Wer hat in Pjöngjang eigentlich das Sagen? Ist es der dicke Kim Jong Un, oder ist er nur eine Marionette mächtiger Kreise, die im Hintergrund die Fäden ziehen? Selbst Nordkorea-«Experten» wissen nicht, was sich an der Spitze des abgeschotteten Landes abspielt. Wer auch immer es ist: Die Führung Nordkoreas beherrscht das politische Pokerspiel perfekt.
Genau so lässt sich der vermeintliche Eklat vom Mittwoch interpretieren. Nordkorea liess die jüngste Gesprächsrunde mit dem Nachbarn im Süden platzen und drohte mit der Absage des Gipfeltreffens von Kim Jong Un mit US-Präsident Donald Trump am 12. Juni in Singapur. Die Begründung mit dem «Max Thunder»-Manöver der USA und Südkoreas ist ein schlechter Witz.
Solche Militärübungen gab und gibt es immer wieder. Beim Besuch von US-Aussenminister Mike Pompeo letzte Woche in Pjöngjang soll Kim versichert haben, sie seien kein Hindernis für den Friedensprozess. Warum also diese plötzlichen Drohgebärden?
Es lohnt sich, den Wortlaut der Erklärung zu studieren, die der Vize-Aussenminister und erfahrene Unterhändler Kim Kye Gwan im Staatsfernsehen verlesen hat. Darin zielt er weniger auf Präsident Trump als auf dessen Sicherheitsberater John Bolton. «Wir verbergen nicht, dass wir ihm gegenüber ein Gefühl der Abscheu empfinden», betonte der Diplomat mit undiplomatischer Deutlichkeit.
Bolton ist die vielleicht grösste Kriegsgurgel in Washington. Er hält den Irak-Krieg noch heute für eine gute Idee. Ende Februar erläuterte er im «Wall Street Journal» die Möglichkeit eines Erstschlags gegen Nordkorea, obwohl das Regime in Pjöngjang mit der Teilnahme an den Olympischen Winterspielen in Südkorea ein erstes Signal der Entspannung gesendet hatte.
Am Sonntag posaunte Bolton auf CNN, Nordkorea befinde sich in einer «Position der Schwäche». Trump habe das Land durch «maximalen Druck» in die wirtschaftliche und politische Isolation getrieben. Solche Töne nimmt man in Pjöngjang genau wahr. Noch mehr verärgert hat Bolton die Nordkoreaner mit dem Vorschlag einer atomaren Abrüstung nach dem libyschen Modell.
Libyen hatte vor 15 Jahren auf die Entwicklung von Atomwaffen verzichtet. Im Gegenzug wurden die Sanktionen gegen das Land aufgehoben. Boltons Vorschlag sei «ein schrecklich finsterer Versuch, unser würdiges Land dem Schicksal von Libyen oder Irak zu unterwerfen», sagte Kim Kye Gwan.
Die Nordkoreaner haben aus der Geschichte gelernt. Sie haben verstanden, dass «Nachgiebigkeit gegenüber den Grossmächten» nicht unbedingt mit Dankbarkeit honoriert wird:
Gerade das Iran-Beispiel muss die Nordkoreaner aufgeschreckt haben. Man kann den USA nicht vertrauen, erst recht nicht ihrem sprunghaften und geltungssüchtigen Präsidenten. Trumps Vertragsbruch gegenüber dem Iran mag durch seinen Wunsch motiviert sein, das Erbe von Barack Obama zu schreddern. Nordkorea aber hat seine eigenen Schlüsse daraus gezogen.
«Wenn die USA versuchen, uns in die Ecke zu drängen und zu einseitiger nuklearer Abrüstung zu zwingen, sind wir an einem Dialog nicht länger interessiert, wir müssten unsere Teilnahme am Gipfeltreffen mit den USA überdenken», sagte der Vize-Aussenminister am Ende seines Statements.
Im Klartext bedeutet dies: Falls Nordkorea auf seine Atomwaffen verzichtet (mit Betonung auf «falls»), müssen die USA dafür einen hohen Preis bezahlen: Nichtangriffs-Garantien, Rückzug der US-Truppen aus Südkorea, Aufhebung der Sanktionen, wirtschaftliche Investitionen. Nichts geniesst für das Regime in Pjöngjang mehr Priorität als der Erhalt der eigenen Macht.
John Bolton zumindest scheint das Problem erkannt zu haben. In den Polit-Talkshows vom letzten Sonntag betonte er, die US-Regierung strebe keinen Machtwechsel in Teheran an. Noch vor kurzem hatte er das Gegenteil gesagt, doch da sei er «komplett unabhängig» und nicht Teil der Regierung gewesen. Indirekt könnte diese Botschaft auch an Nordkorea gerichtet sein.
Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, heisst ein bekanntes Sprichwort. Die USA machen nun diese Erfahrung: Gewähren sie den Nordkoreanern ein Abkommen, von dem diese unter dem Strich mehr profitieren als die Iraner vom angeblich «schlechten Deal», ist Trumps geringe Glaubwürdigkeit noch stärker beschädigt. Auf ihn wartet in Singapur ein schwieriger Gipfel mit Kim Jong Un.