Zwei Klubs haben sich in der jüngsten Vergangenheit zu einem radikalen Strategiewechsel entschlossen. Lausanne zur Flucht nach vorne mit nordamerikanischen Besitzern und einer Transfer-Offensive, bei der Geld keine Rolle spielt. Kein anderer Klub hat in den letzten zwei Jahren so viel investiert wie Lausanne. Die Waadtländer sind die Preistreiber der Liga. Aber sie haben die Playoffs verpasst.
Ambri geht genau den umgekehrten Weg. Im letzten Sommer hat Ambris grosser Vorsitzende Filippo Lombardi an einem magischen Ort die neue Bescheidenheit, die Rückkehr zur Vernunft, das Vertrauen in die eigene Kultur verkündet. In Giornico. Dort, wo vor mehr als 600 Jahren 175 Tessiner 10'000 aus Norditalien anrückende Krieger vernichtend geschlagen haben.
Das Stärkeverhältnis zwischen Ambri und den Titanen der Liga dürfte im finanziellen Bereich ähnlich sein wie damals zwischen den tapferen Leventinern und den Eindringlingen. Aber auch zwischen Ambri und Lausanne. Der Gegensatz könnte grösser nicht sein.
Zu Beginn der Abstiegsrunde (offiziell: Platzierungsrunde) hat Lausanne nur noch sechs Punkte Vorsprung auf Ambri und die Playouts. Für Ambri ist gar der drittletzte Platz und damit die Rettung vor den Playouts auf Kosten von Lausanne möglich.
Das Verkünden einer Strategie ist eine Sache. Sie umzusetzen eine ganz andere. Vor einem Jahr hatte Ambri am Ende der Qualifikation 48 Punkte. Jetzt sind es 57.
Auf den ersten Blick keine spektakuläre Steigerung. Aber Ambri ist erstmals seit Menschengedenken, gefühlt seit der Schlacht von Giornico, ohne Trainerwechsel, ohne Polemik, ohne Diskussionen über die Strategie, ohne Jammern und ohne Budget-Überschreitung durch die Qualifikation gekommen.
Dass es diese Saison keine Diskussionen mehr gegeben hat, überrascht Sportchef Paolo Duca nicht. «Wir haben gar keine andere Wahl, wenn wir in der NLA bestehen wollen.» Wenn er jetzt eine erste Bilanz zieht, ist er einerseits zufrieden und andererseits nicht. Nicht zufrieden ist er mit den Resultaten. Kein Sportchef kann und darf zufrieden sein, wenn seine Mannschaft die Qualifikation auf dem zweitletzten Platz beendet.
Aber es gibt da auch noch eine andere Sicht der Dinge. Er sagt: «Ich bin zufrieden mit der Art und Weise, wie wir täglich arbeiten und wie wir bisher als Mannschaft aufgetreten sind. Wir haben bisher nur selten nicht gut gespielt und meistens leidenschaftlich gekämpft und nicht aufgegeben.»
Das neue Ambri ist also sichtbar. Noch nicht ganz in den Resultaten, aber im Auftreten. Und er gibt zu bedenken: «Eine neue Strategie umzusetzen, braucht viel mehr Zeit als nur eine Saison.»
Aber Paolo Duca mag es nicht, jetzt schon abschliessend Bilanz zu ziehen. Der Liga-Erhalt sei noch nicht gesichert. Er ist weit davon entfernt, die Situation zu unterschätzen. «Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie schwierig der Abstiegskampf ist.» Aber das, was er bisher gesehen hat, stimme ihn zuversichtlich.
Die Frage ist natürlich, wie es weitergehen soll. Der Trainer ist für den Erfolg des Augenblicks zuständig. Dem Sportchef aber obliegt es, langfristig zu denken und sich Gedanken über die Zukunft zu machen. Er sagt, es gehe jetzt darum, die neue Politik der Vernunft noch konsequenter umsetzen. «Wir möchten, dass junge Spieler zu uns kommen, weil sie wissen, dass sie bei uns die besten Entwicklungsmöglichkeiten haben, dass sie bei uns früher Verantwortung übernehmen können als bei anderen Klubs.»
Die Mannschaft soll auf nächste Saison jünger, schneller, dynamischer werden. Einen Transfer hat Ambris Sportchef soeben gemacht. Er hat auf dem internationalen Transferwühltisch schon wieder eine Rolex gefunden. Vor einem Jahr war es Dominic Zwerger (21), der österreichische Nationalstürmer mit Schweizer Lizenz, der direkt aus dem nordamerikanischen Junioren-Hockey nach Ambri gekommen ist. Zeitweise war er bester Skorer des Teams und hat die Qualifikation mit 39 Punkten abgeschlossen.
Nun kommt auf nächste Saison ein weiterer österreichischer Nationalstürmer. Fabio Hofer (27). Er hat aus seiner Juniorenzeit eine helvetische Lizenz und belastet das Ausländerkontingent nicht. Der flinke Flügel mit den feinen Händen buchte diese Saison in der Qualifikation für Linz in EBEL in 54 Partien bemerkenswerte 55 Punkte. Österreichs Nationaltrainer Roger Bader sagt: «Er wird sich in der Schweiz durchsetzen, weil er läuferisch und stocktechnisch sehr gut ist. In der Nationalmannschaft ist er ein wichtiger Spieler im Powerplay.
Inzwischen zeichnet sich auch ab, dass Inti Pestoni (26) nach der Saison von den ZSC Lions trotz eines noch bis 2019 laufenden Vertrages nach Ambri «abgeschoben» wird. Vor seinem Wechsel nach Zürich produzierte er in der Qualifikation exakt 40 Punkte. Jetzt waren es in Zürich in der ersten Qualifikation 12 und in der soeben abgeschlossenen zweiten 23 Punkte. Unterschreibt nach Fabio Hofer auch Inti Pestoni, dann hat Ambri für nächste Saison eine Flügelzange, die mehr als 70 Punkte produzieren kann.
Primär arbeitet Paolo Duca aber daran, Ambri zum besten Ausbildungsklub der Liga zu machen. Ein starkes Zeichen: Michael Fora ist mit 22 der jüngste Captain der Liga. In Lugano ist der Leitwolf mit der Binde am Ärmel 31 (Chiesa), in Zug 32 (Diaz) und in Kloten 28 (Hollenstein).
Wichtig auch: Wer in Ambri spielt, hat so gute Chancen auf internationalen Ruhm wie die Spieler in Zürich oder Bern oder Zug. Michael Fora hat diese Saison auch seine ersten Länderspiele bestritten. Und er hat seinen Vertrag vorzeitig bis 2021 verlängert. Ein Bekenntnis zu Ambri.
Die Botschaft des neuen Ambri ist bei den Spielern angekommen. Aber noch nicht ganz beim Publikum. Zumindest auf den ersten Blick. Der Zuschauerschnitt ist leicht zurückgegangen. Von 4955 in der letzten auf 4730 pro Spiel in der laufenden Saison. Aber eigentlich ist es nur eine Zufallsdifferenz und letztlich als Erfolg zu werten: Wer seinen Fans vor der Saison erstmals seit Menschengedenken nicht mehr Ruhm und Siege, sondern Mühsal, Schweiss und Tränen verspricht (frei nach Winston Churchill) und nur 225 Zuschauer pro Spiel einbüsst, hat eigentlich alles richtig gemacht.