Das Fairphone 3 war 2019 das erste Fairphone, das nicht nur ein gutes Gewissen gibt, sondern tatsächlich ein grundsolides Mittelklasse-Handy ist. Trotz mässiger Kamera und dem etwas altbackenen Design wurde es zu Recht zu einem kleinen Verkaufshit, der der gleichnamigen Firma zum ersten Mal seit 2014 einen Gewinn bescherte.
Mit dem neuen Fairphone 4 wollen die Niederländer nun auch Kundschaft ansprechen, denen zeitgemässes Design und zukunftssichere Technologie ebenso wichtig sind wie faire Arbeitsbedingungen und eine einigermassen umweltverträgliche Herstellung. Kurz: Das Fairphone soll endgültig aus der Öko-Nische ausbrechen.
Doch ist der jüngste Spross tatsächlich fair und gut? Genau dies habe ich die letzten gut vier Wochen versucht im Alltag herauszufinden.
Das Fairphone 4 kostet 579 Franken. Wer genau das gleiche wie von einem 1000-Franken-Handy von Apple oder Samsung erwartet, wird vermutlich enttäuscht sein. Insbesondere die Kamera kann nicht ganz mithalten. Persönlich bin ich hingegen positiv überrascht, wie offensichtlich die Fortschritte gegenüber dem Vorgänger sind. Prozessor, Display und Akkulaufzeit lassen kaum mehr Wünsche offen und selbst vermeintliche Details wie der Fingerabdrucksensor oder die Volumen-Tasten sind endlich ohne Fehl und Tadel. Apropos Vorgänger: Die bisherigen Modelle Fairphone 3 und 3 Plus, die keineswegs schlecht sind, erhält man inzwischen ab rund 420 Franken.
Wer den Preis zu hoch findet, sollte beachten, dass das Fairphone 4 dank der ausgedehnten Software-Unterstützung für eine maximale Nutzungsdauer von rund sieben Jahren ausgelegt ist. Der Hersteller offeriert zudem fünf Jahre Garantie, bei anderen Marken sind zwei Jahre üblich.
Weil es endlich fair UND gut ist: Vor allem die ersten beiden Fairphone-Generationen litten darunter, dass sie bereits beim Verkaufsstart technisch veraltet waren. Beim Fairphone 3 war dies erstmals weniger der Fall und beim Fairphone 4 ist der Abstand zu den klassischen Smartphone-Herstellern so gering wie nie zuvor.
Nicht falsch verstehen: Auch das an sich moderne Fairphone 4 holt man sich nicht wegen dem allerneusten Technik-Schnickschnack, sondern weil man das aktuell wohl nachhaltigste Handy möchte, das technisch auf der Höhe der Zeit ist.
Das neue Fairphone ist im Vergleich zu den Vorgängern ein Riese und liegt mit 225 Gramm auch nicht gerade wie eine Feder in der Hand. Insgesamt wirkt es deutlich moderner als das Fairphone 3. Die oberen und unteren Displayränder sind spürbar geschrumpft und der Rahmen ist neu aus Metall statt Kunststoff. Das Fairphone sieht so erstmals wie ein ganz normales, allerdings etwas klobig geratenes Smartphone aus. Dass es aufgrund des modularen Aufbaus – Komponenten lassen sich leicht austauschen – zwei bis drei Millimeter dicker als andere Handys ist, störte mich im Alltag nicht.
Das 6,3 Zoll grosse Full-HD-Display lässt kaum Wünsche offen: Es ist deutlich grösser und heller als beim Vorgänger. Fairphone hat klugerweise eine von anderen Herstellern oft genutzte Display-Grösse gewählt, um auch in mehr als fünf Jahren noch einfach Ersatzdisplays auftreiben zu können. Wer aber ein kleineres Handy möchte, sollte die Finger vom Fairphone 4 lassen und allenfalls einen Blick auf das deutlich handlichere Fairphone 3 Plus werfen.
Im Alltag fühlt sich die Bedienung absolut flüssig an und Apps starten in Sekundenbruchteilen. Erstmals gibt es ein Fairphone mit einem starken Prozessor (Snapdragon 750G), der insbesondere für eine gute Performance von Mobile-Games entwickelt wurde. Ein grosses, helles Display, bis 256 GB Speicher (erweiterbar), bis 8 GB Arbeitsspeicher sowie 5G, eSIM und NFC machen das Gerät zukunftssicher.
Fotos sagen hier wohl mehr als tausend Worte, darum 👇
Das Fairphone 4 ist das erste Fairphone mit einer ziemlich guten Handy-Kamera, die vermutlich den Ansprüchen der meisten User genügen wird. Gegenüber der mässigen Kamera im Fairphone 3 ist der Unterschied unübersehbar. Ihre Stärken und Schwächen sind in der oben stehenden Slideshow ausführlich beschrieben.
Dass sie mich (bislang) nicht restlos überzeugt, liegt primär am langsamen Autofokus. Wer oft Motive wie spielende Kinder oder Haustiere knipst, die sich bewegen, wird damit aktuell eher keine Freude haben. Dies ist glücklicherweise ein Problem, das sich mit einem Software-Update beheben lassen sollte.
Update 17.12.2021: Fairphone schreibt als Reaktion auf diesen Artikel: «Mit dem letzten Software-Update letzter Woche wurde auch die Kamera auf den aktuellen Stand gebracht.» Da ich das Testgerät nicht mehr habe, kann ich nicht beurteilen, welche Verbesserungen das Update bringt.
Das Fairphone 4 hat einen austauschbaren Akku mit einer durchschnittlichen Kapazität von 3905 mAh. Im Alltag war ein am Morgen voll geladener Akku abends um zirka 22 Uhr jeweils bei 30 bis 50 Prozent Ladestand. Dies entspricht dem Durchschnitt anderer Testgeräte, die ich in den letzten Jahren getestet habe.
Geladen wird das Fairphone 4 mit einem beliebigen USB-C-Kabel. Ladegerät und -kabel liegen dem Handy wie schon beim Vorgänger nicht bei, um Elektromüll zu reduzieren. Ein Test mit einem sehr starken Ladegerät von Huawei zeigt, dass das Smartphone in 30 Minuten von 0 auf gut 50 Prozent lädt, nach gut 90 Minuten ist der Akku voll.
Das Fairphone 4 liefert somit bei der Akkulaufzeit und der Ladegeschwindigkeit gute, aber nicht überragende Werte.
Das Fairphone 4 lässt sich weder kabellos laden noch per Gesicht entsperren. Der Hersteller schreibt, man werde die Gesichtserkennung «anbieten, wenn wir die maximale Sicherheit gewährleisten können». Offenbar ist dies derzeit nicht der Fall.
Ausserdem wurde die klassische Kopfhörerbuchse gestrichen, dafür ist das Gerät nun allseitig vor Spritzwasser, bzw. Regen geschützt. Dass somit trotz abnehmbarer Rückseite Spritzwasserschutz nach IP54 besteht, verdient Anerkennung.
Warum ist die Kopfhörerbuchse weg? Wegen der verlängerten Garantie (neu bis 5 Jahre) habe man auf zusätzliche Fehlerquellen verzichtet wollen, heisst es. Das bedeutet: Wer seine alten, kabelgebundene Kopfhörer nutzen will, braucht einen kleinen Adapter, der vier Franken kostet (sofern man nicht schon einen hat).
Alternativ bietet Fairphone neuerdings kabellose Kopfhörer mit aktiver Geräuschunterdrückung an.
Ich konnte die laut Hersteller «weltweit ersten kabellosen Kopfhörer aus recyceltem Plastik» selbst noch nicht testen, aber ein watson-User hat sie bestellt und schreibt:
Das Fairphone 4 kommt mit Googles unverändertem Android 11. Wie bei Nokia bekommt man pures Android – ohne Modifikationen an der Benutzeroberfläche. Vorinstalliert sind lediglich die Google-Apps sowie eine Service-App von Fairphone mit Hinweisen zum Gerät und zur Philosophie dahinter, die sich deinstallieren lässt.
Android 11 läuft auf dem Fairphone 4 genauso geschmeidig wie auf weit teureren Geräten. Obwohl mein Testgerät mit einer nicht finalen Software lief, hatte ich mit einer Ausnahme keinerlei Probleme. Einzig die Kamera-App hatte gelegentlich kleine Hänger und braucht, wie oberhalb beschrieben, dringend einen Feinschliff.
Erwähnt sei nochmals, dass der Hersteller eine Update-Garantie bis Ende 2025 gibt. «Durch Upgrades auf Android 14 und Android 15 soll diese sogar bis Ende 2027 verlängert werden», schreibt Fairphone.
Wie bereits das Fairphone 3 kann das Fairphone 4 bald auch mit dem Google-freien Open-Source-Betriebssystem /e/ OS gekauft werden.
Ja, definitiv. Rückseite und Akku können ohne Schraubenzieher gewechselt werden. Für den Austausch von Display, Kamera, Lautsprecher etc. braucht es nicht mehr als einen handelsüblichen Schraubenzieher und ein paar Minuten Zeit. Kostspielige Reparaturen mit Einsenden des defekten Gerätes entfallen.
Ersatzteile können zu moderaten Preisen auf der Webseite des Herstellers nachbestellt werden. Ein Akku kostet beispielsweise rund 30 Franken, Display und Kamera je 80 Franken. Fairphone verspricht, dass die Ersatzteile auch in fünf Jahren noch verfügbar sein werden.
Das Fairphone 4 besteht den Reparatur-Test von iFixit mit Leichtigkeit und erhält von den Reparaturprofis von iFixit zehn von zehn möglichen Punkten. Fairphone ist weltweit der einzige Smartphone-Hersteller mit dieser Bestnote. Apples iPhone 13 Pro erhält 5 von 10, das Galaxy S21 Ultra von Samsung 3 von 10 Punkten.
Diese Teile können nachbestellt und selbst ausgewechselt werden:
Erstens: «Für jedes verkaufte Fairphone recyceln wir ein Altgerät oder bereiten eines auf», sagte die Fairphone-Chefin Eva Gouwens im Interview mit Heise. Fairphone strebt also eine Kreislaufwirtschaft an, sagt aber selbst, dass das noch nicht Realität ist. Man werden auch in den kommenden Jahren «auf den Abbau von Rohstoffen angewiesen sein, einerseits weil die Recyclingquoten noch nicht hoch genug sind, andererseits weil die Nachfrage so schnell steigt».
Zweitens: Im Vergleich zu früheren Fairphones enthält das Fairphone 4 mehr faire Rohstoffe, «aber wir sind noch nicht so weit, ausschliesslich faire Rohstoffe zu verwenden», sagt Gouwens.
Daher gilt nach wie vor:
Drittens: Das Engagement für das Wohlergehen der Arbeitskräfte, sei es in afrikanischen Rohstoffminen oder chinesischen Montagefabriken, wird von Fairphone transparent dokumentiert, beispielsweise indem auch die Lieferkette von Anfang bis Ende nachverfolgbar gemacht wird. Für das Fairphone 4 werden 76 Zulieferfirmen aufgeführt (PDF-Dokument). Man sollte allerdings realistisch sein: Auch Fairphone kann schwarze Schafe darunter nicht mit letzter Sicherheit ausschliessen.
Viertens: Kein anderes Smartphone lässt sich leichter reparieren. Dass man neu 5 Jahre Garantie und voraussichtlich bis Ende 2027 Software-Support erhält, ist vorbildlich. Das setzt Anreize, das Gerät länger zu behalten und dies wiederum relativiert den vergleichsweise hohen Preis von rund 600 Franken.
Für Fairphone liegt die Kunst darin, ein Gerät zu entwickeln, dass für den Otto Normalverbraucher gut genug ist und trotz höherer Kosten für die faire und nachhaltige Produktion bezahlbar bleibt. Mit dem Fairphone 4 ist dies ziemlich gut geglückt. Fast alle Kritikpunkte beim Fairphone 3 (Plus) wurden ausgemerzt. Es ist viel schneller, besser verarbeitet und die Kamera schiesst merklich schönere Fotos. Technisch ist es nicht Spitzenklasse, aber auf einem Stand, der zumindest mir locker reicht – und dies auch für die nächsten Jahre.
Kunden, denen nur das neuste und beste gut genug ist oder die auf eine Marke fixiert sind, werden auch künftig nicht zum Fairphone greifen. Alle anderen dürfen bedenkenlos wechseln, sollten aber zuerst prüfen, ob es ihnen nicht zu gross ist.
Und wie immer gilt: Wenn dein Smartphone noch läuft, macht es keinen Sinn, ein Fairphone 4 zu kaufen. Der einfache Grund: Die grösste Umweltbelastung eines Elektrogerätes entsteht durch den Herstellungsprozess – und nicht etwa bei der Nutzung. Denn trotz aller Anstrengungen und kontinuierlichen Verbesserungen in den letzten Jahren ist selbst Fairphone weit davon entfernt, ein durch und durch faires Smartphone zu bauen.
Auch das angestrebte Ziel der Kreislaufwirtschaft (die einmal gewonnen Rohstoffe immer wieder von neuem verwenden) ist noch in weiter Ferne. Mit dem Fairphone 4 hält die kleine, gleichnamige Firma Giganten wie Apple und Samsung dennoch den Spiegel vor. Ein Smartphone kann modern sein, gut aussehen und trotzdem leicht reparierbar sein.
Die Idee, für jedes neue Fairphone ein altes Handy zu recyceln und die Lebensdauer dank mehrjähriger Garantie und einfacher Reparaturmöglichkeit zu verlängern, ist vorbildlich. Angesichts der vergleichsweise nachhaltigen Ressourcengewinnung, der fairen Entlöhnung der Fabrikangestellten sowie des ausgedehnten Software-Supports scheint auch der Preis angemessen.
Fairphone allein wird die Welt nicht verändern. Der Nischenhersteller könnte aber einen Vorbildcharakter für die ganze Branche haben, wenn die EU Smartphone-Hersteller künftig tatsächlich verpflichten sollte, ihre Geräte fünf Jahre lang mit Updates zu versorgen, sie besser reparierbar zu gestalten und Ersatzteile vorrätig zu halten.