Dame bewegen.
Hatten Sie in der
Schule ein mathematisches Talent?
Fry: Nein. Obwohl mein
Vater Physiker ist. Aber ich fühle, dass es sich dabei um etwas unglaublich
Wichtiges und Schönes handelt.
Patel: Für mich ist es unmöglich, die Grösse dessen zu begreifen, was ein Mann wie Ramanujan geleistet hat. Aber was mir gefällt, ist sein Glaube. Für ihn ist jede mathematische Gleichung eine Manifestation von Gott. Und Gott ist unendlich.
Dass Sie ganz anders aussehen als Ramanujan ist offensichtlich. Aber reden Sie wenigstens wie wer?
Patel: Korrekterweise müsste ich mit einem starken südindischen Akzent sprechen, aber der klingt für ein westliches Publikum immer gleich nach einem Komiker, der Inder imitiert. Deshalb mussten wir einen international kompatiblen Akzent finden, den es eigentlich gar nicht gibt. Einen fiktiven Akzent für eine reale Figur also.
Stephen Fry, zufälligerweise
hatten Sie sich schon mit Ramanujans Geschichte beschäftigt, bevor Sie Ihre Rolle in «The
Man Who Knew Infinity» erhielten. Sie wollten selbst ein Drehbuch über ihn schreiben. Woran sind
Sie gescheitert?
Fry: Ramanujans Theorien
sind derart abstrakt und abstrus, dass
es sehr schwierig ist, überhaupt zu zeigen, was er eigentlich für unsere Welt
bedeutet. Aber er hatte zum Beispiel die Idee mit der Stückelung. Er konnte
Zahlen stückeln. Und genau das ist die Idee, die hinter einem Geldautomaten
steckt. Man gibt eine Zahl ein, und die Maschine errechnet, in welche
Geldscheine sie diese Zahl aufteilt. Ich
wollte also mein Drehbuch damit beginnen, dass jemand Geld aus einem Automaten
zieht.
Das wär doch sehr anschaulich gewesen.
Fry: Ja, aber ich
hätte noch viele solcher Beispiele gebraucht. Ramanujans Mathematik war viel zu
rein, zu abstrakt, sie hat nur andere Mathematiker beeinflusst. Er war nie an
angewandter Wissenschaft interessiert. Deshalb rede ich auch von einem
geschlossenen System. Es sagt ja auch keiner: «Hier seht ihr das schönste
Schachspiel der Welt. Ohne dieses Schachspiel wäre das Faxgerät nie erfunden
worden!» Das wäre totaler Nonsense. Aber so ähnlich geht es Mathematikern. Sie
sagen: Diese Formel ist in sich vollkommen, wieso sollte sie auf die
Wirklichkeit anwendbar sein?
Dev Patel, Sie haben selbst am Drehbuch zu «The Man Who Knew Infinity» mitgearbeitet. Wieso?
Patel: Zuerst war das Drehbuch voller Mathematik. Ich sagte zu unserem Regisseur und Drehbuchautor Matt Brown: «Mann, ich liebe die Geschichte, aber all diese Mathematik sprengt meinen
Kopf! Und wenn Leute im Kino sitzen, wollen sie nicht eine Million hübscher
Gleichungen sehen! Wir müssen uns auf die Geschichte zwischen den beiden
Männern konzentrieren!» Und dann haben wir ein Jahr lang das Drehbuch
umgeschrieben.
Projiziere ich da was, oder gibt es einen schwulen Kern in der Geschichte zwischen Ramanujan und seinem Mentor G.H. Hardy?
Fry: Den gibt es sicher. Hardy behauptet ja sehr
selbstbewusst, dass Ramanujan die Eine grosse Liebe seines Lebens war. Aber damals
konnte man sowas noch sagen, ohne dass die Leute gleich an Homosexualität dachten.
Damals sah man das als idealisierte, überhöhte Liebe.
Wenn wir ein Mathe-Genie im Film sehen, dann schreibt dieses immer
wie wild Wandtafeln, Blätter oder angelaufene Fensterscheiben voll. Für mich sieht das am
Ende aus wie Höhlenmalerei.
Patel: Ich habe es beim Drehen auch als Malerei betrachtet. Es gibt diese eine Szene im Film, in der ich eine grausam
lange Gleichung vollende. Das musste ich erstens auswendig und zweitens
verstehen lernen. Ken Ono, einer der weltbesten Mathematiker, war unser
Berater. Er zeigte mir die künstlerische Seite einer Gleichung, diese vollkommene Symmetrie. Ich habe es deshalb nicht als Mathematik betrachtet, sondern wie ein
äusserst symmetrisches Gemälde. Sie tragen übrigens wunderschöne Ringe!
Ich?
Patel: Ja! Ich sehe, Sie tendieren zu Grün. Ist das Jade?
Nein. Und Sie
tendieren beide zu Uhren! Was hat es eigentlich auf sich mit Uhren und Schauspielern?
Patel: Ach, Schauspielerinnen erhalten immer diese schönen
Kleider, viel Schmuck und alles. Wir Männer müssen immer die gleichen
langweiligen Anzüge tragen. Und darüber nachzudenken, für welches Hemd man sich entscheiden soll, ist nicht wirklich aufregend. Uhren sind da eine Ausnahme! Als Junge habe ich
lang für eine Uhr gespart. Das war grossartig, als ich mir endlich
selbst eine leisten konnte!
Stephen Fry, ich sehe
zwei Uhren an Ihren Handgelenken.
Fry: Ja. Weil ich
dachte: Ich kann nicht nur mit meiner Apple Watch in die Schweiz kommen. Deshalb
habe ich auch noch meine Patek Philippe angezogen. Eine echte Schweizer Uhr.
Ich weiss schon, alle Schweizer Uhrmacher fluchen über die Apple-Watch und
sagen: Das macht uns arbeitslos! Es wird sie nicht arbeitslos machen. Uhren
sind sowas Schönes!
Einerseits leben Sie
wie ein postviktorianischer Oscar Wilde. Andererseits tragen Sie eine
Apple Watch. Wie geht das zusammen?
Fry: In der Gegenwart zu
leben, heisst doch, dass uns alles aus der Vergangenheit zur Verfügung steht.
Da drüben sehe ich zum Beispiel eine dorische Säule. In einem modernen Hotel.
Und diese Gipsblätter dort an der Decke sind von den Korinthern beeinflusst.
Die Weltgeschichte ist allgegenwärtig. In allen Sprachen, allen Bildern, allen Architekturen, die uns umgeben.
Das erklärt noch immer nicht die Apple Watch.
Fry: Das eine schliesst das andere ja nicht aus. Ich reagiere zum Beispiel leicht genervt, wenn mich die Leute
fragen: Mögen Sie etwa E-Books? Ja! Ich liebe alle Bücher! Ich nehme gern die Treppe und
ich nehme gern den Fahrstuhl Als der Fahrstuhl erfunden wurde,
sagten die Leute ja auch nicht: «Nie mehr Treppen!» Die Dinge helfen und
ergänzen sich gegenseitig.
«The Man Who Knew Infinity» läuft ab 12. Mai im Kino.