Elon Musks Grokipedia zitiert Nazi-Foren und Verschwörungs-Seiten – und das dutzendfach
Die Wikipedia-Alternative Grokipedia verbreitet Inhalte von neonazistischen, rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Websites, wie eine aktuelle wissenschaftliche Untersuchung ergeben hat.
Zwei Forscher der amerikanischen Privat-Uni Cornell University haben die Erkenntnisse ihrer Analyse Mitte November veröffentlicht (siehe Quellen).
Demnach stützt sich die Ende Oktober lancierte Online-Enzyklopädie von Tech-Milliardär Elon Musk auf verschiedene Websites, die gemäss Fachleuten als unzuverlässig gelten und Hassbotschaften verbreiten.
Gemäss der Untersuchung wird bei Grokipedia mehr als 40 Mal die Neonazi-Website Stormfront als Quelle zitiert. Die bei rechtsextremen amerikanischen Verschwörungstheoretikern populäre Website Infowars diente demnach 34 Mal und die Website VDare – Anlaufstelle weisser Nationalisten – 107 Mal als Quelle.
Diese Zitate machten zwar nur einen kleinen Teil der gesamten Quellenangaben von Grokipedia aus, hält der US-Nachrichtensender NBC News fest. Es sei dennoch bemerkenswert, da Wikipedia dieselben Quellen im Gegensatz dazu als nicht glaubwürdig einstufe.
Wer hat das herausgefunden?
Der Wikipedia-Hintergrund
Harold Triedman, einer der Mitautoren des Artikels und Informatik-Doktorand an der Cornell University, kommentierte gegenüber NBC News, dass es bei Grokipedia offensichtlich keine «Leitplanken» gebe.
Triedman war gemäss Bericht früher leitender Datenschutzbeauftragter der Wikimedia Foundation. Also jener Organisation, die Wikipedia betreut. Und er arbeitet – wie er in der Studie offenlegt – nebenberuflich als Auftragnehmer für eine Tochtergesellschaft.
Sein Co-Autor, Alexios Mantzarlis, ist ehemaliger Geschäftsführer des International Fact-Checking Network der gemeinnützigen US-Organisation The Poynter Institute for Media Studies (in Florida).
Die beiden Forscher der Cornell University haben Ende Oktober gemäss Bericht «nahezu den gesamten Inhalt von Grokipedia gesammelt und dabei mehr als 883'000 Artikel zur Analyse zusammengetragen».
Welche Rolle spielt KI bei Grokipedia?
Im Gegensatz zu Wikipedia, das von einer Community von Freiwilligen rund um den Globus betreut wird, spielt bei Grokipedia KI eine zentrale Rolle. Zwar können menschliche User inhaltliche Änderungsvorschläge einreichen, doch die Genehmigung und Umsetzung von Änderungen unterliegen laut Bericht der generativen KI Grok. Diese stammt von Elon Musks Start-up xAI und ist auch in die Social-Media-Plattform X integriert.
Inhalte von X kopiert, aber ...
Wie sich nach der Lancierung von Grokipedia zeigte, verwendeten die Verantwortlichen Wikipedia-Artikel als Grundlage und veröffentlichten einige davon wortwörtlich, mit dem Hinweis, diese seien unter einer Creative-Commons-Lizenz bei Wikipedia veröffentlicht worden. Andere Themen wurden jedoch mithilfe von Musks KI-Chatbot Grok komplett neu geschrieben.
- 57 Internet-Domains tauchten in den Top-100-Quellenlisten von Grokipedia und Wikipedia auf.
- Die Forscher fanden heraus, dass 5,5 Prozent der Grokipedia-Artikel einen oder mehrere Verweise auf Quellen enthalten, die in der englischsprachigen Wikipedia-Community auf der schwarzen Liste stehen.
- Weiter fanden die Forscher angeblich 1050 Verweise, in denen Grokipedia auf sich selbst verlinkt: genauer gesagt auf öffentlich geteilte Konversationen zwischen X-Nutzern und dem Chatbot Grok.
Wikipedia stützt sich in aller Regel auf bereits veröffentlichte Sekundärquellen, wie zum Beispiel Berichte von seriösen journalistischen Medien. Quellen, die als nicht vertrauenswürdig gelten, sind verboten. Dazu gehört Stormfront, die von einem ehemaligen Anführer des Ku-Klux-Klans gegründete Website, eines der ältesten und bekanntesten Neonazi-Online-Foren.
Auch Infowars ist auf Wikipedia generell als Quelle verboten, und dessen Gründer, Alex Jones, sieht sich einer Verleumdungsklage in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar gegenüber, weil er fälschlicherweise behauptet hatte, der Amoklauf an der Sandy-Hook-Grundschule in Connecticut 2012 sei inszeniert gewesen.
Interessantes Detail: Der Grokipedia-Eintrag zu Adolf Hitler umfasst laut einer Zählung von NBC News 13'000 Wörter, bevor der Holocaust namentlich erwähnt wird, während die englische Wikipedia den Völkermord bereits im ersten Absatz des Artikels benennt und die rund sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden und Millionen weiterer Opfer erwähnt. Bei Grokipedia ist im ersten Abschnitt lediglich von «Verfolgung und Vernichtung von Juden, Roma, Polen, Menschen mit Behinderungen und politischen Gegnern» die Rede.
Wie konnte das passieren?
Rassist und Rechtsextremist
Elon Musk, 54-jähriger gebürtiger Südafrikaner, fällt seit Jahren mit antisemitischen, fremdenfeindlichen und rassistischen Äusserungen auf. 2022 übernahm er Twitter für 44 Milliarden Dollar und benannte die Plattform in X um. Dort war in den vergangenen Jahren seine Online-Radikalisierung in Echtzeit mitzuverfolgen.
Der Tech-Milliardär, der Donald Trumps Wahlkampf mitfinanziert und sich direkten Zugang zum Weissen Haus gekauft hat, befürwortete die Verschwörungstheorie des «Grossen Austauschs», wonach Juden planten, nicht-weisse Einwanderer in die USA zu bringen.
Ausserdem diffamierte er haitianische Einwanderer als Kannibalen und attackierte US-Fluggesellschaften, die versuchten, schwarze Piloten einzustellen.
Im Januar machte Musk bei einer öffentlichen Feier zur Wahl Trumps als US-Präsident zweimal den Hitlergruss. Wenige Tage später rief Musk, der in Europa rechtsextreme Parteien fördert, darunter die AfD, die Deutschen auf, ihre Nazi-Schuld «hinter sich zu lassen».
Unter Musk entwickelte sich X zu einem Treffpunkt für Neonazi-Influencer, ruft NBC News in Erinnerung. Auf der Plattform sei auch Werbung für extremistische Hashtags wie #whitepower geschaltet worden.
Gleichzeitig versuchen Musk und weitere rechtsgerichtete bis rechtsextreme Akteure seit Jahren, den guten Ruf der Online-Enzyklopädie Wikipedia zu zerstören. Sie stören sich an angeblich zu «woken» Inhalten.
Musk schuf Grokipedia als explizit politisches Projekt gegen Wikipedia und griff damit eine Anregung von David Sacks auf, dem KI- und Kryptowährungs-Beauftragten des Weissen Hauses unter Trump.
Sacks gilt als enger Verbündeter von Peter Thiel und Elon Musk und stammt wie Letzterer aus Südafrika. Alle drei werden der sogenannten «Paypal Mafia» zugeordnet – einem Netzwerk von Silicon-Valley-Unternehmern, die mit Start-up-Investitionen reich wurden.
NBC News weist darauf hin, dass die Studie von Triedman und Mantzarlis noch nicht von anderen Wissenschaftlern begutachtet worden sei.
Quellen
- nbcnews.com: Elon Musk's Grokipedia cites a neo-Nazi website 42 times, researchers say (20. Nov.)
- arxic.org: What did Elon change? A comprehensive analysis of Grokipedia (Studie, PDF)
