Die AKW-Betreiber in der Schweiz werden mit neuen finanziellen Auflagen belastet. Das federführende Energiedepartement (Uvek) verlangt von den Unternehmen immer höhere Beiträge, die sie in die zwei Fonds für die Stilllegung der Atommeiler und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle überweisen müssen. Die zusätzlichen Kosten, die Axpo, Alpiq und BKW zu berappen haben, belaufen sich auf jährlich 249 Millionen Franken, wie bisher unveröffentlichte Berechnungen der Energieversorger zeigen.
Bis zum Zeitpunkt der Abschaltung der Atommeiler – die Energiebranche rechnet mit einem Leistungsbetrieb von 50 Jahren – belaufen sich die zusätzlichen Kosten gemäss den Berechnungen auf 2,571 Milliarden Franken (siehe Tabelle unten).
Die Mehrkosten schlagen direkt auf die Erfolgsrechnungen der Konzerne durch. Das heisst: Der Jahresgewinn wird um diese Beträge geschmälert. Angesichts der schwierigen Ertragslage im Stromgeschäft ist es nicht ausgeschlossen, dass die Unternehmen durch die neuen Bestimmungen in die roten Zahlen gezogen werden oder keine Dividenden zahlen können. Zum Beispiel Axpo: Das Unternehmen schrieb 2018 einen Gewinn von 131 Millionen Franken. Mit dem AKW Beznau, das der Axpo zu 100 Prozent gehört, sowie mit ihren Anteilen an Leibstadt und Gösgen muss das Unternehmen rund 40 Prozent der Zusatzkosten schultern: Das macht für den Stromkonzern aus Baden AG rund 100 Millionen Franken aus, die er pro Jahr zusätzlich in die Fonds einschiessen muss.
Die Festlegung der Geldbeträge, mit denen die Fonds gefüttert werden, ist technisch komplex und politisch umstritten. Zentrales Regelwerk ist die sogenannte Stilllegungs- und Entsorgungsfondsverordnung (kurz SEFV). Diese befindet sich derzeit in Überarbeitung und sieht eine Reihe von Veränderungen vor, die zu Mehrbelastungen führen. So soll der Einfluss der Konzerne in den Verwaltungsgremien auf einen Drittel gesenkt werden. Zweitens sollen die eingeschossenen Gelder bei Überdeckung nicht mehr an die Firmen zurückgezahlt werden, sondern für 100 Jahre auf ein Sperrkonto kommen.
Dritter und heikelster Punkt: Die sogenannte Realrendite der Fonds soll von 2 auf 1,6 Prozent (Rendite minus Teuerung) gesenkt werden. Das bedeutet, dass mit einer tieferen Verzinsung des Fondsvermögens am Kapitalmarkt gerechnet wird. Für die Kraftwerkbetreiber bedeutet das wiederum, dass sie mehr aus dem eigenen Sack einzahlen müssen. Allein diese vermeintlich kleine Reduktion von 0,4 Prozentpunkten hat zur Folge, dass die finanzielle Belastung für alle Betreiber pro Jahr um 100,7 Millionen Franken zunimmt. Bis zum Ende des Leistungsbetriebs macht dies sogar 888 Millionen Franken aus (siehe Tabelle).
Die Kraftwerksbetreiber lehnen alle drei Verschärfungen ab. Besonders scharf kritisieren sie die Senkung der Realrendite: Sie argumentieren, dass die beiden Fonds seit Bestehen eine durchschnittliche Realrendite von 3,6 bzw. 4,3 Prozent erwirtschaftet haben. Also deutlich mehr als der einkalkulierte Zins von 2 Prozent.
Andrew Walo, Konzernchef der Axpo, sagt zu Redaktion CH Media: «Die Fonds haben seit ihrem Bestehen deutliche Überrenditen erwirtschaftet, trotz schwieriger Börsenjahre wie etwa die Dotcom-Blase oder der Finanzkrise 2008.» Der Axpo-Chef versteht deshalb nicht, dass man «jetzt den Betreibern höhere Beiträge aufbürdet, obwohl die Fonds heute schon Überschüsse aufweisen». Tatsächlich befindet sich in den Fonds deutlich mehr Geld als zum jetzigen Zeitpunkt verlangt. «Unter dem Vorwand der momentanen Zinsdiskussion werden nun den Betreibergesellschaften von Kernkraftwerken wie Axpo willkürlich Mittel entzogen.»
Dieses Geld fehle nun anderswo, sagt Walo. Zum Beispiel für «dringend benötigte Investitionen in die Wasserkraft oder beim Aufbau neuer, innovativer Geschäftsfelder». «Der Umbau des Energiesystems ist politisch gewollt, grossen Investoren wie Axpo sollen aber gleichzeitig die Hände gebunden werden – das ist ein energiepolitisches Eigentor», sagt Walo.
Bereits früher äusserte sich BKW-Chefin Suzanne Thoma zu den Mehrkosten. Dem Berner Energiekonzern gehört das Kraftwerk Mühleberg, das Ende 2019 nach 47 Jahren vom Netz genommen werden soll. «Werden wir gezwungen, 100 Millionen zusätzlich in die Fonds zu zahlen, fehlt dieses Geld der BKW bei anderen Projekten.» Thoma hegt den Verdacht, dass hinter der Verteuerung politische Absicht steht. «Es gibt einflussreiche Kreise, die den Ausstieg künstlich verteuern wollen», sagt sie.
Ganz anders sieht das die Schweizerische Energiestiftung. Ihr geht die Verordnung viel zu wenig weit. Deren Geschäftsführer, Nils Epprecht, befürchtet, dass die AKW-Betreiber zu günstig wegkommen könnten und die Last für den Atommüll an den Steuerzahlern hängenbleibt.
Atomkritische Seiten befürchten offenbar, dass die Kraftwerksbetreiber unter den jetzigen Bedingungen einen Anreiz hätten, die Kraftwerke weit über die Laufzeit von 50 Jahren hinaus zu betreiben. Wenn sie nun deutlich mehr Geld in die Fonds einzahlen müssen, wird ein rentabler Betrieb schwieriger, sodass sie gezwungen sind, die Reaktoren früher abzuschalten. In diese Richtung argumentiert die Energiestiftung: Man müsse aufpassen, dass das System zur Sicherstellung der Mittel für Stilllegung und Entsorgung nicht zu gefährlichen Fehlanreizen führe oder «gar einen ökonomischen Druck für längere Laufzeiten erzeugt», heisst es in einer Stellungnahme.
In der Tat ist es so, dass Atomkraftwerke ab dem 50. Betriebsjahr kostengünstiger betrieben werden können, weil dann keine Gelder mehr in die Fonds einbezahlt werden müssen. Es ist wie bei einem abgezahlten Haus, in dem es sich günstiger leben lässt. Diese Aussichten sind für AKWKritiker ein Graus. (aargauerzeitung.ch)