Herr Milic, Personen mit Migrationshintergrund sind gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil in der Politik stark untervertreten. Warum?
Thomas Milic: Der Hauptgrund: Die wenigsten Leute lassen sich primär deshalb einbürgern, um an der Politik teilhaben zu können. Dies zeigt sich deutlich am Beispiel der Beteiligungsdaten der Stadt St. Gallen. Bei den eingebürgerten Wahlberechtigten liegt die Beteiligung 10 bis 20, manchmal gar 30 Prozentpunkte tiefer als bei den gebürtigen Schweizern. Nachdenklich stimmt dabei, dass die grössten Differenzen ausgerechnet bei den Jungen festzustellen sind.
Inwiefern sind die Erkenntnisse aus St. Gallen auch aussagekräftig für die Deutschschweiz?
Die Befunde haben mit grosser Wahrscheinlichkeit auch in der übrigen Deutschschweiz ihre Gültigkeit. Angesichts dieser Ergebnisse überrascht es nicht, dass die Bevölkerungsgruppe der Migranten auch im Parlament nach wie vor unterdurchschnittlich vertreten ist.
Wie erklären Sie sich die tiefere Beteiligung?
Wir wissen, dass das soziale Umfeld und im Speziellen das Elternhaus eine wichtige Rolle spielen für die politische Sozialisation. Wer zu Hause nicht mit politischen Themen in Berührung kommt, beschäftigt sich meist auch später nicht damit. Das Interesse an der Politik ist zudem generell tiefer bei Personen mit geringem Einkommen und Bildungsstand, in jener gesellschaftlichen Schicht also, zu welcher vergleichsweise viele Migranten zählen. Diese Gruppen – also Bildungsferne und Einkommensschwache – sind im Parlament ja ebenfalls stark untervertreten. Das politische Interesse hat deshalb nicht nur mit dem Migrationsstatus zu tun, sondern auch mit sozioökonomischen Faktoren.
Was lässt sich dagegen unternehmen?
Das politische Interesse zu wecken, ist keine einfache Angelegenheit. Die politische Bildung in der Schule zu verstärken, ist eine Option, allerdings darf man sich davon keine Wunderdinge erhoffen. Die Schüler sind entweder zu jung, um das Gelernte direkt umsetzen zu können, oder können in der Politik noch keine persönliche Betroffenheit erkennen, weshalb dies doch oft eine trockene Angelegenheit bleibt.
Ist die Untervertretung der Migrantinnen und Migranten für die Demokratie ein Problem?
Nicht zwangsläufig. Die zentrale Frage ist: Fühlen sich die Migranten selbst angemessen vertreten? Mir persönlich ist die politische Haltung eines Politikers zum Beispiel viel wichtiger als seine Herkunft. Damit ich mich vertreten fühle, braucht es kein «ic» im Namen. (aargauerzeitung.ch)