«Du hast das Bestmögliche probiert», sagt meine Freundin Lea grinsend und tätschelt mir leicht spöttisch auf die Schulter. Wir sitzen auf einem Frachtschiff und sind auf dem Weg von Brasilien nach Spanien. Die Mannschaft besteht aus 15 Filipinos, 7 Rumänen und einem Bulgaren. Ich habe gerade zum wiederholten Male versucht, mit den rumänischen Crewmitgliedern, mit denen wir uns den Speisesaal teilen, ins Gespräch zu kommen. Vergeblich. Die Seebären haben ganz offensichtlich keine Lust auf Konversation.
Meine Fragen zum Leben auf dem Frachtschiff, zur Seefahrt im Allgemeinen sowie den bedenklich wenigen Containern auf unserem Schiff beantworten die Herren zwar höflich, aber sehr kurz angebunden. Und auch die Wirtschaftslage in Rumänien, das rumänische Staatsoberhaupt Klaus Johannis oder die rumänische Fussballlegende Gheorghe Hagi lockern die Zungen nicht.
Die ersten fünf Tage auf dem Atlantik sind für Lea und mich deshalb sehr monoton: Beim Frühstück sind wir meist die einzigen. Beim Mittag- und Abendessen wird grösstenteils geschwiegen. Und falls doch jemand das Wort ergreift, dann meist auf Rumänisch. Zwischen den Mahlzeiten wagen wir uns ab und zu auf die Kommandobrücke und einmal besuchen wir den Maschinenraum. Doch auch dort müssen wir den Verantwortlichen jedes Wort aus der Nase herausziehen. Die meiste Zeit verbringen wir deshalb in unserer Kabine mit Lesen, Schreiben, Filme-Gucken und Fotos-Ordnen. An der frischen Seeluft auf Deck hat es leider kein gemütliches Plätzchen für uns.
Doch dann, an unserem sechsten Tag an Bord, wird diese Routine endlich durchbrochen: Ein Grillfest steht an. Der Steward – ein 30-jähriger Filipino, der im Speisesaal mit Abstand am meisten redet – frohlockt schon am Montag: «Jeden zweiten Samstag, wenn wir den Atlantik überqueren, gibt es ein Barbecue – mit Musik und Alkohol!»
Um Punkt 17 Uhr stehen Lea und ich auf dem hinteren Oberdeck. Dort erwartet uns der spektakulärste Grillplatz, den wir je gesehen haben: Vor dem knallblauen, endlos weiten Ozean und zwischen dicken Schiffstauen, zahlreichen Metallpollern und einem orangen Rettungsboot stehen Sitzbänke, ein langer Tisch, grosse Musikboxen und ein riesiger Holzkohlegrill, über dem ein Spanferkel brutzelt.
Das arme Tier wird von drei Filipinos munter im Kreis gedreht. «Bei uns zu Hause hat das Tradition», sagt einer strahlend. Auch ein paar Rumänen sind bereits hier. Die Seebären machen ihrem Namen alle Ehre und langen kräftig zu. Fleisch mit Fleisch steht auf dem Speiseplan. Ein Vegetarier wäre beim Anblick des Buffets wahrscheinlich von Bord gesprungen – das Spanferkel verkommt neben den unzähligen Koteletts, Pouletflügeln und Würsten fast zur Beilage.
Durst hat die Crew ebenfalls nicht zu wenig. Es dauert nicht lange, bis der Captain den Steward bittet, eine weitere Kiste Wein aus der Vorratskammer zu holen. Mit jedem Glas werden die Jungs redseliger. Über Gesprächsthemen muss ich mir keine Gedanken mehr machen.
Irgendwann stehen die Filipinos auf, um das Tanzbein zu schwingen. Lea und ich gesellen uns auch dazu. Und es dauert nicht lange, bis ein Crewmitglied nach dem anderen mit Lea tanzen will. Ich kann es ihnen nicht verübeln: Einige sind seit fast neun Monaten ununterbrochen auf dem 190 Meter langen und 30 Meter breiten Schiff. Landgänge sind nur für ein paar Stunden möglich, wenn überhaupt. Die Seemänner treffen deshalb über Monate hinweg kaum eine Frau – geschweige denn eine Tanzpartnerin.
Diese Gelegenheit wollen sich auch die Rumänen nicht entgehen lassen, auch sie bitten Lea der Reihe nach um einen Tanz. Lea hat ebenfalls sichtlich Spass an der Sache, auch wenn sie später sagen wird, sie habe den Tanz-Marathon nur den Jungs zuliebe gemacht.
Irgendwann fehlt nur noch einer und die ganze Meute ruft: «Captain! Captain! Captain!» Die Crew will ihren Chef tanzen sehen – und der tut ihnen den Gefallen. Die Jungs grölen, johlen und lachen. Sind das wirklich die gleichen Leute, die uns die letzten sechs Tage praktisch angeschwiegen haben? Ich muss schmunzeln und denke mir: Das schafft nur König Alkohol!
Am nächsten Morgen verschlafen wir das Frühstück. Auch für das Mittagessen kann ich mich nicht aus dem Bett kämpfen. Beim Abendessen fragen mich die Rumänen grinsend, wie es mir geht. Doch ich habe keine Lust auf Konversation. Eine Sause mitten auf dem Atlantik ist zwar ein unvergessliches Erlebnis, aber ein dicker Brummschädel auf einem schwankenden Schiff leider auch.
PS: Fotos kann ich von dem ganzen Spass leider keine liefern. Als ich meine Kamera hervorholte, kam sofort der Captain zu mir und sagte: «Diese Bilder dürfen aber nicht im Internet landen!»