«Guten Morgen, Frau Keller*, hier ist Back vom Gesundheitsdepartement Basel-Stadt, wie geht es Ihnen heute?» Moritz Back rückt sein Headset zurecht. Der 32-Jährige hat seine gewöhnlichen Tätigkeiten als Assistenzarzt gegen die Telefonanlage getauscht. Er trägt keinen weissen Kittel, sondern Jeans und ein rotes T-Shirt.
Würde nicht Pandemie herrschen, wäre er jetzt vielleicht auf medizinischer Gefängnisvisite oder würde sich um eine fürsogerische Unterbringung kümmern. Stattdessen kämpft er seit Ende Februar als Contact Tracer im Kanton Basel-Stadt gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Sein Auftrag: Die Corona-Infektionsketten systematisch nachverfolgen. Aktuell sind die Fallzahlen tief, am Freitag vermeldete der Kanton jedoch eine neue Ansteckung.
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Frau Keller an der anderen Seite der Leitung antwortet auf seine Einstiegsfrage: «Mir geht es eigentlich gut. Ich könnte jetzt nicht direkt einen Marathon rennen, aber Beschwerden habe ich keine.» Die Mutter von zwei Teenagern befindet sich seit fast zehn Tagen in Isolation. Auch ihre beiden Kinder mussten ihren Alltag umkrempeln, um der Mutter möglichst aus dem Weg gehen zu können. Letztere blieb in den letzten Tagen primär in ihrem Zimmer. «Das funktioniert eigentlich gut. Sie haben viele Videokonferenzen und wenn ich im Bad war, dann putze ich es auch direkt danach», führt Frau Keller aus.
Back nickt zufrieden, so als würde seine Gesprächspartnerin die Geste durchs Telefon sehen können. Seine Maus huscht über den Bildschirm, er füllt die entsprechenden Felder des Fragebogens aus.
Solche Gespräche führt er nun zu Dutzenden. Tagein, tagaus, von morgens um neun bis abends um sieben Uhr, sieben Tage die Woche. Er und seine Teamkollegen kontaktieren alle auf Covid-19 positiv getesteten Patienten mit Wohnsitz in Basel-Stadt. Erklären ihnen, warum und wie sie sich nun isolieren sollen. Fragen nach, ob die Nachbarn die Einkäufe erledigen können, ob noch Schutzmasken organisiert werden sollen. Und sie versuchen herauszufinden, wo sich die infizierten Personen angesteckt haben. Im Falle von Frau Keller war es wohl ihr Arbeitsort.
«Ende Februar war das Team noch viel kleiner», sagt Back. Doch dann habe man aufgestockt. Je höher die Fallzahlen waren, desto länger die Arbeitstage. Aktuell hat sich die Arbeitslast wieder etwas gelegt. Steigt die Kurve wieder an, können Mitarbeitende innerhalb des Gesundheitsdepartements schnell reaktiviert werden. Es sind Pflegende oder Ärzte, Mitarbeitende aus dem kantonalen Labor oder auch Personen vom Zivilschutz.
Seit Anfang Mai können die Contact Tracer in Basel auf eine Software zurückgreifen. Am Computer füllen sie Kästchen aus, beantworten Fragen zum Wohlbefinden der Infizierten und können Risiken mit niedrig, mittel oder hoch markieren. Noch im Februar wurden alle Ergebnisse der telefonischen Befragungen in eine Excel-Liste geschrieben. «Das funktionierte eigentlich gut. Doch je länger die Liste wurde, desto unübersichtlicher war es», so Back.
Das Contact Tracing sei in der Tat mit Detektivarbeit zu vergleichen, schmunzelt Back. «In der ersten Phase hatten wir einen Fall in einer Sprachschule. Da war es ziemlich herausfordernd, die betroffenen Leute ausfindig zu machen, die mit der infizierten Person in engem Kontakt waren.» Herausfordernd werden auch die nächsten Wochen werden.
Ab Montag sind Restaurants, Läden, Sportbetriebe und Museen wieder geöffnet. Mehr Personen werden sich wieder auf die Strasse und in die öffentlichen Verkehrsmittel wagen. Die zweite Lockerungswelle wird das Contact Tracing erschweren, das weiss auch Back. Vor allem weil ab dann auch alle Personen, die während mehr als 15 Minuten weniger als zwei Meter Abstand zu einem Infizierten hatten, informiert werden müssen.
Wie aber jemanden ausfindig machen, der vielleicht im Zug einer positiv auf Corona getesteten Person gegenüber sass? «Da stossen wir an unsere Grenzen», sagt Back. Helfen könnte dabei die bereits viel diskutierte mobile Proximity-Tracing-App. Sie würde die Nutzenden informieren, wenn sie zu lange in der Nähe einer infizierten Person gestanden sind. Doch die App befindet sich erst in der Testphase. Bis sie die Arbeit der Contact Tracer wie Back tatsächlich unterstützen kann, wird es noch eine Weile dauern.
Bis dann kämpft der 32-jährige Assistenzarzt noch mit ganz anderen Problemen. Eine der grössten Herausforderung sei die sprachliche Barriere. Oft seien kreative und flexible Lösungen gefragt. «Da sucht man dann halt kurz nach jemandem im Hause, der auf Kroatisch oder Portugiesisch erklären kann, wie und warum man sich isolieren soll», sagt Back.
Wirklich renitent zeigten sich die wenigsten, die Back anruft. «Die grosse Mehrheit ist verständnisvoll und hält sich an unsere Anweisungen. Viele sind einfach verunsichert und haben viele gesundheitliche Fragen.» Wenn er merke, dass ein grosser Redebedarf bestehe, verweise er manchmal auch an die psychiatrischen Kliniken und deren Telefondienste.
Zu vergleichen mit einem gewöhnlichen Call-Center-Job ist das Contact Tracing definitiv nicht. Es braucht Einfühlungsvermögen und ein Gespür für die Sorgen und Ängste der Menschen. Back telefoniert behutsam, hört zu, nimmt sich Zeit bei seinen Antworten.
Mit ruhiger Stimme verabschiedet er sich von Frau Keller. Man werde sie am Sonntag, am letzten Tag der Isolation, nochmals kontaktieren, um zu schauen, ob alles gut sei. «Darauf freue ich mich», meint Frau Keller erleichtert. «Danach bin ich endlich wieder ein freier Mensch.»
*Name von der Redaktion geändert