Gesagt, getan.
Das Volla Phone ist ein vollständig «entgoogeltes» Android-Smartphone. Das heisst: Um die Privatsphäre der Nutzer und Nutzerinnen zu schützen, enthält das Open-Source-Handy weder Google-Apps noch Google-Dienste. Die bei Android vorinstallierten Google-Apps werden durch Datenschutz-freundliche, quelloffene Alternativen ersetzt.
Das selbst entwickelte Betriebssystem Volla OS basiert auf dem «Android Open Source Project». Die Entwickler versprechen ein neuartiges Bedienkonzept sowie den «grösstmöglichen Schutz der Privatsphäre». Hinter dem Projekt steht das deutsche Start-up Hallo Welt Systeme.
Anders als bei Googles Android oder Apples iOS gibt es auch keinen Quasi-Konto-Zwang. Das Smartphone kann ohne ein Google-, Apple- oder sonstiges Benutzerkonto und ohne Cloud-Anbindung genutzt werden. Trotzdem funktionieren die meisten Android-Apps. Hierzu nutzt das Volla Phone den Aurora Store, eine Kopie des Google Play Stores, der anonym ohne Google-Konto genutzt werden kann. Alternativ ist das Volla Phone auch mit dem Linux-Betriebssystem Ubuntu Touch erhältlich.
Das alles hat genug Menschen überzeugt, um 2020 die Finanzierung via Crowdfunding-Kampagne zu sichern. Seit ein paar Monaten kann das Google-freie Smartphone für 359 Euro (knapp 400 Franken) bestellt werden.
Ich habe mir ein Testgerät geschnappt und das Volla Phone gut zwei Monate im Alltag getestet.
Bevor du ein Volla Phone kaufst, eine kleine Warnung vorab: Das Volla Phone ist alles andere als ein Hightech-Gerät und die Software unterscheidet sich deutlich von einem iPhone oder Android-Smartphone. Inwiefern? Das erklären wir nun Schritt für Schritt.
Trotz eher bescheidener Hardware – dazu später mehr – läuft alles erstaunlich flüssig. Bei der Bedienung muss man allerdings zuerst umdenken. Statt der Fokussierung auf Apps steht beim Volla Phone der multifunktionale Startbildschirm im Mittelpunkt. Vom Hersteller «Sprungbrett» genannt, sieht der Home-Screen völlig anders als gewohnt aus.
Über ein Schnellwahl-Menü lassen sich häufig genutzte Apps oder Funktionen mit einem Wisch auf dem Startbildschirm ausführen (siehe Gif).
Das Schnellwahl-Menü funktioniert tadellos, aber einen echten Vorteil gegenüber Android und iOS erkenne ich darin nicht.
Nach dem Entsperren erscheint zunächst das «Sprungbrett». Beginnt man in diesem Textfeld zu schreiben, geht das Smartphone davon aus, dass man etwas im Internet sucht. Tippt man weiter, erhält man die Option den Text als neue Notiz zu speichern. Tippt man zuerst ein @-Zeichen, werden die Kontakte angezeigt. Nun kann man direkt einen Anruf starten oder weiterschreiben und so eine kurze SMS oder E-Mail versenden.
Als Nutzer schreibt man also einfach, was man tun möchte, ohne eine bestimmte App aufrufen zu müssen. Diese Bedienung über das Textfeld ist effizient, aber sicher nicht jedermanns Sache. Man mag es oder halt nicht. Natürlich kann man das sogenannte «Sprungbrett» auch ignorieren und das Handy wie von Android oder iOS gewohnt bedienen.
In der App-Übersicht werden alle Apps in alphabetischer Reihenfolge angezeigt. Dass die App-Icons ohne Farben dargestellt werden, verschlechtert die Übersicht. Das ist vom Hersteller offenbar so gewollt, da die Fokussierung «auf der intelligenten Benutzeroberfläche statt auf Apps» liegen soll. Nun gut.
Auf einem weiteren Home-Screen rechts des Startbildschirms werden je nach Kontext die häufigsten Kontakte, die zuletzt mit diesen Personen ausgetauschten Mitteilungen oder aktuelle News-Artikel angezeigt.
Die Home-Screens unterscheiden sich massgeblich von anderen Android-Versionen und Volla OS erfordert deutlich mehr Eingewöhnungszeit als etwa ein Wechsel zwischen Android und iOS. Die anderen Bereiche der Benutzeroberfläche hingegen, konkret die Einstellungen und die Benachrichtigungen, die wie gewohnt mit einem Wisch vom oberen Displayrand eingeblendet werden, entsprechen exakt Googles Android und sind auch für iPhone-User:innen selbsterklärend.
Wem die Volla-Benutzeroberfläche nicht zusagt, kann eine beliebige andere Benutzeroberfläche installieren. Diese Flexibilität ist nun mal ein Vorteil eines offenen Betriebssystems wie Android. Es ist sogar möglich alternative Open-Source-Betriebssysteme wie Ubuntu Touch oder Sailfish OS zu installieren.
Das Volla Phone verzichtet aus Datenschutzgründen auf Googles Play Store und die üblicherweise vorinstallierten GoogleApps. Stattdessen wurden System-Apps wie Chrome, Gmail, Google Kalender, Google Maps etc. durch quelloffene Alternativen ohne Tracker ersetzt. Selbstverständlich kann man diese vorinstallierten Apps mit anderen Apps seines Vertrauens ersetzen. Vorinstalliert ist zudem die VPN-App hide. me, um sich anonymer im Netz bewegen zu können.
Apps kann man über mehrere Quellen beziehen. Vorinstalliert ist F-Droid, ein App-Store für Open-Source-Apps. Für die meisten User spannender ist der Aurora Store, mit dem man ohne Konto-Zwang, sprich anonym, Zugriff auf die Apps in Googles Play Store hat. Eine feine Sache, aber es gibt einen kleinen Haken.
Die meisten Google-Apps funktionieren nicht oder nur eingeschränkt, aber wer sich daran stört, kauft sich auch kein Volla Phone. «Volla OS ist mit den meisten Android-Apps kompatibel, die keine Google-Play-Services benötigen», schreibt der Hersteller. Im Test funktionierten viele meiner im Alltag genutzten Apps wie Spotify, Twitter, Signal und natürlich watson problemlos. Die App der SBB hingegen, die für die Standortsuche offenbar Google-Dienste nutzt, funktioniert nur eingeschränkt.
Als Browser habe ich die quelloffene Chrome-Alternative Brave installiert, die sich ganz dem Datenschutz verschrieben hat und DuckDuckGo als Suchmaschine nutzt.
Vieles lässt sich im Browser erledigen. Die eine oder der andere dürfte sich dennoch daran stören, dass insbesondere viele E-Banking-Apps und auch SwissCovid aufgrund der gewollt fehlenden Google-Play-Dienste nicht auf dem Volla Phone laufen. Gleiches gilt für die allermeisten Games (dieses Problem lässt allenfalls umschiffen, wenn man mit microG eine quelloffene Alternative der Google-Play-Dienste installiert).
Generell gilt:
Volla OS offenbart das leider häufige Problem vieler quelloffener Software. Es ist Software von erfahrenen Anwendern für erfahrene Anwender. Man muss sich ein bisschen reinknien, wer das nicht will, wird sich rasch ärgern, weil vieles anders aussieht, komplizierter ist oder (noch) gar nicht geht.
Ein Beispiel: Beim Volla Phone ist beim Einrichten zunächst Handarbeit angesagt. Hier kann man nicht einfach ein Backup einspielen, sondern muss alles neu einrichten. Die Kontakte oder der Kalender beispielsweise werden nicht automatisch (aus der Cloud) synchronisiert, da man eben kein Google- oder Apple-Konto nutzt. Stattdessen exportiert man das Adressbuch des bisher verwendeten Smartphones und importiert die Kontakte neu. Das gleiche Spiel dann mit dem Kalender, Fotos etc.
Kontakte und Kalender können auch ohne Google-Konto mit einem DAVx⁵-Konto – die Software ist ebenfalls Open Source –zwischen mehreren Geräten synchronisiert werden. Wie das geht, wird in diesem Video erklärt. Für erfahrene User:innen ist das eine gute Wahl, Durchschnittsnutzer:innen dürften eher überfordert sein.
Das Volla Phone kommt aktuell noch mit der veralteten Android-Version 9 als Basis für Volla OS. Der Hersteller sagt auf Anfrage: «Wir werden das grosse Update auf eine Android 10 Basis in den nächsten Wochen veröffentlichen.» Nischenanbieter wie Volla Phone oder auch Fairphone haben in der Regel nicht die Ressourcen, Updates gleich schnell wie Samsung und Co. auszuliefern. Volla Phone stellt indes einen langfristigen Software-Support in Aussicht.
Open-Source-Android statt Google-Android heisst auch, dass die Android-Version hinterherhinkt und manche Funktionen erst verspätet oder gar nie auf dem Volla Phone Einzug halten werden.
Das Volla Phone ist ein schnörkelloses Budget-Phone. Es gibt ein solides Full-HD-Display, 64 GB Speicher, der um maximal 512 GB erweitert werden kann und die gute alte 3,5-mm-Buchse für Kopfhörer ist auch an Bord. Das Wichtigste: Im Alltag kann man es trotz des veralteten Prozessors flüssig bedienen und die allermeisten App starten zügig.
Für den gleichen Preis (knapp 400 Franken) bekommt man von den grossen Smartphone-Herstellern technisch deutlich mehr geboten, aber das Volla Phone ist auf jeden Fall alltagstauglich und darüber hinaus mit einem sehr grossen Akku (4700 mAh) ausgestattet. Normalerweise hält der Akku bei meinen Test-Smartphones ein bis zwei Tage, hier sind es eher drei. Das liegt wohl auch daran, dass das an sich zufriedenstellende Full-HD-Display (6,3 Zoll) nicht so hell leuchtet wie von modernen High-Tech-Smartphones gewohnt und somit Akku-schonender ist. Die vom Hersteller versprochene Schnellladung ist trotz USB-C-Port nicht besonders schnell (15W), dafür wird drahtloses Laden unterstützt.
Die Rückseite ist aus Kunststoff, dort findet sich auch der Fingerabdrucksensor und die ziemlich mittelmässige Dual-Kamera. Wer sich selbst ein Bild von der Fotoqualität verschaffen möchte, kann sich durch diese Diashow klicken.
Genau genommen entspricht das Volla Phone dem gut 200 Franken teuren Android-Smartphone GS290 des deutschen Smartphone-Herstellers Gigaset, nur halt mit Volla OS statt Android. Volla Phone wirbt denn auch mit «Made in Germany». Auf Nachfrage, ob das Handy nicht in Asien hergestellt werde, sagt Geschäftsführer Jörg Wurzer: «Nein, das Volla Phone wird in Bocholt und Remscheid hergestellt. Während in Bocholt die Hardware zusammengesetzt wird, wird in Remscheid die Software aufgespielt und die Geräte verpackt.»
Das Volla Phone macht beim Schutz der Privatsphäre keine Kompromisse. Das ist zwar lobenswert, unerfahrene Nutzer kann dies aber rasch überfordern. Die Software ist bei weitem noch nicht perfekt, aber sie wird mit jedem Update benutzerfreundlicher und somit für mehr User:innen zur valablen Option.
Das Smartphone ist für Menschen konzipiert, die unter Datenschutz mehr verstehen als WhatsApp vom Handy zu löschen. Es ist für alle, die bewusst auf Open-Source setzen und sich bewusst sind, dass sie so auf die eine oder andere Annehmlichkeit von Google oder auch Apples iPhone verzichten. Das heisst indes nicht, dass man auf seine Lieblings-Apps verzichten muss. Die meisten Android-Apps, Google-Apps grossmehrheitlich ausgenommen, laufen auch auf dem Volla Phone.
Wer sich bewusst darauf einlässt, bekommt ein ordentliches Smartphone und kann weitgehend über seine eigenen Daten bestimmen.
Und ja, natürlich kann man sich auch ein günstiges Android-Smartphone kaufen, den Bootloader entsperren, rooten und mit einem Custom-ROM bespielen. Aber das ist nun mal nicht jedermanns Sache. Wer nicht selbst «basteln» will, erhält hier eine pfannenfertige Lösung und zahlt dafür auch etwas mehr.
Mein persönliches Fazit nach zwei Monaten mit dem Volla Phone. Ein Smartphone ganz ohne Google oder Apple, ja, das geht.