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Per Autostopp um die Welt

Per Autostopp um die Welt: Thomas Schlittler auf dem Atlantik

Per Autostopp um die Welt

Als der Alkohol Zungen lockerte und uns (leider zwei) unvergessliche Erlebnisse bescherte

05.08.2017, 10:1905.08.2017, 15:04
Thomas Schlittler
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«Du hast das Bestmögliche probiert», sagt meine Freundin Lea grinsend und tätschelt mir leicht spöttisch auf die Schulter. Wir sitzen auf einem Frachtschiff und sind auf dem Weg von Brasilien nach Spanien. Die Mannschaft besteht aus 15 Filipinos, 7 Rumänen und einem Bulgaren. Ich habe gerade zum wiederholten Male versucht, mit den rumänischen Crewmitgliedern, mit denen wir uns den Speisesaal teilen, ins Gespräch zu kommen. Vergeblich. Die Seebären haben ganz offensichtlich keine Lust auf Konversation.

Von Joao Pessoa nach Natal: Die letzten Autostopp-Kilometer in Brasilien legen wir mit LKW-Fahrer Neves zurück.
Von Joao Pessoa nach Natal: Die letzten Autostopp-Kilometer in Brasilien legen wir mit LKW-Fahrer Neves zurück.bild: thomas schlittler

Meine Fragen zum Leben auf dem Frachtschiff, zur Seefahrt im Allgemeinen sowie den bedenklich wenigen Containern auf unserem Schiff beantworten die Herren zwar höflich, aber sehr kurz angebunden. Und auch die Wirtschaftslage in Rumänien, das rumänische Staatsoberhaupt Klaus Johannis oder die rumänische Fussballlegende Gheorghe Hagi lockern die Zungen nicht.

Im überschaubaren Hafen von Natal geht es dann aufs 190 Meter lange Frachtschiff – und dann ab nach Europa bzw. Spanien. Ein grosser Moment für uns.
Im überschaubaren Hafen von Natal geht es dann aufs 190 Meter lange Frachtschiff – und dann ab nach Europa bzw. Spanien. Ein grosser Moment für uns.bild: thomas schlittler

Die ersten fünf Tage auf dem Atlantik sind für Lea und mich deshalb sehr monoton: Beim Frühstück sind wir meist die einzigen. Beim Mittag- und Abendessen wird grösstenteils geschwiegen. Und falls doch jemand das Wort ergreift, dann meist auf Rumänisch. Zwischen den Mahlzeiten wagen wir uns ab und zu auf die Kommandobrücke und einmal besuchen wir den Maschinenraum. Doch auch dort müssen wir den Verantwortlichen jedes Wort aus der Nase herausziehen. Die meiste Zeit verbringen wir deshalb in unserer Kabine mit Lesen, Schreiben, Filme-Gucken und Fotos-Ordnen. An der frischen Seeluft auf Deck hat es leider kein gemütliches Plätzchen für uns.

Wir sind überglücklich und auch ein bisschen stolz, dass wir es rechtzeitig bis nach Natal geschafft haben. Schliesslich mussten wir den Platz auf dem Frachtschiff Monate im Voraus reservieren.
Wir sind überglücklich und auch ein bisschen stolz, dass wir es rechtzeitig bis nach Natal geschafft haben. Schliesslich mussten wir den Platz auf dem Frachtschiff Monate im Voraus reservieren.bild: thomas schlittler

Doch dann, an unserem sechsten Tag an Bord, wird diese Routine endlich durchbrochen: Ein Grillfest steht an. Der Steward – ein 30-jähriger Filipino, der im Speisesaal mit Abstand am meisten redet – frohlockt schon am Montag: «Jeden zweiten Samstag, wenn wir den Atlantik überqueren, gibt es ein Barbecue – mit Musik und Alkohol!»

Um Punkt 17 Uhr stehen Lea und ich auf dem hinteren Oberdeck. Dort erwartet uns der spektakulärste Grillplatz, den wir je gesehen haben: Vor dem knallblauen, endlos weiten Ozean und zwischen dicken Schiffstauen, zahlreichen Metallpollern und einem orangen Rettungsboot stehen Sitzbänke, ein langer Tisch, grosse Musikboxen und ein riesiger Holzkohlegrill, über dem ein Spanferkel brutzelt.

Auf dem Frachtschiff heisst es acht Tage lang blauer Himmel, blaues Meer – und nicht viel zu tun.
Auf dem Frachtschiff heisst es acht Tage lang blauer Himmel, blaues Meer – und nicht viel zu tun.Bild: thomas schlittler

Das arme Tier wird von drei Filipinos munter im Kreis gedreht. «Bei uns zu Hause hat das Tradition», sagt einer strahlend. Auch ein paar Rumänen sind bereits hier. Die Seebären machen ihrem Namen alle Ehre und langen kräftig zu. Fleisch mit Fleisch steht auf dem Speiseplan. Ein Vegetarier wäre beim Anblick des Buffets wahrscheinlich von Bord gesprungen – das Spanferkel verkommt neben den unzähligen Koteletts, Pouletflügeln und Würsten fast zur Beilage.

Da die Crew nicht besonders kontaktfreudig ist, verbringen wir die meiste Zeit in unserer Kabine mit Lesen, Schreiben, Filme-Gucken und Fotos-Ordnen. (siehe Artikel)
Da die Crew nicht besonders kontaktfreudig ist, verbringen wir die meiste Zeit in unserer Kabine mit Lesen, Schreiben, Filme-Gucken und Fotos-Ordnen. (siehe Artikel)Bild: thomas schlittler

Durst hat die Crew ebenfalls nicht zu wenig. Es dauert nicht lange, bis der Captain den Steward bittet, eine weitere Kiste Wein aus der Vorratskammer zu holen. Mit jedem Glas werden die Jungs redseliger. Über Gesprächsthemen muss ich mir keine Gedanken mehr machen.

Irgendwann stehen die Filipinos auf, um das Tanzbein zu schwingen. Lea und ich gesellen uns auch dazu. Und es dauert nicht lange, bis ein Crewmitglied nach dem anderen mit Lea tanzen will. Ich kann es ihnen nicht verübeln: Einige sind seit fast neun Monaten ununterbrochen auf dem 190 Meter langen und 30 Meter breiten Schiff. Landgänge sind nur für ein paar Stunden möglich, wenn überhaupt. Die Seemänner treffen deshalb über Monate hinweg kaum eine Frau – geschweige denn eine Tanzpartnerin.

Exakt nach Zeitplan erreichen wir das Mittelmeer. Im Hintergrund ist der Fels von Gibraltar zu sehen.
Exakt nach Zeitplan erreichen wir das Mittelmeer. Im Hintergrund ist der Fels von Gibraltar zu sehen.Bild: thomas schlittler

Diese Gelegenheit wollen sich auch die Rumänen nicht entgehen lassen, auch sie bitten Lea der Reihe nach um einen Tanz. Lea hat ebenfalls sichtlich Spass an der Sache, auch wenn sie später sagen wird, sie habe den Tanz-Marathon nur den Jungs zuliebe gemacht.

Irgendwann fehlt nur noch einer und die ganze Meute ruft: «Captain! Captain! Captain!» Die Crew will ihren Chef tanzen sehen – und der tut ihnen den Gefallen. Die Jungs grölen, johlen und lachen. Sind das wirklich die gleichen Leute, die uns die letzten sechs Tage praktisch angeschwiegen haben? Ich muss schmunzeln und denke mir: Das schafft nur König Alkohol!

Kurz vor der Ankunft tauchen neben unserem Schiff hunderte Delfine auf. Neben dem Grillfest auf offener See (siehe Kolumne) ein weiterer Höhepunkt unserer Atlantiküberquerung.
Kurz vor der Ankunft tauchen neben unserem Schiff hunderte Delfine auf. Neben dem Grillfest auf offener See (siehe Kolumne) ein weiterer Höhepunkt unserer Atlantiküberquerung.Bild: thomas schlittler

Hast du eine Etappe verpasst?Hier findest du sie alle:

Am nächsten Morgen verschlafen wir das Frühstück. Auch für das Mittagessen kann ich mich nicht aus dem Bett kämpfen. Beim Abendessen fragen mich die Rumänen grinsend, wie es mir geht. Doch ich habe keine Lust auf Konversation. Eine Sause mitten auf dem Atlantik ist zwar ein unvergessliches Erlebnis, aber ein dicker Brummschädel auf einem schwankenden Schiff leider auch.

PS: Fotos kann ich von dem ganzen Spass leider keine liefern. Als ich meine Kamera hervorholte, kam sofort der Captain zu mir und sagte: «Diese Bilder dürfen aber nicht im Internet landen!»

Schliesslich legen wir im Hafen von Algeciras an – und ich habe zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder europäischen Boden unter den Füssen. Juchhe!
Schliesslich legen wir im Hafen von Algeciras an – und ich habe zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder europäischen Boden unter den Füssen. Juchhe!Bild: thomas schlittler

[dhr, 04.11.2016] Best of Per Autostopp um die Welt

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36 Kommentare
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lily.mcbean
05.08.2017 12:13registriert Juli 2015
Wieder mal hast fu mir ein Schmunzeln auf die Lippen gezaubert, Danke.
- und einen lieben gruss an Lea, einen Tanzmarathon mit der ganzen Crew, dem gebührt Respekt! ;)
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coronado71
05.08.2017 12:17registriert Juni 2016
Schöner Bericht! Ihr wart vermutlich auf einem Schiff der "Guyanamax 3"-Klasse von CMA-CGM. Die verkehren in einer Art "Rundlauf" von Rotterdam über Le Havre in die Karabik und dann der Küste Südamerikas entlang bis Natal. Das Hauptgeschäft ist das Hinbringen von Waren aus Europa in die Karibik/Guyana/Brasilien. Entsprechend wenig Container hat es dann ex-Natal. Für Exporte aus Brasilien nach Europa werden hauptsächlich Stückgutfrachter, Tanker oder spezielle Kühlschiffe verwendet.

So. Fertig kluggescheissert ;-)
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Lucernefan
05.08.2017 13:18registriert Juni 2015
danke für diesen tollen reisebericht!!
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Braucht man zum Leben ein Auto? Ein kurzer Realitäts-Check
Als Madame Energie nimmt es mich wunder, wie Familien ohne Auto ihren Alltag meistern. Von Realitäts-Ohrfeigen, Notfällen und Nächstenliebe – und den Kosten.

Als einstiges Landkind habe ich das Autofahren geliebt! Die Geschwindigkeit, die Unabhängigkeit, der Fahrtwind bei offenem Fenster. Dann zog ich fürs Studium nach Zürich, wurde ein Stadtkind und tauschte das Auto (meiner Eltern) gegen ein graues Occasionsvelo. Ich liebe das Velofahren! Die Geschwindigkeit, die Unabhängigkeit, der Fahrtwind.

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