Am Anfang einer Preisverleihung ist oft ein Container, auch altmodisch Mehrzweckhalle genannt, weil ihr Zweck ein mehrfacher und ganz leidenschaftslos dem Zufall überlassener ist. Ob Steve Bannon, Schweizer Filmpreis oder Britpop – was kümmert das die Halle 622 draussen in Oerlikon. Am Freitagabend bei der Verleihung des Schweizer Filmpreises also fielen besonders die Würste auf. Es gab sie direkt vor der Halle, neben der Raucherzone (passend) und der Garderobe (unpassend?).
Man konnte frisch gegrillte, auf einen Spiess gesteckte Würste essen, was einerseits praktisch, andererseits aber auch recht ironisch war. Der Spiess, die Wurst, ein doppeltes Phallus-Symbol an einer Veranstaltung, die sonst ganz im Zeichen der Frauen stand. Von MeToo, von Time’s Up, den schon nicht mehr ganz so neuen Slogans, die in Hollywood ihren Anfang genommen haben. Gegen strukturellen Sexismus, Lohnungleichheit, all die Dinge, die zwischen Frau und Mann noch nicht paritätisch geregelt sind.
Aber egal! Die Würste schmeckten super! Der Container war schön dekoriert, die Menschen auch. Zum Zeichen der Solidarität mit der neuen Filmfrauenbewegung war man kurzfristig zum Schwarz-Tragen oder Pin-Anstecken aufgefordert worden, viele folgten, nur die Ladies aus der Romandie fielen durch rote Roben auf.
Bundesrätin Simonetta Sommaruga begann ihre Rede mit einlullenden, pseudogemütlichen Betrachtungen über die allgemeine Sehnsucht nach gestern und vorgestern, die auch Politikerinnen und Politiker regelmässig überfalle, nach einer Zeit, in der Frauen «nicht ‚MeToo’ schrien». Aber «warum können wir nicht mehr so wie früher?», fragte sie, «weil wir es nicht mehr wollen, so wie früher.» Neben all den Oscars und Césars stelle sich auch die Frage: «Wann wird endlich ein Filmpreis nach einer Frau benannt?» Ja, wann?
Moderiert und präsentiert wurde der Abend umstandslos in Deutsch, Französisch und Italienisch, und man sass da, verstand mindestens von zwei Sprachen viel und von einer mit Glück etwas, es war schnell, es war animiert, die Dankesreden engagiert und rührend, alle Augen und Erwartungen ruhten natürlich auf «Blue My Mind», Lisa Brühlmanns scharfkantigem Pubertätshorrordrama um ein Mädchen, dessen Körper quasi die Wursthaut der Normalität sprengt und eine fantastische Verwandlung beginnt.
«Mutig, hungrig und kompromisslos» wolle sie sein und Filme machen, sagte Lisa Brühlmann, als sie den Preis fürs beste Drehbuch entgegennahm, ihr Mann – der Filmemacher Dominik Locher, wie immer im weissen Unterhemd – habe sie das gelehrt. Die beiden Quartz-Trophäen fürs Drehbuch und den besten Film wird sie übrigens in die Küche stellen. Vielleicht lässt sich das Ding als Messerhalter benutzen?
Brühlmanns Star, die 18-jährige Luna Wedler, wurde beste Darstellerin, «ich bin ready für d’Zuekunft», jubelte sie, Fachleute im Foyer prophezeiten, Wedler, diese Force of Nature, werde noch für viele Jahre «eine unserer Beste» sein. An dieser Stelle noch ein Hinweis in eigener Sache: Wedler ging mal bei unserem lieben ehemaligen watson-Redaktor Laurent Aeberli zur Schule Von watson-Lehrer lernen heisst enorm viel fürs Leben lernen.
Jessy Moravec die für ihre Rolle im schwulen Fussballerdrama «Mario» den Preis für die beste Nebendarstellung gewann, machte in ihrer schnellen, fröhlichen Rede einen Rundumschlag gegen Unehrlichkeit, Ausbeutung, Rassismus.
Jan-Eric Mack, Regisseur des Kurzfilms «Facing Mecca», dankte seiner Partnerin, der Schauspielerin und Drehbuchautorin Anna Schinz, die beiden wären heuer ja beinah für einen Oscar nominiert worden: «Wir wollten einen Langfilm machen, es ist ein Kurzfilm geworden, dafür gibt’s jetzt auch noch ein Kind dazu.»
Als Kontrast zu all den Zukunftssüchtigen und multipel Produktiven Schweizer Jungtalenten gab’s einen alternden Hollywoodstar, der Beste unter den Abgehalfterten, die Verlebtheit himself: Mr. Jeff Bridges, für immer der Dude aus «The Big Lebowsky», der in einem Einspieler dem Schweizer Maskenbildner Thomas Nellen irgendwo in Hollywood bei einem Dreh den Spezialquartz für besondere Verdienste übergeben durfte. «Speach man, come on!», verlangte Bridges von Nellen, der erst gar nicht verstand, was für eine komische grüne Glasscheibenskulptur Bridges da aus einer Kartonschachtel klaubte und sich selbst als «alten Furz» bezeichnete.
Claude Barras, der letztes Jahr mit «Ma vie de Courgette» die Oscar-Nomination geschafft hatte, sagte auf die Frage, wieso er ausgerechnet eine Zucchini und nicht etwa eine Karotte zu seinem Titelgemüse gemacht habe, so: «Weil meine Mutter die schönsten und grössten Zucchini des ganzen Wallis in ihrem Garten wachsen hatte. Mit denen bin ich gross geworden.» Die Zucchini, die Wurstform des Gartens ... Interessant, oder? Nein, nicht wirklich.
Interessant war die Energie, die heuer anders war als sonst: vibrierender, selbstbewusster, glamouröser, jünger, und ja, definitiv und auf eine enorm selbstverständliche Art weiblicher. So wie Brühlmann und ihre Crew, so wie Moravec hätten Hollywoods Ladies bei den Oscars auftreten sollen, es wär ein Fest gewesen, die Zukunft. The Power.
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