Dass sich Autofirmen Fahrzeuge von Rivalen zu Testzwecken besorgen, ist nicht ungewöhnlich. Die folgende Story ist indes mehr als ungewöhnlich.
Wie der «Spiegel» in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, mietete Daimler im Sommer über den Autovermieter Sixt einen Tesla Model X bei Privatleuten für sieben Wochen. «Während der Mietzeit wurde das Auto offenbar auseinandergebaut und wieder zusammengeschraubt. Zudem wurde es unter Extrembedingungen getestet – unter anderem bei Hitze, auf einer Rüttelstrecke und einer Traktionsstrecke», schreibt Spiegel Online.
Das Problem: Im Mietvertrag sind sowohl das Auseinanderbauen als auch die Nutzung auf Teststrecken ausgeschlossen. Am Ende der Mietzeit wurde das Fahrzeug laut den Vermietern mit Schäden in fünfstelliger Höhe zurückgegeben.
Der ramponierte Tesla X gehört Monika Kindlein und Manfred van Rinsum. Die beiden verheirateten Kleinstunternehmer haben sich drei Teslas gekauft, die sie vermieten – etwa für Hochzeiten oder Firmenevents. Ihr Tesla X100 mit 788 PS kostet rund 200'000 Franken.
Offenbar interessierte sich auch Daimler für Teslas Topmodell und hat den E-Luxusboliden heimlich über den Autovermieter Sixt von den Kleinunternehmern gemietet. Als der Wagen zurückkam, war die Heckklappe verzogen und Verkleidungsteile waren provisorisch mit Klebeband wieder angebracht. «Man fragt sich schon, was das für Leute sind, die unser Auto so zurichten», sagte Kindlein gegenüber Spiegel Online.
Daimler hatte den Tesla über den Autovermieter Sixt für die Monate Juli und August gemietet. Dass Daimler der wahre Mieter ist und was der deutsche Autobauer mit dem Mietwagen vorhatte, wussten Kindlein und van Rinsum nicht.
Argwöhnisch wurde van Rinsum, als der Tesla eine Push-Nachricht auf sein Smartphone schickte. Das futuristische E-Auto meldete, dass es gerade nach Barcelona fährt oder transportiert wird – das passte nicht zu den im Vertrag vereinbarten maximal 1500 Kilometern.
Tesla-Besitzer können auf dem Smartphone jederzeit den Standort ihres Gefährts nachverfolgen. Die Ortungsfunktion verriet van Rinsum, dass Daimler den Tesla X auf zwei Teststrecken bei Barcelona und Stuttgart testete.
Das Testgelände bei Barcelona verfüge über eine Hochgeschwindigkeitsstrecke, eine Bergstrecke und einen steinigen Offroad-Parcours, schreibt Spiegel Online.
Die Ortungsfunktion hätte van Rinsums indes gar nicht gebraucht, um Daimler als wahren Mieter auf die Schliche zu kommen: Die deutschen Tester vergassen einen Falschparkzettel vom Testgelände im Handschuhfach. Es war eine Nachricht aus dem Mercedes Benz Technology Center in Sindelfingen bei Stuttgart. Spätestens in diesem Moment musste den Tesla-Besitzern dämmern, wer den Mietwagen derart zugerichtet haben muss: Mitarbeiter des Daimler-Konzerns bei Testfahrten.
Der ramponierte Tesla Model X soll Schäden von über 15'000 Franken aufweisen. Hinzu kommen der Wertverlust und der Schaden durch Nutzungsausfall, da der Wagen während der Reparatur nicht weitervermietet werden konnte.
Der Fall liegt nun bei den Anwälten, da sich Daimler und Sixt den Schwarzen Peter zuschieben. Die Anmietung von Fahrzeugen zu «Vergleichsfahrten ist in der Automobilbranche ein üblicher Vorgang», teilte Daimler Spiegel Online mit.
Kindlein und van Rinsum machen sich keine grossen Hoffnungen, dass ihre Forderungen von Daimler oder Sixt vollumfänglich vergütet werden. «Es ist doch so: Die beiden Firmen haben Rechtsabteilungen und können ein Heer von Anwälten einspannen», sagt van Rinsum. «Welche Chance hätten wir da?»
(oli)