Wir leben zwar im Zeitalter der künstlichen Intelligenz und der Weltraumfahrt, trotzdem werden wir manchmal in dunkle Zeiten zurückgeworfen, in denen das magische Denken das Bewusstsein der Menschen beherrschte. Musterbeispiel dafür sind gewisse alternativ-«medizische» Disziplinen, die wirkungslos sind.
Trotzdem schwören viele Leute auf die Homöopathie, die anthroposophische Medizin, die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), die Neuraltherapie und die Phytotherapie.
Dass viele Zeitgenossen auch heute noch dem Aberglauben und der Magie frönen, mag zwar erstaunen, lässt sich aber nicht ändern. Dass aber der Bundesrat seine schützende Hand über umstrittene Heilmethoden hält, ist – um es moderat zu formulieren – unverständlich.
Obwohl die drei Damen und vier Herren in Bern sehr wohl wissen, dass manche komplementären Heilmethoden nicht wirksam sind, wollen sie, dass diese weiterhin über die Grundversicherung abgerechnet werden können. Wie dies seit 2012 der Fall ist.
Dabei verstösst diese Regelung gegen das Krankenversicherungsgesetz. Denn dieses besagt, dass Heilmethoden wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein müssen. Die Vertreter dieser fünf Disziplinen konnten aber bis heute keine wissenschaftlichen Nachweise für die Wirksamkeit erbringen.
Der Streit um die alternativen Heilmethoden tobt seit 2005. Damals war der Bundesrat noch mutig und strich die fünf Disziplinen aus dem Katalog der Grundversicherung. Der Aufschrei in der Bevölkerung war gross. Die breite Lobby der Alternativmedizin lancierte eine Initiative.
Mit Erfolg. 2009 stimmten 67 Prozent der Bevölkerung einem entsprechenden Verfassungsartikel zu. Nun forderte der Bund die Vertreter der Alternativmedizin auf, nachzuweisen, dass die fünf Methoden wirksam seien.
Dabei scheiterten sie einmal mehr. Abgesehen vom Placeboeffekt konnten sie keine Heilwirkungen nachweisen. Deshalb sah der Bundesrat keinen Handlungsbedarf.
Nun war der Aufschrei der Anbieter und Anhänger der Alternativmedizin noch grösser. So gross, dass der Bundesrat dem Druck nachgab und einknickte: Er foutierte sich um das Gesetz und erlaubte erneut die Abrechnung über die Krankenkassen.
Angesichts der explodierenden Gesundheitskosten reichte Nationalrat Philippe Nantermod 2021 ein Postulat ein, um den Missstand zu beheben. Der Bundesrat lehnte den Vorstoss aber ab.
Im gleichen Jahr formulierte der Walliser FDP-Nationalrat eine Motion mit dem Titel «Obligatorische Krankenpflegeversicherung. Keine Rückerstattung mehr für Behandlungen ohne nachgewiesene Wirksamkeit». Darin verlangte er, «dass Behandlungen und Leistungen, deren Wirksamkeit nicht belegt ist oder nicht über den Placeboeffekt hinausgeht, aus dem Leistungskatalog des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) entfernt werden. Die Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit müssen strikt umgesetzt werden (Art. 32 KVG)».
In seiner Begründung schrieb Nantermod: «Einige Leistungen, die vor zehn Jahren noch einen gewissen Ruf genossen, werden heute in wissenschaftlichen und medizinischen Kreisen als reine Glaubenssache angesehen. Dies gilt beispielsweise für die Homöopathie, deren Kosten in den allermeisten Ländern der Welt nicht mehr übernommen werden.»
Mit den Krankenkassenprämien würden jedes Jahr Leistungen finanziert, die keinen medizinischen Mehrwert bieten. Weiter führte er negative Entwicklungen während der Covid-19-Pandemie an: «Die Verbindung zwischen esoterischen Praktiken und der Ablehnung der Impfung führte dazu, dass viele Menschen vernünftigen Lösungen den Rücken kehrten.»
Es sei nicht Aufgabe der Sozialversicherungen, diese zu billigen, geschweige denn zu unterstützen. Deshalb müsse der Leistungskatalog entstaubt werden. Nantermod schlug vor, dass alle Versicherungsnehmer selbst entscheiden sollen, ob sie die komplementärmedizinischen Leistungen bei ihrer Krankenkasse einschliessen wollen. Alle anderen erhielten eine Reduktion der Prämien.
Der Bundesrat beantragte dem Parlament die Ablehnung der Motion, weil die Umsetzung der Motion «technisch äusserst komplex» wäre und angesichts des Kostenrahmens von jährlich 18 Millionen Franken für komplementärmedizinische Leistungen nicht verhältnismässig sei.
Wie bitte? Die Antwort des Bundesrats klingt in den Ohren vieler Leute, die sich die Krankenkassenprämie vom Mund absparen müssen, wie ein Hohn. Klar, 18 Millionen Franken sind angesichts der Gesundheitskosten ein kleiner Betrag, doch wenn der Bundesrat nicht jede Sparmöglichkeit umsetzt, wirken seine Sparappelle unglaubwürdig.
Es gibt aber auch eine gute Nachricht. Der Nationalrat hat die Motion am Mittwoch mit 94 zu 86 Stimmen angenommen. Sollte ihm der Ständerat folgen, muss der Bundesrat eine entsprechende gesetzliche Vorlage ausarbeiten.
Noch wichtiger als der Spareffekt wäre aber, dass Bundesbern ein Signal an die Bevölkerung aussenden würde nach dem Motto: Wir halten uns an das Gesetz und verbannen die alternativen Methoden aus der Liste, weil sie nicht wirksam sind.
Gleichzeitig könnte der Bundesrat damit ein Stück Aberglaube aus dem Krankenversicherungsgesetz streichen. Vor allem aber müssten die Anbieter alternativmedizinischer Leistungen zur Kenntnis nehmen, dass ihre Methoden von der Politik als Hokuspokus eingestuft werden.