Zug war 1998 der letzte «andere» Meister. Seither haben nur noch Lugano, die ZSC Lions, der HC Davos und der SC Bern Titel gewonnen.
Der EV Zug hat sich inzwischen auf und neben dem Eis, sportlich und wirtschaftlich zu einem meisterlichen Hockeyunternehmen entwickelt. Die Erinnerungen an 1998 werden lebendig und gerade deshalb haben die letzten Partien der Qualifikation eine tiefere Bedeutung.
Fünfmal in Serie haben die Zuger zuletzt unter Doug Shedden das Halbfinale verloren und zuletzt ist Harold Kreis zweimal schon im Viertelfinale ausgeschieden. Ist der EV Zug nun endlich bereit für den nächsten Titel? Geben uns die letzten Partien der Qualifikation vielleicht eine Antwort auf diese Frage?
Auf der Suche nach Antworten auf diese Frage kehren in Zug die Gedanken immer wieder zurück ins Jahr 1998. Denn Zugs Meistermannschaft war eine der wildesten, undiszipliniertesten und unberechenbarsten der neueren Geschichte. Es war der letzte Triumph der Rock’n’Roller. Im Vergleich zum EV Zug der späten 1990er-Jahre waren selbst Arno Del Curtos wilde Meisterhelden Wiener Sängerknaben, die gelegentlich fluchten. Alkoholexzesse inkl. Unfallfahrten in angetrunkenem Zustand und durchzechte Nächte gehörten dazu.
Der Titel war 1998 nur möglich, weil es einem charismatischen Präsidenten gelang, diesen wilden Haufen zusammen mit Trainer Sean Simpson zu bändigen. Fredy Egli, ein schwerreicher Rohstoffhändler und Kranzschwinger, ist der Architekt des modernen EV Zug.
Der EVZ, der jetzt nach dem zweiten Titel greift, ist in einem gewissen Sinne das Gegenstück zur Meistermannschaft von 1998. Es sind die braven Erben des Rock’n’Rolls. Zu brav? Dr. Hans-Peter Strebel ist ein Milliardär mit Stil. Nachhaltigkeit durch den Aufbau einer Nachwuchsakademie liegt ihm am Herzen. Unvorstellbar, dass er in seinem Büro Einzelspieler in den Senkel stellt wie einst Fredy Egli.
Sportchef Reto Kläy ist ein höflicher Diplomat, der die Polemik meidet wie der Teufel das geweihte Wasser. Und Trainer Harold Kreis ist auch schon mal als «Angela Merkel der Bandengeneräle» bezeichnet worden: Klug auf Machterhaltung bedacht und ein geschickter Verwalter des ihm anvertrauten Talentes. Aber besonnen, dass viele befürchten, er könnte zum dritten Mal in Serie in der emotionalen Hitze der «Extremsituation Playoffs» untergehen. Die Zuger haben im Schlussspurt den Kampf um den Qualifikationssieg gegen den SC Bern und die ZSC Lions verloren. Sie werden die «Regular Season» auf dem 3. Platz abschliessen. Schon wieder ein Wetterzeichen des Scheiterns?
Die Partie am Dienstag in Bern war ein guter Test. Für Bern, in gefühlten unzähligen Titelkämpfen gestählt, eine Gelegenheit zur unaufgeregten Justierung des Spiels im Hinblick auf die Playoffs. Die Berner haben eine lange Kultur des Gewinnens und zuletzt 2010, 2013 und 2016 die Meisterschaft gewonnen. Ihr Selbstvertrauen hängt nicht mehr an den Resultaten der letzten Spiele.
Für Zug ist die Ausgangslage eine andere. Ein Sieg in Bern wäre fürs Selbstvertrauen enorm wichtig gewesen. Aber die Zuger waren chancenlos. Sind sie das auch für die Playoffs?
Die Lösung sass im Berner Hockeytempel auf der Tribune. Dr. Saul Miller, der weltweit wohl anerkannteste Sportpsychologe, verfolgte das Spiel neben Timo Helbling, dem wahrscheinlich härtesten Schweizer in der NLA. Der Seelendoktor aus Amerika arbeitet diese Saison in der NLA exklusiv für den EV Zug. Letzte Saison stand er im Dienste von Meister Bern. Timo Helbling muss wegen einer Handverletzung zuschauen. Für die Playoffs wird er wieder fit sein.
Die Differenz zwischen Bern und Zug war erneut keine hockeytechnische. Oder zumindest war Berns leichtes Plus an Ausgeglichenheit, Intensität, Tempo und Qualität auf den Ausländerpositionen nicht so gross, dass der Sieg zwingend war. Wieder einmal ging es um «weiche» Faktoren.
Drei Szenen illustrieren, warum Dr. Miller die Lösung sein kann. Bei der ersten bringt Reto Suri beim Stande von 1:2 die Scheibe aus bester Position mit einem Direktschuss nicht ins Netz. In den letzten 27 Partien hat der WM-Silberheld noch zweimal (gegen Ambri) getroffen. Reto Suri ist ein Musterprofi. Ein Energiespieler. Ein Leitwolf. Auch in dieser Partie waren Fleiss und Wille untadelig. Aber er verkörpert die Differenz zwischen Zug und einem Meisterteam. Es fehlt eine Prise Selbstvertrauen. Ganz eindeutig ein Fall für Dr. Miller.
Der zweite Kandidat für ein Vieraugen-Gespräch mit Zugs «Seelendoktor» ist der sanfte Riese Tobias Stephan. In einer gewissen Weise der Reto Suri der Torhüter. Auch er ein Musterprofi ohne Fehl und Tadel. Aber auch er ohne Fortune und meisterlichen Ruhm. Warum das so ist, haben wir in diesem letzten wahren Test vor den Playoffs gesehen. Der SC Bern führt 2:1. Die Partie ist noch lange nicht entschieden. Zug hat die beste Phase des Spiels. Da unterläuft Tobias Stephan ein Konzentrationsfehler, der einem Goalie mit seiner Klasse und Erfahrung nicht passieren darf.
Er bekommt die Scheibe gegen Berns bissigen Forechecker Thomas Rüfenacht nicht unter Kontrolle und SCB-Topskorer Mark Arcobello trifft zum 3:1. Die Entscheidung. Trainer Harold Kreis wird seinen Schlussmann nach der Partie in Schutz nehmen. Aber es ist, wie es nun mal ist: Wenn Zug einen Titanen wie den SC Bern besiegen will, wenn Zug Meister werden oder mindestens ins Halbfinale kommen will, dann darf sich der Torhüter keine solchen Fehler leisten. Auch Tobias Stephan ist ein Fall für Dr. Miller.
Der letzte Funken Hoffnung erlischt nach einer Frustrations-Disziplinlosigkeit (einem Ellenbogencheck) von Leitwolf Josh Holden. Der SCB nützt den Ausschluss zum 4:1. Unkontrollierte Härte hat eine destruktive und nicht eine einschüchternde Wirkung. Aggressivität hilft nur, wenn sie gezielt eingesetzt wird. Josh Holden ist der dritte Kandidat für eine Sitzung mit Dr. Miller.
Der Chronist konfrontiert Zugs psychologischen «Hexenmeister» mit dieser Analyse. Natürlich ist der freundliche Amerikaner viel zu klug, um sich auf so billige Art und Weise in eine Polemik einspannen zu lassen. Er sagt diplomatisch: «Ich hatte von einigen Spielern mehr erwartet. Aber die drei, die Sie erwähnt haben, gehören nicht dazu.» Und ergänzt: «Es braucht mehr Intensität im Spiel». Sagt’s und schaut hinüber zu seinem Sitznachbarn Timo Helbling. Keine Frage, der unsanfte blonde Riese wird für diese Intensität sorgen. Im Spiel hatte Johan Morant, Zugs Mann fürs Grobe, den Nahkampf gegen Thomas Rüfenacht erst in der letzten Szene des Spiels gesucht. Will Zug gegen Bern gewinnen, muss er dem SCB-Rumpelstürmer in der ersten Szene an die Wäsche gehen.
Zugs Trainer Harold Kreis taxierte die Partie als guten Test vor den Playoffs. Es sprach von hoher Intensität und viel Tempo. Er sagte: «Ganz unabhängig vom Resultat hat uns dieses Spiel gut getan.» Da ist Zugs Trainer schon ein bisschen blauäugig und die polemische Frage ist berechtigt: Sind die Zuger trotz «Seelen-Doktor» Saul Miller zu naiv für den Titelkampf? Die Partie hatte bei weitem nicht Playoff-Intensität. Wenn Zug so spielt wie bei diesem 1:4 in Bern, dann geht die Saison in den Viertelfinals zu Ende.