Erneut sorgt ein Whistleblower für Aufruhr im Cyberspace. Was Edward Snowden für die Bespitzelungen durch den US-Geheimdienst NSA war, ist Christopher Wylie für den angeblichen Missbrauch von Facebook-Daten durch Cambridge Analytica. Der ehemalige Angestellte der Datenanalyse-Firma hat entsprechende Informationen dem britischen «Guardian» zugespielt.
Cambridge Analytica hat demnach die Daten von mehr als 50 Millionen Facebook-Nutzern ausgewertet und mit den Ergebnissen den Wahlkampf 2016 von Donald Trump unterstützt. Mit gezielten Werbebotschaften auf Facebook sollen seine Anhänger mobilisiert und gleichzeitig potenzielle Wähler von Hillary Clinton vom Gang in die Wahllokale abgebracht worden sein.
Die Vorwürfe gegen Cambridge Analytica sind nicht neu, und die Wirksamkeit dieser Methode ist umstritten. Ein Artikel, den «Das Magazin» im Dezember 2016 veröffentlicht hatte, sorgte mit entsprechenden Andeutungen für grosses Aufsehen und heftige Kritik. Die Autoren mussten einräumen, sie hätten ihre Recherche-Ergebnisse «stärker hinterfragen müssen».
Neu an Christopher Wylies Enthüllungen sind das Ausmass der Manipulationen und die zweifelhaften Methoden, mit denen sich Cambridge Analytica die Facebook-Daten beschafft hat. Aber hat sich die Firma, die mit dem erzkonservativen US-Milliardär Robert Mercer und dem früheren Trump-Chefstrategen Steve Bannon verbandelt ist, strafbar gemacht? Die Sachlage ist alles andere als eindeutig.
Der Vorwurf an die Firma Cambridge Analytica, die Präsidentschaftswahl 2016 manipuliert zu haben, wirkt schwer. Hätte sie versucht, die Stimmabgabe direkt zu beeinflussen, etwa durch Hackerangriffe auf Wahlcomputer, müsste sie sich zweifellos vor Gericht verantworten. Allein durch die Verwendung von manipulativen Werbebotschaften aber hat sie sich kaum strafbar gemacht.
Hier handelt es sich um einen typischen Fall von politischer Propaganda, die es mit der Wahrheit bekanntlich noch nie besonders genau genommen hat. In den USA wird zudem die freie Meinungsäusserung, die im ersten Verfassungszusatz verankert ist, sehr weitgehend interpretiert. Facebook-Postings zugunsten von Trump und gegen Clinton sind noch keine Straftat.
Das sieht auch Whistleblower Wylie so. Er bezeichnete die Methoden seines Ex-Arbeitgebers als «zutiefst unethisches Experiment». Cambridge Analytica habe den demokratischen Prozess «schwer beschädigt». Unethisch bedeutet aber nicht illegal.
Der Datenschutz in den USA gilt als eher lasch. Anders sieht es in Grossbritannien aus, wo Cambridge Analytica einen Ableger hat. Der Name der Firma bezieht sich auf die englische Elite-Hochschule. Dies hat sich David Carroll zunutze gemacht, ein Medienprofessor an der New School, einer privaten Universität in New York. Er hat von Cambridge Analytica unter Berufung auf ein britisches Gesetz die Herausgabe der über ihn gesammelten Daten verlangt.
Obwohl Carroll Amerikaner ist, war er laut dem obersten Datenschützer des Königreichs dazu befugt. Was er erhielt, beunruhigte ihn. Offenbar kannte Cambridge Analytica seine Einstellungen zu heiklen Themen wie Waffengesetze, Einwanderung oder Bürgerrechte ziemlich genau. «Nur mit meinem Alter, Geschlecht und der Postleitzahl können sie keine derart akkurate Liste erstellen. Da muss mehr vorhanden sein», sagte Carroll dem Fernsehsender CNN.
Up on CNN after the next commercial break. #CambridgeAnalyticaFiles #TakeBackOurVoterData pic.twitter.com/hOG8laZHee
— David Carroll 🦅 (@profcarroll) March 18, 2018
Letzte Woche reichten seine Anwälte vor einem britischen Gericht Klage gegen Cambridge Analytica ein. Der US-Professor, eingetragenes Mitglied der demokratischen Partei, will herausfinden, was die Analysten über ihn wissen und wie sie an die Informationen herangekommen sind. Cambridge Analytica betonte gegenüber CNN, man nehme den Datenschutz «sehr ernst».
Ob die Firma belangt werden kann, ist unklar. Auch die Staatsanwaltschaft des US-Bundesstaats Massachusetts hat Ermittlungen eingeleitet. Wirklich eng werden könnte es für Facebook. Dem Social-Media-Giganten droht gemäss der «Washington Post» wegen der missbräuchlichen Verwendung seiner Userdaten eine gigantische Busse in Milliardenhöhe.
Eine am Montag vom Fernsehsender Channel 4 ausgestrahlte Dokumentation goss zusätzlich Öl ins Feuer. In verdeckt aufgenommenen Videos prahlte Alexander Nix, der CEO von Cambridge Analytica, mit den Methoden seiner Firma. Man könne Politiker mit Bestechungsgeldern oder Prostituierten in kompromittierende Situationen bringen und sie damit erpressbar machen.
Cambridge Analytica hat am Dienstagabend auf die entlarvende Doku reagiert und Nix als CEO suspendiert. Doch auch in diesem Fall gilt: So lange es keine Beweise gibt, dass solche Methoden tatsächlich angewendet werden, ist Nix nicht mehr als ein Angeber. Das Gefängnis muss er zumindest vorläufig nicht fürchten.