Huawei war dieses Jahr der erste Smartphone-Hersteller, der ein Handy mit Dreifach-Kamera lancierte. Samsung zieht nicht einfach nach, sondern versucht die Chinesen mit insgesamt vier Linsen auf der Rückseite zu übertrumpfen.
Ob dies gelingt und was das Galaxy A9 für rund 550 Franken im Alltag taugt, zeigt mein rund vierwöchiger Erfahrungsbericht.
Samsung gibt sich sichtlich Mühe, dass grosse Handys auch mit einer Hand so gut wie möglich bedienbar bleiben: So muss man auch beim A9 nicht von ganz oben wischen, um die Schnell-Einstellungen und neue Benachrichtigungen anzuzeigen, sondern kann überall auf dem Display nach unten wischen. Ein zweiter Wisch bringt die Benachrichtigungen ganz nach unten.
Ein zweites Beispiel: Zieht man den Finger über den Fingerabdruck-Scanner auf der Rückseite, können die Benachrichtigungen auch dann einhändig heruntergezogen werden, wenn man sich nicht auf dem Startbildschirm, sondern in einer App befindet.
Auf dem Papier mögen Displays in doppelt so teuren Smartphones noch einen Tick besser sein, aber ich erkenne keinen Unterschied, selbst wenn ich die Nase am Touchscreen plattdrücke.
Was ich bereits beim Test des Pocophone F1 von Xiaomi geschrieben habe, gilt auch hier: Das Display mit einer Auflösung von 1080 mal 2220 Bildpunkten ist mehr als ausreichend scharf, da der Unterschied zu noch höher aufgelösten Bildschirmen abseits von VR-Anwendungen mit dem blossen Auge kaum auszumachen ist. Viel wichtiger sind der Kontrast und die Farbdarstellung und in beiden Kategorien überzeugt das Handy.
Auch wenn das 500 bis 600 Franken teure A9 beim Arbeitstempo mit den aktuellen Spitzengeräten für 1000 Franken und mehr nicht ganz mithalten kann, ist es im Alltag für alle möglichen Apps und Games ausreichend schnell. Es läuft flüssig, aber eher träge Apps wie Spotify und Google Maps starten mit einer kurzen Verzögerung. Die Geschwindigkeit entspricht anderen guten Mittelklasse-Geräten wie dem Nokia 7 Plus oder Huawei Mate 20 Lite.
Da ich zuletzt mehrere Wochen das brandneue und extrem schnelle Huawei Mate 20 Pro (kostet fast 1000 Franken) genutzt habe, bin ich in Sachen Geschwindigkeit mehr als verwöhnt. Daher fiel mir beim Wechsel zum Galaxy A9 der kleinste Ruckler und die geringste Verzögerung beim Starten von Apps sofort unangenehm auf.
Der Vergleich hinkt aber natürlich, da dieses Handy nur die Hälfte kostet und die potenziellen Käufer vermutlich von einem mehrere Jahre alten Gerät zum A9 wechseln. Wer also von einem älteren Handy umsteigt, wird kaum enttäuscht sein.
Samsung packt fast alles in die Quad-Kamera, was aktuell möglich ist: Die Hauptkamera schiesst bei gutem Licht sehr anständige Handy-Fotos mit 24 Megapixel. Positiv hervorzuheben ist die Zoom-Kamera (2-fach optischer und 8-fach digitaler Zoom) sowie eine selbst in weit teureren Smartphones noch rare Ultra-Weitwinkel-Kamera. Die Weitwinkel-Kamera ist leider deutlich schwächer als die Hauptkamera, was bei weniger guten Lichtbedingungen die Fotoqualität schmälert.
Die vierte Kamera im Bunde soll insbesondere bei Porträt-Fotos die Tiefenunschärfe (verschwommener Hintergrund) verbessern. Das klappt zwar ziemlich gut, aber an den Porträt-Modus deutlich teurer Smartphones kommt das A9 nicht ganz heran.
Wofür die vier unterschiedlichen Kameras des Galaxy A9 genutzt werden können, zeigt die folgende Slideshow.
Vier Kameras auf der Rückseite ermöglichen zwar eine grössere Auswahl an Aufnahme-Modi (Zoom, Weitwinkel, Tiefenschärfe), aber auch vier mittelmässige Kameras machen kein perfektes Foto. Nicht falsch verstehen: Was Samsung hier in einem Mittelklasse-Smartphone bewerkstelligt, ist keineswegs schlecht, wäre aber zweifellos auch mit weniger Linsen möglich gewesen. Kurz gesagt ist die weltweit erste Vierfach-Kamera vor allem gutes Marketing.
Videos können maximal in 4K-Qualität aufgenommen werden und eine eher von teureren Handys bekannte Superzeitlupen-Funktion ist auch an Bord.
Wie bei den Foto-Aufnahmen sollte man allerdings keine Wunder erwarten, zumal auch die Bildstabilisierung nicht mit den absoluten Top-Smartphones mithalten kann. Die Videos sind – sofern man keine überzogenen Erwartungen hat – ansprechend und für kurze Ferienclips etc. mehr als ausreichend.
An normalen Arbeitstagen stand die Akkuanzeige am Abend bei 40 bis 60 Prozent. Selbst mit sehr intensiver Nutzung waren nach einem langen Tag noch rund 25 Prozent Reserve vorhanden.
Wie heute bei fast allen Smartphones üblich, ist der Akku fest verbaut, was den Austausch massiv erschwert, aber nicht verunmöglicht. Kabellos laden kann man das Handy übrigens nicht.
Gut, aber keineswegs rekordverdächtig ist die Schnelllade-Funktion, die gemessen folgende Werte liefert:
Der Akku ist spätestens nach 100 Minuten vollständig geladen. Zum Vergleich: Der etwas grössere Akku im ebenfalls neuen Mate 20 Pro von Huawei ist bereits nach 67 Minuten vollständig geladen. Umgekehrt ist der kleinere Akku im iPhone XS Max mit Apples Standard-Ladegerät erst nach rund 3,5 Stunden (210 Minuten) vollständig geladen.
Da selbst die teureren Modelle Galaxy S9 und Note 9 noch auf das Update auf Android 9 warten, erstaunt es nicht, dass das günstigere A9 nur mit Android 8 ausgeliefert wird. Käufer eines A9 werden allenfalls noch eine ganze Weile auf die neuste Betriebssystem-Version warten müssen.
Da Samsung eine eigene Benutzeroberfläche für Android entwickelt, werden dies die allermeisten Otto Normalverbraucher vermutlich gar nicht bemerken, zumal Samsung die wichtigsten Funktionen von Android 9 inzwischen selbst zur Verfügung stellt: Beispielsweise die vollständige Bedienung des Handys mit Wischgesten. Ob das momentane Fehlen von Android 9 ein Problem darstellt, dürfte entsprechend sehr individuell wahrgenommen werden.
Vorinstalliert sind wie immer bei Android-Geräten Googles Standard-Apps wie Chrome, YouTube, Fotos, Kalender etc. Dazu kommen Microsofts Office-Apps sowie eine Handvoll Samsung-Apps. Einige dieser Apps kann man löschen, andere nur deaktivieren und vom Startbildschirm verbannen.
Der Fingerabdruck-Scanner ist mittig und weit von der Kamera entfernt platziert. Er ist gut zu erreichen und versehentliches Verschmieren der Kamera-Linsen ist somit quasi ausgeschlossen.
Neben der Front-Kamera findet sich ein Infrarot-Sensor, die zusammen das Entsperren per Gesichtserkennung ermöglichen. Diese Entsperrmethode funktioniert hier leider eher langsam und unzuverlässig. Nachdem ich mein Gesicht ein zweites Mal gescannt hatte, wurde es etwas besser, aber Samsungs Gesichtserkennung ist deutlich langsamer als bei allen anderen Smartphones, die ich dieses Jahr getestet habe.
Samsung verzichtet zudem auf einen 3D-Scan, der das Entsperren nicht nur sicherer, sondern auch praktischer gemacht hätte. Denn bei einem 3D-Scan des Gesichts wird das Handy auch entsperrt, wenn man es stark seitlich hält.
Beim A9 muss man hingegen darauf achten, das Gerät einigermassen gerade vors Gesicht zu halten. Positiv sei erwähnt, dass das Anmelden per Gesichts-Scan auch im Dunkeln funktioniert.
Samsung bewirbt das Galaxy A9 mit der weltweit ersten Vierfach-Kamera, aber ausgerechnet die Kamera ist eine leise Enttäuschung. Sie ist zwar intuitiv bedienbar und gleichzeitig äusserst vielseitig, was Schnappschützen und experimentierfreudige Hobby-Fotografen gleichermassen freuen darf.
Die Bildqualität kann aber insbesondere bei schlechtem Licht nicht mit den Spitzenmodellen von Apple, Huawei und Samsung selbst mithalten. Dass die Kamera hinter doppelt so teuren Modellen zurückbleibt, wäre an sich kein Problem. Ein fader Geschmack bleibt trotzdem, da die Vierfach-Kamera ihr Werbeversprechen nicht (vollständig) einlöst.
Wer ein sehr grosses, hochwertiges Smartphone mit guter Akkulaufzeit sucht, kann dennoch mit dem Galaxy A9 liebäugeln. Mit Schnelllade-Funktion, erweiterbarem Speicher und einem klassischen Kopfhöreranschluss macht Samsung vieles richtig. Mit über 500 Franken ist es zwar kein Schnäppchen, aber viel günstiger als die etwa gleich grossen Modelle Galaxy Note 9 oder iPhone XS Max – und im Alltag trotzdem ausreichend schnell.
Natürlich kann man darauf herumreiten, dass im A9 nicht der schnellste Prozessor der Welt steckt. Im Alltag hatte ich allerdings nie das Gefühl, zu wenig Leistung zu haben. Für mich zeigt das A9 deshalb eigentlich nur, dass 2018 ein guter Mittelklasse-Prozessor völlig ausreicht und die Spitzengeräte für 1000 Franken und mehr für Otto Normalverbraucher massiv «übermotorisiert» sind.
Noch vor Kurzem hätte das A9 als Oberklasse gegolten. Da Samsung – wie Apple und Huawei – nun lieber Geräte für über 1000 Franken verkauft, gelten heute selbst Smartphones für über 500 Franken als Mittelklasse. Das macht sie keineswegs schlechter.
Hinweis: Das Testgerät Galaxy A9 wurde uns von Samsung für rund vier Wochen zur Verfügung gestellt.