Dem Benziner und Diesel droht in Europa bis 2035 das Aus. Das EU-Parlament will den Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 faktisch untersagen. Noch muss ein Kompromiss mit den EU-Staaten gefunden werden, doch das Verbot wird kommen.
Manche Autohersteller und die Mineralölbranche hoffen, dass zumindest synthetische Kraftstoffe (E-Fuels), die mittels Ökostrom aus Wasser und Kohlenstoffdioxid hergestellt werden können, weiterhin genutzt werden dürfen. Da bei ihrer Verbrennung nur das CO2 freigesetzt wird, das bei der Produktion aus der Atmosphäre entnommen wurde, sind E-Fuels weitgehend klimaneutral. Das EU-Parlament will sie im Strassenverkehr trotzdem verbieten – wahrscheinlich aus gutem Grund, wie eine neue Studie zeigt.
Die zentralen Aussagen werden im Folgenden zusammengefasst:
Autos, die mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden, sorgen während ihrer gesamten Lebensdauer im Vergleich zu herkömmlichen Benzin- oder Dieselfahrzeugen nur für minimale Einsparungen an CO2-Emissionen. Das ist das Ergebnis einer Lebenszyklusanalyse (PDF), die von der Expertenrunde «Transport and Environment» (T&E) diese Woche veröffentlicht wurde.
In der Studie wurden die Emissionen eines kompletten Lebenszyklus von Autos berechnet, die im Jahr 2030 gekauft werden, inklusive Herstellung, Betrieb und Entsorgung.
Ein Benziner oder Diesel, der künftig mit einer Mischung aus E-Fuels und Benzin angetrieben wird, würde seine Emissionen im Vergleich zu konventionellen Kraftstoffen nur um 5 Prozent reduzieren.
Ein Elektrofahrzeug hingegen, das mit dem für 2030 erwarteten durchschnittlichen EU-Strommix hergestellt und aufgeladen wird, würde über seinen Lebenszyklus 78 Prozent weniger Emissionen verursachen als ein Verbrenner.
Zu ähnlichen Ergebnissen kam letztes Jahr eine Untersuchung des ICCT (International Council on Clean Transportation). An der Unterlegenheit des Verbrenners ändere auch das Beimischen von Biokraftstoffen nur wenig, schrieben die ICCT-Experten. Die Klimabilanz von E-Fuels falle auch dann bescheiden aus, wenn der notwendige Wasserstoff mit dem derzeitigen, klimafreundlichen Schweizer Strom-Mix produziert werde, rechneten die Forscher des Schweizer Paul Scherrer Institut (PSI) vor einem Jahr vor.
Selbst ein Verbrenner-Auto, das 2030 vollständig mit reinem E-Kraftstoff fährt, der mit erneuerbarem Strom hergestellt wird, würde über seinen Lebenszyklus mehr Treibhausgase emittieren als ein gleich grosses Elektroauto, zeigt die Analyse.
Ein elektrisches Mittelklasse-Auto wäre 53 Prozent sauberer als ein vergleichbarer Verbrenner mit synthetischen Kraftstoffen. Dies sei vorwiegend auf Verluste in der E-Fuel-Herstellung und den ineffizienten Verbrennungsmotor zurückzuführen. Die folgende Grafik verdeutlicht die Ineffizienz der E-Fuels.
Laut T&E «untergraben die Ergebnisse der Studie die Forderungen der Industrie, dass E-Kraftstoff-Fahrzeuge vom Verkaufsstopp für Verbrennungsmotoren im Jahr 2035 ausgenommen werden sollten». Über diesen Vorschlag beraten die EU-Umweltminister nächste Woche.
E-Fuels sind chemisch ähnlich wie Benzin und Diesel, «aber ihre Herstellung und Nutzung ist weitaus energieintensiver als der Antrieb von Elektrofahrzeugen», heisst es in der Studie.
Ein batterieelektrischer Volkswagen ID.3 kommt der Analyse zufolge mit derselben Menge erneuerbarer Energie fünfmal weiter als ein vergleichbarer VW Golf, der mit E-Fuel betrieben wird. Ein elektrischer BMW i4 könnte sechsmal weiter fahren als ein mit E-Fuel betriebener BMW 4er mit Verbrennungsmotor.
Die folgende Grafik verdeutlicht dies.
Erneuerbarer Strom ist knapp und zugleich zentral für die Herstellung von E-Fuels. Dabei wird zunächst mithilfe grosser Mengen (erneuerbarer) Energie Wasserstoff erzeugt. Wenn dem Wasserstoff CO2 hinzugefügt wird, entstehen synthetische Kohlenwasserstoffe, sogenannte E-Fuels. Das synthetische Benzin wird danach in einem Verbrennungsmotor genutzt. Bei jedem dieser Schritte entstehen Verluste, sodass bei der Verwendung von E-Fuels nur noch 10 bis 15 Prozent der aufgewendeten Energie für die Fortbewegung genutzt werden.
Nahezu klimaneutral produzierte E-Fuels könnten in Zukunft in anderen Branchen zur Dekarbonisierung beitragen, etwa der Luftfahrt. Doch aktuell sind sie kaum verfügbar und daran wird sich so rasch wenig ändern: Eine Studie im Auftrag der Kraftstoffindustrie geht davon aus, dass die produzierte Menge an E-Fuels im Jahr 2035 nur 3 Prozent des Kraftstoffbedarfs des Strassenverkehrs in Europa decken kann, 2050 sollen es 50 Prozent sein (PDF).
Das Problem: Soll die Klimaerwärmung rasch eingedämmt werden, braucht es Lösungen, die jetzt verfügbar sind.
In den nächsten Jahren sind E-Fuels Mangelware und zu teuer, um im Strassenverkehr einen signifikanten Klima-Beitrag zu leisten. E-Fuels werden zwar günstiger werden, aber die längst anrollende Klimakrise wartet nicht. Wissenschaftler plädieren daher dafür, knappe und teure E-Fuels auf diejenigen Anwendungen zu beschränken, die kaum elektrifizierbar sind. Sinnvolle Einsatzgebiete seien Langstreckenflüge, die Schifffahrt sowie energieintensive Industrien wie Stahl und Chemie.
Kritiker von E-Fuels weisen zudem darauf hin, dass ein Auto, das synthetisches Benzin verbrennt, genauso viele giftige Stickstoffoxid-Emissionen in die Luft pumpe wie fossiles Benzin. Ausserdem sei der Betrieb eines Autos mit E-Treibstoff für die Besitzer viel teurer als der eines Elektrofahrzeugs.
T&E tritt mit der veröffentlichten Studie (PDF) den Befürwortern künstlich hergestellter E-Fuels entgegen, die gegen ein komplettes Aus des Verbrennermotors kämpfen. Diese sehen den Einsatz von E-Fuels insbesondere für Regionen ohne genug Ökostrom zum Betrieb und ohne genug Einkommen zum Kauf neuer E-Autos als brauchbare Alternative an.
Mit seinem Beschluss gegen E-Fuels habe das EU-Parlament eine «Entscheidung gegen die Bürger, gegen den Markt, gegen Innovationen und gegen moderne Technologien getroffen», hiess es beim deutschen Verband der Automobilindustrie (VDA). Grosse Autohersteller wie Audi, Volkswagen, Volvo, Mercedes und Ford begrüssen den Entscheid hingegen grundsätzlich, da sie sich für das Elektroauto entschieden haben. Sie hoffen, dass das Votum des EU-Parlaments gegen E-Fuels Bewegung in den Ausbau der Ladeinfrastruktur bringt. Eine nicht unerhebliche Hürde für die Elektromobilität sind nach wie vor oft fehlende Heimladestationen für Mieter, Stockwerkeigentümer und Zonenparkierer.
T&E ist die Dachorganisation von 53 nicht-staatlichen europäischen Organisationen, die sich für einen nachhaltigen Verkehr einsetzen. Die Schweiz ist ebenfalls Mitglied in dieser Organisation.
Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA.