Seit ich denken kann, ist mein Vater der grösste Party-Bro, den ich kenne. An Festen ist er der Erste, der kommt und der Letzte, der geht. Auch mit 63 trinkt er locker mein Umfeld unter den Tisch.
Nicht nur deswegen halte ich Dad für den Grössten. Ihm verdanke ich auch meine Begeisterung für Volksmusik aus der alten Heimat. Papa hatte früher einen Plattenspieler. Und eine riesige Plattensammlung. Bei uns lief immer Musik.
Sowohl daheim als auch im Auto. Da dreht er heute noch gerne mal auf, während er seinen Ellenbogen lässig aus dem Fenster lehnt. So ist er, ein Vorzeige-Jugo mit ewig junger Seele.
Logisch also, dass das Herz meiner Schwester und meines für Balkanbeats schlägt. So halte ich es für einen der grössten Vorteile am alleine Wohnen, dass ich so viel Jugo-Sound hören kann, wie ich will, ohne dass es jemanden stört. Ausser meine Nachbarn. Die mir mal diesen Zettel an die Haustüre klebten. Spassbremsen.
Fakt ist, es gibt ein paar Songs, die ich einfach nicht leise hören kann. So frage ich dich: Bist du mutig genug für eine musikalische Reise in ein Genre, das dir – falls du kein Jugo bist – gänzlich unbekannt ist? Eins vorweg: Jugo-Musik ist dramatisch. Sie handelt von Sex, Suff, dem Fremdgehen, der unerfüllten Liebe, zerschlagenem Geschirr und gebrochenen Herzen. Bereit?
Aca Lukas gehört zu den grössten Stars des Balkans. Fun-Fact: Der 48-Jährige ist so schüchtern, dass er vor Konzerten Whisky trinkt. Weiss ich aus erster Hand. Im Song namens «Geburtstag» besingt er sein einsames Wiegenfest. Weil die Eine, die er so liebt, weg ist. Und er sich mit all den anderen Tussen, die nur für das Eine bei ihm ein- und ausgehen, selber anlügt.
Im Refrain klingt das so: «Um 5 Uhr nachmittags bin ich besoffen, um halb 8 bin ich fertig, ich schlafe jede Nacht alleine. Heute ist ein besonders schwerer Tag, heute ist mein Geburtstag». Beim Track handelt es sich um die Hymne meines sehr guten bosnischen Freundes und mir. Fun-Fact 2: Der Nachbarszettel erreichte mich nach einer Nacht mit ihm, lauter Aca-Musik, viel Bier und Zigaretten.
Letztens sitzen meine Mom und ich im Auto. Wir fahren, wie es sich für Einkaufstouristinnen gehört, für einen Grosseinkauf nach Deutschland. Aus dem CD-Player erklingt ein Lied, das uns seit Jahrzehnten begleitet.
Während ich passioniert mitsinge, wird Mama ruhiger. Sie weint. Im Song «Gib mich nicht her, Mama» gehts um eine Tochter, deren Herz gebrochen ist. Der ein Mann ihre Jugend nahm, um sie dann zu verlassen.
Mehr braucht's nicht für die Dramaqueen in meiner Mutter. Dass ich zurzeit nicht nur einen, sondern gerade zwei Männer lässig finde und alles andere als heart broken bin, kann ich ihr nicht erzählen. Ihre Euphorie würde mich noch mehr in den Wahnsinn treiben, als es ihre Tränen und der Satz «Wart nur bis du selber Töchter hast» tun.
Ich liebe Lepa Brena (zu deutsch: die schöne Brena), seit ich denken kann. Sie war die erste Balkan-Madonna, die mich in meinem Kinderzimmer singen und tanzen liess. Und sie inspirierte mich dazu, Mini-Playback-Shows einzustudieren, um diese sogleich meinen Eltern und meine Schwester vorzuführen.
Mein Lieblingslied dabei: «Mace moje» – «Mein Kätzchen». Im Track gehts um Sex. Zitat: «Zertrümmere die Türe, komm rein, lass meine Lenden brennen, beschere mir 100 kleine Tode». Fuck, das muss ganz schön schräg für meine Eltern gewesen sein. Die Armen!
Eigentlich hängt mir der Song «Die Spunte ist mein Schicksal» zu den Ohren raus. Ich weiss nicht, ob es ein zweites Lied gibt, das ich so oft gehört habe. Weil es der Lieblingstrack meines Vaters ist. Und er immer überall läuft, wo Papa ist.
Der Musiker besingt darin seinen Lieblingsspunten, der ihm näher steht als eine Frau. Suff-Eskapade statt langweilige Beziehung. Nicht, dass ich das nicht verstehe. Und ja, auf die trashigen Jugo-Videokünste von anno dazumal sind wir auch besonders stolz. <3
Weil du mutig und offen für Neues warst, begeben wir uns nun gemeinsam zurück in die Schweiz, wo Nella & Co. weder in Sachen Musik noch in Art und Stil des Videoclips den obigen in irgendetwas nachstehen.
Ich vermisse Nella.
Und ich halte «Vogellisi» für ein ersthaft wunderschönes Lied.
Jetzt aber muss ich los. Durch mein Wohnzimmer tanzen gehen.
Eure Ludmila