Facebook steuert auf die schwerste Krise seit der Firmengründung 2004 zu. Oder steckt bereits mitten drin.
Seit Samstag überschlagen sich die Ereignisse. Am Montag gab es neuen Enthüllungen zu den fragwürdigen Geschäftspraktiken von Cambridge Analytica.
Um 20 Uhr zeigte der britische TV-Sender Channel 4 laut Ankündigung einen «Undercover»-Report. Journalisten recherchierten während Monaten und filmten Verhandlungen heimlich.
Für Facebook könnte der Image-Schaden neue Dimensionen annehmen. Mark Zuckerberg ist auf Tauchstation.
Zunächst gilt festzuhalten, dass noch nicht alle Fakten auf dem Tisch sind. Relevante Vorkommnisse liegen Jahre zurück. Verantwortliche zogen es bislang vor, zu schweigen.
Siehe weiter unten:
Dass Dritte über Facebook-Spiele und andere Anwendungen wie zum Beispiel Psycho-Tests an die Daten von ahnungslosen Facebook-Usern gelangen, ist nichts Neues.
Das grundlegende Problem: Wer Facebook nutzen will, muss in die weitreichenden Plattform-Richtlinien einwilligen.
Im aktuellen Fall bedeutete dies: Weil 270'000 User für einen Persönlichkeitstest ihr Facebook-Login verwendeten, ermöglichten sie den Zugriff auf ein Netzwerk von 50 Millionen Usern.
Die Enthüllungen des Whistleblowers zeigen, dass Facebook den Schutz der User-Daten nicht gewährleisten konnte. Über die Gründe für das Versagen kann nur spekuliert werden.
Das kommt auf die Perspektive an.
Der Image-Schaden für Facebook scheint riesig. Wobei er dies auch schon bei früheren skandalösen Enthüllungen war. Und geändert hat sich daraufhin wenig bis gar nichts.
Bei US-Medien wird das Verhalten von Facebook massiv kritisiert. Die Unternehmensführung sei uneinsichtig.
Für Facebook könnte sich die Schlinge zuziehen. Bislang hat es das US-Unternehmen dank geschicktem Lobbying geschafft, eine (strengere) Regulierung in den USA abzuwenden. Dies könnte sich nun ändern. Wobei zunächst langwierige Untersuchungen zu erwarten sind. Und nicht zuletzt muss wohl der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg vor dem Kongress aussagen.
Donald Trump dürfte nicht tangiert sein. Er hat zwar auf die Dienste von Cambridge Analytica gesetzt. Ihm ein juristisch relevantes Verhalten nachzuweisen, dürfte unmöglich sein.
Der Facebook-Gründer und CEO ist auf Tauchstation.
Sein letzter Facebook-Eintrag datiert vom 2. März. Da veröffentlichte Zuckerberg ein Foto mit seiner Frau, beim Backen.
In Kommentaren ist bereits von Führungsversagen die Rede. Plant der gewiefte Stratege einen Befreiungsschlag?
Facebook informiert via Pressroom, dass zwei Firmen sowie zwei Personen wegen Verstössen gegen die Plattform-Richtlinien suspendiert werden. Das heisst, die Betroffenen können nicht mehr auf Facebook und seine Schnittstellen zugreifen.
Suspendiert werden:
Einen Tag später wird klar, warum.
Britische und US-Journalisten berichten exklusiv über die Enthüllungen des Whistleblowers Christopher Wylie, einem ehemaligen Mitarbeiter von Cambridge Analytica.
Der brisante Vorwurf: Die Daten von über 50 Millionen Facebook-Usern seien missbräuchlich verwendet worden, um ein Tool zur Beeinflussung von Facebook-Usern zu entwickeln.
In den britischen und US-amerikanischen Medienberichten ist von einem «Data Breach» die Rede, also einem nicht autorisierten Zugriff auf schützenswerte Informationen.
Facebook widerspricht. Es handle sich nicht um eine Panne oder einen Datendiebstahl, der nach dem US-Gesetz meldepflichtig wäre. Vielmehr hätten die Betroffenen bei Facebook einer Dritt-App Zugriff auf persönliche Daten gegeben. Und zwar auf einen Online-Persönlichkeitstest («thisisyourdigitallife») des Psychologie-Professors Aleksandr Kogan aus Cambridge.
Facebook schreibt, man habe die App 2015 entfernt, nachdem man erfahren habe, dass Kogan unerlaubt Facebook-Profil-Daten an Dritte weitergegeben habe. Und zwar an die Firmen SCL Group / Cambridge Analytica und Christopher Wylie.
Facebook bestätigt gegenüber CNN, dass der Facebook-Mitarbeiter Joseph Cancellor Verbindungen zu Cambridge Analytica hat. Die Angelegenheit werde intern untersucht.
Gleichentags wird bekannt, dass Facebook Wylie suspendiert hat. Der Whistleblower wird nicht nur bei Facebook ausgesperrt, sondern auch bei Instagram und WhatsApp.
Donald Trump gewinnt die US-Präsidentenwahl. Welchen Einfluss Cambridge Analytica gespielt hat, ist unklar.
Facebook erfährt von der missbräuchlichen Verwendung von User-Daten, unterlässt es aber, angemessen zu reagieren. Zwar wird die Anwendung, über die die Facebook-Profil-Daten abgegriffen wurden, von der Plattform entfernt. Doch verzichtet das Unternehmen darauf, die Betroffenen zu informieren.
Facebook-User melden sich für einen Online-Persönlichkeitstest mit ihrem Facebook-Login an. Damit ermöglichen sie nicht nur den Zugriff auf die eigenen Profil-Daten, sondern willigen ein, dass die Profile der Facebook-Kontakte abgegrast werden.
Datenanalyse-Firma. Von der SCL Group gegründet, mit Hauptsitz in New York. Versucht durch Big Data auf die soziale Stellung und politische Einstellung von Individuen zu schliessen, mit dem Ziel sie bei Entscheidungen zu beeinflussen. Der Firmenname rührt von der engen Zusammenarbeit mit Psychometrie-Experten der britischen University of Cambridge.
Geschäftsführer ist Alexander Nix.
US-Konzern. Weltgrösstes «soziales» Online-Netzwerk mit 2,1 Milliarden aktiven Nutzern.
Laut «Guardian» war Facebook ab 2014 von einem massiven Datenverlust betroffen. Profil-Daten von über 50 Millionen Usern seien an Dritte weitergegeben und missbräuchlich verwendet worden. Das Unternehmen widerspricht: Die Betroffenen hätten ihre Einwilligung erteilt, indem sie sich mit ihrem Facebook-Login bei der App eines Dritt-Anbieters anmeldeten. Dabei handelt es sich um den Persönlichkeitstest von Aleksandr Kogan.
Firma, die mit Cambridge Analytica kooperiert hat. Gründer und Geschäftsführer ist Aleksandr Kogan.
Tochterfirma von Cambridge Analytica. Ging laut «Guardian» eine kommerzielle Vereinbarung mit GSR ein, zwecks Erfassung und Verarbeitung von Facebook-Daten.
Britisch-amerikanisches Unternehmen für Verhaltensforschung und strategische Kommunikation. Ist die Muttergesellschaft von Cambridge Analytica, mit Sitz in Virginia, USA.
Psychologie-Professor. Cambridge University. Entwickelte einen Online-Persönlichkeitstest, den hunderttausende Facebook-User absolvierten und damit nicht nur persönliche Daten preisgaben, sondern auch die Daten ihrer Facebook-Freunde.
Kogan hat laut «Guardian» russische Stipendien für Forschungszwecke in Anspruch genommen und besass von Facebook eine Lizenz zum Sammeln von Profildaten, allerdings nur zu Forschungszwecken. Indem er die User-Daten für kommerzielle Zwecke aufsaugte und an Cambridge Analytica und weitere Unternehmen weitergab, verstiess er gegen die Bestimmungen der Social-Media-Plattform und wurde suspendiert.
Whistleblower. Arbeitete für Cambridge Analytica. War bei der Firma Eunoia Technologies angestellt.
US-Präsident. Setzte im Wahlkampf 2016 auf die Dienste von Cambridge Analytica.
Wissenschaftler, heute für Facebook tätig. Leitete vorher mit Aleksandr Kogan die Datenanalyse-Firma GSR.
Wissenschaftler, Cambridge University. Experte für Psychometrie. Wurde hierzulande durch einen Ende 2016 im «Magazin» veröffentlichten Artikel bekannt.
Hedgefonds-Milliardär und Informatiker. Hat sein Vermögen durch Software gemacht, die mit «Predictive Modeling» die Entwicklung von Aktienkursen prognostiziert. Er ist der Hauptfinancier von Cambridge Analytica. Ehemaliger Geldgeber von Steve Bannon, bis zum Zerwürfnis Anfang 2018.
Ex-Berater von Trump. Sass im Verwaltungsrat von Cambridge Analytica und vermittelte die Firma für Trumps Wahlkampf. Ab August 2016 leitete er die Wahlkampagne.