Leopold Wölfling, der ehemalige Erzherzog von Österreich, und seine Schwester Luise sorgen in der Schweiz auch fünf Jahre nach ihrer Flucht aus Österreich für Schlagzeilen. Leopold lässt sich von der Ex-Prostituierten Wilhelmine Adamovic scheiden. Denn er hat bereits eine neue Geliebte, wie sich später herausstellt: Sie heisst Maria Magdalena Ritter, ist 30-jährig und wirkte wie schon ihre Vorgängerin Wilhelmine im horizontalen Gewerbe.
Wölfling kauft Maria Magdalena in München für 10'000 Mark frei. Er zahlt das Geld einem Zuhälter mit dem eindrücklichen Spitznamen «Schlächter-August». Mit einem solchen Mann ist sicher nicht zu spassen. Gegenüber Journalisten äussert sich Leopold dahingehend, dass Maria eine Dame sei, «die eine sehr gute Erziehung genossen habe und grosse Intelligenz besitze». Zudem gibt er bekannt, dass er sie schon möglichst bald heiraten wolle. Nicht mehr in Genf oder Zug, sondern dieses Mal in Zürich.
Erstaunlicherweise lässt sich Leopold mit seiner Maria im ländlichen Regensdorf nieder, wo sie in einem Zimmer in der einfachen Gastwirtschaft Zur alten Post logieren; für den ehemaligen Prinzen und Erzherzog stellt das gewiss ein sehr ungewohntes Milieu dar.
Die neue Geliebte von Wölfling fällt im überschaubaren Regensdorf sofort auf: Sie wirkt wie «eine hochelegant gekleidete Dame Anfang der dreissiger Jahre, mit schwarzen Haaren, hübschem, intelligentem Gesicht, proportionaler Figur und lebhaften, gewandten Manieren», berichtet das Neuigkeits-Welt-Blatt aus Wien, das zudem den «reichen Brillantschmuck an Hals und Arm» und den «prächtigen Edelstein» am Finger erwähnt.
Von Regensdorf reisen Leopold und seine Maria Magdalena am 27. Oktober 1907 nach Zürich. Im Stadthaus an der Limmat lassen sie sich um genau 11.30 Uhr trauen. Es ist wieder keine Hochzeit mit grossem Brimborium und vielen Gästen: Es nehmen gerade mal sechs Personen am darauffolgenden Hochzeitsdiner teil, darunter zwei Schwestern der neuen Frau Wölfling-Ritter.
Leopolds Anwalt versucht in der Folge, einen Kuhhandel mit der Gemeinde Regensdorf auszuhandeln. Leopold wolle Bürger von Regensdorf werden und auf das bisherige Bürgerrecht von Zug verzichten. Zur regulären Aufnahmegebühr ist der ehemalige Erzherzog bereit, jährlich mehrere hundert Franken «für gewisse Leistungen» zu bezahlen, beispielsweise für die Armen in der Gemeinde. Die Gemeinde treibt die Tarife hoch, während der Anwalt möglichst günstige Bedingungen aushandeln will. Der unwürdige Schacher endet schliesslich mit 800 Franken als Einkaufsgebühr und 600 Franken als jährlicher Zahlung.
Doch die Episode ist nicht so schnell zu Ende. Denn es gelangen skandalöse Insiderinformationen zur Redaktion des Wehntalers: Der edel wirkende Erzherzog sei gar kein Ehrenmann, sondern «weltbekannt durch seine Weibergeschichten». Wölfling habe ein unstetes Leben geführt, «bald amüsiert er sich in den Weltstädten, dann drängt es ihn vorübergehend zu den Halbnackten in Ascona, gelegentlich taucht er am Zugersee auf mit seinen Nymphen. […] Man wird uns natürlich den hohen Leopold als einen Tugendbold ersten Ranges hinstellen. […] Um ein paar schnöder Silberlinge willen wollt ihr den guten Ruf eurer Gemeinde gefährden. Wir Regensdorfer haben es nicht nötig, unseren Bürgeretat mit österreichischen Fürsten-Namen zu zieren, und wir werden bald gern auf das Bürgerrecht jener verzichten, die uns solche Hasen in die Küchen jagen.»
Doch die Warnungen zeigen keine Wirkung: Am Sonntag, den 21. Juni 1908, stimmen die Bürger von Regensdorf der Einbürgerung des Adligen einstimmig zu. Dafür haben die Geheimdokumente im Wehntaler grosse Wirkung in Zug. Es zeigt sich, dass jemand in Zug die schützende Hand über den Erzherzog gehalten hat, als er sich dort nieder- und einbürgern liess. Der Skandal macht die Runde, bald spricht man in den Schweizer Zeitungen unverhohlen von der «Wölfling-Affäre», bei der die Zuger Behörden schlecht dastehen. Eine Administrativuntersuchung in Zug und in Bern bringt aber keine zählbaren Resultate, hinterlässt aber schale Gefühle.
Auch Leopolds Schwester Luise löst ambivalente Gefühle aus. Zuerst hat sie ihr Baby Pia Monica in Lindau am Bodensee zur Welt gebracht. Getrieben von innerer Unruhe, lebt sie in der Folge mit ihrem Baby in Frankreich und in England. Schliesslich kommt sie zurück in die Schweiz. Im Schloss Wartegg, dem herrschaftlichen Sitz der mit ihr verwandten Familie Bourbon von Parma, kommt sie unter.
Das Schlösschen mit markantem Turm auf dem Rorschacherberg gehört Luises Onkel (heute ist es ein öffentlich zugängliches Hotel). Dieser Robert Bourbon von Parma stellt ihr das Chalet im Schlosspark zur dauerhaften Verfügung. Es ist ein schmuckes, geräumiges Gebäude mit drei Etagen, das etwas versteckt im Grün des malerischen Parks liegt. Gestaltet ist es im Schweizerhausstil und von einer lauschigen Veranda umgeben, die mit putzigen Laubsägeornamenten geschmückt ist.
Luise wird auf dem Rorschacherberg durch den grossen Park mit den alten Bäumen spaziert sein und hat gewiss an ihre fünf älteren Kinder gedacht, die in der Hand von fremden Erzieherinnen im fernen Dresden aufwachsen. Nur gerade vier Mal im Jahr erhält sie die offiziellen Bulletins zum Zustand der Kinder, die sehr knapp gehalten sind und keine mütterliche Wärme erzeugen können.
Eines Tages bekommt Luise unerwarteten Besuch. Zwei Herren, die sie noch nie gesehen hat, wollen mit ihr wegen «einer dringenden persönlichen Angelegenheit» reden. Weil die Besucher astreines Sächsisch sprechen, empfängt Luise die Männer, weil sie auf Informationen zu ihren Kindern hofft. Doch die Männer stellen sich als Parteiführer der sächsischen Sozialisten vor.
«Kaiserliche Hoheit», meint der eine hochtrabend, «wir sind gekommen, um Sie zu bitten, unter unserem Schutz nach Dresden zurückzukehren.» Luise staunt, hört aber weiter zu.
«Wir haben, das können wir bezeugen, die Macht, die bestehenden Verhältnisse umzustürzen. Kommen Sie mit uns zurück, rächen Sie sich an Ihren Feinden, und Sie werden die rote Königin von Sachsen.» Das kommt überraschend, aber es ist eine verlockende Offerte, quasi ein unmoralisches Angebot. Denn so könnte sich Luise als Königin von Sachsen rächen: an ihrem Schwiegervater, dem König; an ihrem Mann, dem Thronfolger; am ganzen Hofstaat.
Doch nach kurzer Bedenkzeit lehnt sie entschieden ab. Sie begründet es damit, dass sie ihren ehemaligen Ehegatten nicht herabsetzen wolle. Die Wahrheit liegt wohl auch darin, dass sie keine taktisch und strategisch geübte Politikerin ist, die ein Königreich Sachsen lenken könnte.